Zwischen all den vielen hochbudgetierten, gepushten und von Fanscharen sehnlichst erwarteten Superheldenverfilmungen noch etwas wirklich Originelles zu entdecken, bedarf schon größerer Ausdauer.
An den Drehbüchern arbeitet man sich nach Kräften ab, vergleicht klassische Abenteuer und fiktive Historien und gönnt sich wohldosierten Humor, computergesteuerte Hochglanzeffekte und hier und da ein paar überschaubare menschliche Abgründe, bis der Gute und der Böse sich schließlich zum letzten Effekt treffen - so macht man Superheldenfans enorm glücklich oder stellt sie zumindest ruhig.
Von dem ehemaligen Troma-Trash-Zuarbeiter James Gunn, der vor gut fünf Jahren nicht eben sonderlich erfolgreich mit dem Horrorfilm "Slither" reüssierte, erwartete man nicht eben ein derartiges Werk auf der großen Skala - eigentlich erwartete man so gut wie gar nichts, bedenkt man des Themas von "Super", die sehr menschliche Geschichte eines Verlierers, der sich zum Superhelden ohne Superkräfte macht, um den Alltag zu überstehen und seine Freundin zurückzugewinnen, die er in die Fänge eines Drogendealers verloren hat.
Das schnuppert alles nach eckigen Ideen, kaputten Gags und billigen Schauwerten - doch wenn ich im Anschluß gestehen muß, dies alles gerade im Überfluß konsumiert zu haben, dann bin ich doch trotz niedriger Ansprüche sowohl zufrieden wie berührt, wenn nicht sogar ein wenig erleuchtet.
"Super" ist kein Film für Leute, die ihren Alltag lässig nebenbei abwickeln, jede Menge Erfolg und/oder Geld und zur Entspannung ihren Übermenschenphantasien nachgehen wollen. Er eignet sich eher für diejenigen, die mittels des Superheldenglorienscheins den eigenen Frust und die Agressionen des Alltags abreagieren möchten, dazu ein Bierchen und Freude über jede Menge Bruch. Und auch diese Leute werden "Super" nicht sehen wollen, denn er zeichnet auf einem schlimmeren Level genau das ab, dessen man eigentlich mit dem Sujet entfliehen will.
"Super" ist für die Leute dazwischen eine Offenbarung, für Menschen, die die bittere Pille Leben für sich entdeckt, enttarnt haben, die damit gelernt haben, umzugehen - und immer noch hoffen, darin einen gewissen Sinn zu sehen. "Super" geht mit ihnen eine Verbindung ein und widmet sich der klassischen Themen - um die Schizophrenie darin zu entblößen und den Finger in die Wunde zu legen, denn die anarchische Superheldenphilosophie hätte eben in der Realität etwas Psychopathisches.
Rainn Wilson, bebrillter und eher unförmiger Supernerd, abonniert auf schräge Nebenrollen, übernimmt die Bürde den Zuschauern zu erzählen, was sie erwartet, wenn das Leben dir wirklich keine andere Chance lassen würde, als sich selbst ein knallrotes Superheldenkostüm zu schneidern und aus Budgetgründen und Mangels besonderer Kräfte auf eine Rohrzange als Waffe zurück zu greifen.
Die Freundin, einer von zwei Lichtblicken im gesamten Leben von Wilsons Frank D'Arbo, ist weg, dem Drogenrausch erneut verfallen und in die Fänge des wie immer schmierigen Kevin Bacon geraten. Sie will nicht weg, sie kann nicht weg und der langmütige Bösewicht ist nicht einmal bereit, wirklich böse auf die Befreiungsversuche Franks zu reagieren, mit endloser Geduld toleriert er dessen amateurhafte Bemühungen. Also heißt es sich in der eigenen Zweitidentität bewähren - und das heißt, anders als bei Batman, dem die Täter ständig vor die Nase laufen, erstmal stundenlang hinter einem Müllcontainer sitzen und hoffen, daß ein paar böse Jungs des Weges kommen.
