Bei „Let me in“ handelt es sich schon um die zweite Verfilmung des Buches „Lat den rätte komma in“ von John Lindqvist. Im Zuge des jüngsten Schnellschuss-Remakewahns der Amerikaner könnte man auch diesen Film vorschnell für eine weitere Neuauflage eines relativ erfolgreichen europäischen Films für die synchronisationsfaulen Jungs jenseits des großen Teichs halten. Aber im Gegensatz zum „Rec „/ „Quarantäne“-Fremdschämer oder auch wahrscheinlich dem „Girl with the dragon tattoo“ wäre das ein Trugschluss.
Denn auch wenn es sich um dieselbe Geschichte handelt und einige Kameraeinstellungen eins-zu-eins wiederfinden, setzt Reeves genügend eigene Akzente um sein Werk zu emanzipieren. Gerade deshalb ist es interessant, in wie weit sich der "Cloverfield"-Regisseur noch mehr von der Buchvorlage entfernt als es schon sein schwedischer Kollege Thomas Alfredson tat.
Ließ dieser nämlich die Handlung rund um die depressiven, arbeitslosen Trinker zum Nebenschauplatz degradieren, kommen sie in Reeves Film nur noch wenige Minuten vor und werden gar durch einen Polizisten ersetzt, der sich auf der Jagd nach einem Serienkiller wähnt. Das führt einerseits zu einer Fokussierung auf das Wesentliche, lässt aber andererseits mindestens eine großartige Szene aus Buch und Erstverfilmung völlig unter den Tisch fallen (der Angriff der Katzen) und eine weitere viel beliebiger ausfallen als noch im schwedischen Film (Verbrennung im Krankenhaus).
Die Entschlackung hat aber auch unbedingte Vorteile, lässt sie doch den Film weniger entrückt und zielgerichteter wirken. Ja, manch einer mag sich daran stören, dass die Sperrigkeit Alfredsons Werk nur noch marginalst vorhanden ist - ich empfand es als deutlichen Fortschritt. Leerläufe wurden somit deutlich verhindert. Einzig nicht ganz nachvollziehbar empfand ich die Änderung der Selbstverstümmelung von Abbys „Ziehvater“. Diese Szene spielt sich im Original (Film wie Buch) nicht in einem Auto ab und wirkt ein bisschen zu sehr wie ein Zugeständnis an die potentielle Zielgruppe, die es nun mal gerne etwas „dramatischer“ hat – da darf dann ein Autounfall eben nicht fehlen. Dennoch (oder gerade deshalb), „Let me in“ wirkt zu keinem Zeitpunkt langweilig oder gar ermüdend, was man dem schwedischen Output leider nicht immer attestieren mag.
Auch die Gewaltschraube wurde ein wenig angezogen – wobei man der Fairness halber sagen muss, das schon das Original nicht zimperlich war, vor allem in Anbetracht dessen, dass es sich eigentlich um nichts anderes als ein Coming-of-age-Drama für Heranwachsende handelt. Reeves hält, wenn es denn was zu sehen gibt, voll drauf. Und das sieht auch meistens wirklich gut aus, wenn man mal von einem Säureunfall absieht, bei dem Alfredsons Film die bessere Maskenarbeit aufwies. In dieser Hinsicht ist es bemerkenswert, dass sich das US-Pendant gerade in den Szenen, die aus „Let the right one in“ noch am ehesten in Erinnerung sind, sehr zurückhält. Sowohl die eingangs erwähnte Verbrennung des Vampiropfers, das entstellte Gesicht des „Ziehvaters“ oder sein Tod, sind wesentlich weniger eindringlich inszeniert. So als wüsste Reeves, dass er diese Szenen einfach nicht toppen kann. Der Showdown im Schwimmbad wiederum ist meisterhaft und der klare Gewinner vor Alfredsons Film.
