Quo Vadis, Boris Karloff?
Kurz vor seinem Tod nach einer Lungenentzündung im Jahr 1969 war Karloff, der fast vierzig Jahre zuvor als Frankensteins Monster berühmt geworden war, auch filmisch am Tiefpunkt seiner Karriere angelangt. In einem Bündel von Trashfilmen, die in Mexiko produziert und erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden, quälte sich der Kino- und Theatermime furchtbar gealtert durch die Massenproduktionen wie ein vergessenes Relikt aus einer vergangenen Epoche, sinn- und würdelos, gezeichnet von Alterskrankheiten.
Der letzte Vertreter dieser Welle und zugleich Karloffs letztes Vermächtnis ist Juan Ibanez’ “Alien Invaders”, der wie eine grausig entstellte Mutation zweier Horrorfilmepochen daherkommt, die in ihrer filmhistorischen Bedeutung nicht das geringste miteinander zu tun haben: die Dreißiger und die Fünfziger. Die Handlung wirkt wie ein Frankenstein meets the Body Snatchers, allerdings in einer Zeit, die sich längst von deren Diskursen - dem Erschaffungsgedanken einerseits und der Parabel auf die McCarthy-Ära andererseits - gelöst hat. Der vor einer brennenden Hütte gehaltene (also mit dem Mad Scientist-Motiv spielende) Abschlussmonolog faselt vollkommen von dem stilistischen Bastard der aufgeworfenen Motive befreit etwas von Atomenergie und der Tatsache, dass Wissenschaft nicht nur Heilung, sondern auch Zerstörung bringen kann. Die Endsechziger waren durch derartige Anspielungen (wobei man in diesem Fall eher von einem Schlag mit dem Holzhammer sprechen sollte) vielmehr geprägt von Horrorfilmen mit einer weniger greifbaren Bedrohung, wie der im gleichen Jahr entstandene und als Sinnbild seiner Zeit fungierende “Nacht der lebenden Toten” beweist. Die Zeit der wahnsinnigen Wissenschaftler mit ihren blitzerzeugenden Gerätschaften, aber auch die der Außerirdischen, die eine Invasion vorbereiten, waren vorbei.
Karloff wirkt wie eine Karikatur seiner selbst. Wie ein Gaststar, der aufgrund seiner Verdienste und seines Werbewertes engagiert wurde... ein Gedanke ähnlich dem, den man bekommt, wenn man Bela Lugosi durch Ed Woods Pappkulissen irren sieht. Die meiste Zeit verbringt er sitzend, er wird ebenso zu einer Kulisse wie all die wissenschaftlichen Geräte, welche die Schauplätze dekorieren und im Grunde genommen sind diese auch nur vorhanden, um einem alten Mann, dem die Zeit über den Kopf gewachsen ist, ein heimisches Gefühl zu verleihen. Wie ein gigantisches Biotop für einen Dinosaurier.
Der Mad Scientist-Ansatz ist also abgesehen von der Tatsache, dass Karloff darin verwickelt ist, vollkommen zu vernachlässigen. Wir erfahren nie, was das für Strahlen sind, die Dr. Mayer (Karloff) erfunden hat, was sie ausrichten, wie Außerirdische mit ihnen in Kontakt kamen oder wie sie es scheinbar ermöglichen, dass sich die Außerirdischen wie die “Körperfresser” von Don Siegel in menschlichen Wirten einnisten können, um so die Welt in den Untergang zu reißen.
Karloff ist demnach wieder in seinem Rollenschema gefangen, das er verstärkt in den Vierzigern aufgegriffen hatte, nachdem er der Frankenstein-Kreatur den Rücken gekehrt hatte: dem Mad Scientist-Typus. Wenig hilfreich ist es, dass in diesem vollkommen auf die Person Karloff ausgerichteten Ansatz, der folglich auch komplett ohne erzählerischen Halt auskommen muss, alles weitere mit verdorben wird. So muss man einen dümmlichen Subplot um das sehnsüchtige Wesen einer abgewiesenen Frau über sich ergehen lassen; eine Frau, die durch ein misslungenes Experiment auf der ganzen rechten Gesichtshälfte verätzt ist. Sie ist also ein Zugeständnis an den Typus des “Hunchback”, des Buckligen aus den Monsterfilmen der Dreißiger. Daraus entwickelt sich nun eine komplette Storyline um die Verletzlichkeit der Frau, Unschuldigkeitsmotive und seelische Penetration - nur hat das alles herzlich wenig mit der Haupthandlung zu tun, die irgendwo zwischen Atomstrahlung und außerirdischen Invasoren festhängt.