Und wenn man sie dann trifft, dann hilft nur der schnelle Schlag, der Schlag aus dem Hinterhalt, der unfaire Schlag, der Schlag, der weh tut. Wenn man mit einer Rohrzange schlägt, dann tut das weh. Dann brechen Knochen, dann fließt Blut - etwas was man bei echten Helden ganz gern mal übersieht. Und wenn sich die Gegenseite wehren kann, dann bekommt man selbst was ab. Und kehrt schließlich müde und zerschlagen nach Hause.
Falls sich das jetzt deprimierend anhören sollte: es ist so.
"Super" ist eine deprimierende, finstere, todtraurige und niederschmetternde Geschichte - und genau das macht sie zeitweise irrwitzig. Man braucht seine Zeit, sich mit dem wortkargen Verlierer anzufreunden, der nicht nur furchtbar aussieht, sondern auch als Held eine miese Figur macht. Doch spätestens wenn unser aller Held zerrissen die Kamera vollheult und wir uns gerade vor Fremdschämekel winden, erklärt er uns selbst auf der Tonspur, wie scheiße Menschen aussehen, wenn sie weinen. Und plötzlich ist das Leben und die Welt gar nicht mehr so schlimm.
Die weitere Story erweist sich dann als eine Lehrstunde in Faszination über den Wahnwitz, den man übereinander stapeln kann. "Super" geht dahin wo es weh tut und verkehrt den Fremdschämhumor in ein brachiales "Oh Gott, darf ich darüber lachen?". Und wenn man den Mut dazu endlich findet, zermantscht der Held einem kleinen Arschloch und Vordrängler in der Kinokasse das Gesicht mit seiner Rohrzange, nachdem er sich mühsam auf dem Rücksitz in sein Kostüm gezwängt hat - und alles vergeht in einer Orgie aus Tränen, Schreien und Bestürzung. Eine Fehlkonzeption, wie so vieles im Leben der Protagonisten, so glorios, wie echt und fatal zugleich.
Natürlich braucht ein echter Held auch einen Gehilfen und den findet Frank in der willigen Comicbuchverkäuferin Libby, die nicht nur lernfähig und motiviert ist, sondern auch noch psychopathischer als er selbst jemals zugeben würde. Das dynamische Duo entwickelt einen Sog aus unkontrollierbarer Gewalt, als sie sich dem Ziel von Franks Bemühungen nähern, dem immer noch ungläubigen Dealer Jacques, der in Begleitung seiner depperten Schergen nicht glauben kann, daß Depp Frank es immer wieder versucht - und immer erfolgreicher.
Aber "Super" ist nun mal keine Heldenstory und keine echte Erfolgsgeschichte. Tatsächlich tintet er sein Resumé so ein, daß zweifelhaft bleibt, ob alles nur erträumt und erdacht, tatsächlich passiert oder in Franks Kopf mutiert ist. Ob alles vielleicht nur eine Fluchtphantasie war. Oder ob Frank tatsächlich ans Ziel kam - das dann auch wieder anders verlaufen ist, als man das aus den Heldenstories gewohnt ist, wo alle glücklich bis an ihr Ende leben.
Wer mit solchen Varianten des Themas leben kann, für den ist "Super" tatsächlich super oder gar der Wahnsinn auf Stelzen, denn James Gunn bastelt sich hier ein wirklich abstruses Konstrukt zusammen, daß genauso irritierend wie Franks Bemühungen irgendwann tatsächlich funktioniert. Dazu muß man aber 200ml Indie-Filmmaking und den mitgelieferten Spartenhumor ertragen können, das Unterlaufen sämtlicher Erwartungen und die steten Befürchtungen, was man sich wohl als Nächstes ausgedacht hat und in welcher blutigen Katastrophe das wieder enden wird.
Das alles wird nur ein Nischenpublikum begeistern, dieses aber wohl richtig, denn nur wer wirklich mal so im Arsch wie Frank war oder eben zu oft die immer gleiche Suppe von Hollywood aufgekocht bekommen hat, weiß zu schätzen, was hier läuft. Dann beißt man sich in den Handrücken, bis Blut kommt und erträgt das Traurige und Furchtbare und hört auf das irre abgründige Gelächter im Hinterkopf. Läßt die Rohrzange im Werkzeugkasten und sagt sich neuen Mutes: ich schaff auch diesen Tag. (9/10)