Wenigstens haben einige dieser Szenen, die auch mit dem ersten Eintreffen der Aliens kollabieren, zumindest stückweise einen minimalen Bildwert, was auf die Kellergewölbe mit ihrem traumartigen Blau- und Rotlicht zutrifft. Ästhetische Momente bleiben dennoch äußerst rar und werden durch eine “Salad Bowl” aus diversen kulturellen Fragmenten dominiert, die aber nichts mit der Verschleierung der europäisch-expressionistischen Handlungsorte von “Frankenstein” oder “The Wolf Man” gemein haben. Ganz im Gegenteil ist der unentschiedene Stil des Films kein Stilmittel zur Mystifizierung der Geschichte, sondern reine Not und Improvisation. Karloff findet sich inmitten einer Ansammlung aus mexikanischen Amateurschauspielern wieder, die dem alten Mann zumindest noch das Geschenk machen, aus dem Cast deutlich herauszuragen, so kurz vor dem Ende seines Lebens. Es wird ihm aber auch zu einfach gemacht: Enrique Guzmán beispielsweise stampft als Karloffs Kollege emotionslos durch die Geschichte, wankt von einer Ecke des Zimmers in die andere und hat nichts weiter im Sinn als möglichst nicht in die Kamera zu schauen - dass er irgendwann von Aliens befallen wird, die ihn tatsächlich zum emotionslosen Zombie machen sollen, diese Persönlichkeitsveränderung merkt man seiner Schauspielerei nicht einmal an.
Das schien aber noch nicht genug der Traurigkeit, und so haben wir es weiterhin mit einem Drehbuch zu tun, das nicht aus den Pötten kommt. Es geschieht erstaunlich wenig dafür, was in der Inhaltsangabe versprochen wird. Wenn die Aliens tatsächlich irgendwelche Pläne haben sollten, die Welt zu vernichten, so wissen sie in der Praxis selbst nichts damit anzufangen. Ein paar wenig gehaltvolle, zu ihrer Motivation nichts beitragende Dialoge zwischen zwei Außerirdischen finden mal in den Wirtskörpern statt, ein paar Menschen werden zu Handlungen überredet, die aber niemals irgendwelche Fortschritte zur Folge haben, und wenn einer der Wirtskörper stirbt, so erhaschen wir einen billigen Leuchteffekt bei der Infiltration eines neuen Körpers. Zwischendurch wird immer mal wieder die Holzhammerbotschaft zur Atomkraft in die Erinnerung des Zuschauers berufen, wenn Pflanzen in der Nähe der parasitär befallenen Wissenschaftler eingehen und so die radioaktive Strahlung verdeutlicht wird.
In Sachen Darstellung der Außerirdischen ist man irgendwo zwischen der Darstellungsweise der 50er-Invasionsfilme und dem Kitsch der Space Operas gefangen, zeigt einen blonden Jüngling in silbernem Kostüm, der aus einem Plastikgestell entweicht und mit scharfen Imperativen die Menschenrasse dazu zwingt, seinen Willen in die Tat umzusetzen.
Karloff hätte für sein Lebenswerk ohne Zweifel einen würdigeren Abschluss verdient gehabt. Die letzte Ära seines Schaffens zieht vieles von dem, was Karloff in seiner Karriere gespielt hat, durch seinen unendlichen Dilettantismus gnadenlos in den Dreck, auch wenn das mit Sicherheit so nicht gewollt war, und Karloff selbst steht mittendrin wie ein verirrtes Urgeschöpf, für das in diesen Zeiten keine Verwendung mehr bestand. Welt und Film hatten sich weitergedreht; für Typendarstellungen wie diejenigen Karloffs war in seriösen Produktionen längst kein Platz mehr. Weshalb er sich als alter Mann überhaupt noch dazu niederließ, in solchem Schund mitzuspielen, dieses Rätsel nahm Karloff mit in sein Grab.