Was hat sich noch verändert? Eine der interessantesten Entscheidungen (neben dem Schauplatzwechsel) ist es, die Erwachsenen, bis auf zwei Ausnahmen, komplett gesichtslos in den Hintergrund treten zu lassen. Wie schon im Buch, verstehen die Eltern und Lehrer die Kinder nicht, können ihnen nicht mit ihren Problemen und aus ihrer Tristesse helfen, demnach ist es nur konsequent sie nur angedeutet zu zeigen. Owens Mutter etwa, wird ausschließlich vom Hals abwärts oder unscharf gezeigt. In dieser abgeschotteten kleinen Welt haben Erwachsene einfach nichts zu suchen.
Ein weiteres Thema, und das hat mich im Buch tatsächlich etwas gestört, ist die Androgynität von Eli bzw. hier Abby. Da eine der Botschaften des Buches (zumindest für mich) lautete, dass es egal ist ob man sich mit einem Menschen oder einem anderen Wesen, einem Mann oder einer Frau befreundet, ja sogar verliebt, solange es nur jemand ist der einen versteht, der ein Seelenpartner ist, fand ich es etwas plakativ, dass Eli im Buch ursprünglich ein Junge war. Ich finde Vampir hätte gereicht um die Kernaussage deutlich zu machen. Alles weitere kommt einem Vorschlaghammer der Erkenntnis gleich, für den das Groß der Leser sowieso zu intelligent sein sollte. Alfredson umging dieses Problem, indem er die Rückblenden auf Elis Vergangenheit fallen lies und stattdessen eine etwas leicht ins trashige gehende Nacktszene einbaute (man fühlte sich zwangsläufig etwas an die Dogma-Erzengel erinnert). Es mag der amerikanischen Prüderie geschuldet sein, Reeves auf jeden Fall hält sich nicht mit der Bebilderung des Ganzen auf, sondern setzt auf die Kraft der Worte.
„… Und wenn ich kein Mädchen bin?“
Die Herren Schweden sollten mal darüber nachdenken, warum dieser Satz mehr aussagt und ehrlicher wirkt als ihre Lösung.
Ebenso punktet Reeves bei der zeitlichen Konkretisierung. Zwar sind alle Werke in den 80ern angesiedelt, doch während Alfredson eine eher zeitlose Tristesse beschwor, will der "Cloverfield"-Regisseur seinen Film deutlich in dieser Zeit verankert haben. Neben Fernseh- und Radioausschnitten ist dies speziell an der Paranoia gegenüber satanistischen Umtrieben zu bemerken, die Manson-Morde etwa lagen ja nicht all zu weit zurück.
Kommen wir zur technischen Seite. Kamera und Schnitt sind perfekt und schaffen es, die hoffnungslose, traurige Atmosphäre wunderbar zu unterstützen. Dasselbe kann man vom emotionalen Soundtrack sagen.
Ebenso verhält es sich mit den Schauspielern. Dass es sich im Grunde um eine zwei-Personen Ensemble handelt, ist den beiden Jungdarstellern umso mehr anzurechnen. Es war eine gute Entscheidung der Regie, die beiden Darsteller völlig unbedarft an ihre Rollen herangehen zu lassen und ihnen die Erstverfilmung vorzuenthalten. Leider reicht Chloe Moretz („Kick Ass“) nicht an ihre Kollegin Lina Leandersson heran, die wilder, geheimnisvoller und gleichzeitig mit diesem unheimlich traurigen Ausdruck agierte. Was sie nicht schafft, macht jedoch ihr Kollege Kodi Smith-McPhee („The Road“) mehr als wett. Wer mit dem triefnasigen "Michel-aus-Lönneberga" Verschnitt Kare Hedebrant so seine Probleme hatte, wird sich über den Rollenwechsel freuen. McPhee interpretiert seine Rolle weniger entrückt und damit greifbarer. Man hat immer noch einen nachvollziehbaren Menschen vor sich, während sein schwedischer Kollege die Rolle als weltfremdes Superweichei interpretierte, dern man sich nur schwer in Realität vorstellen konnte. Und doch kann man sich auch bei McPhee vorstellen, dass er irgendwann zurückschlagen wird und das nächste Schulmassaker nicht mehr allzu weit entfernt ist.
Es handelt sich also summa-summarum um ein rundum gelungenes Quasi-Remake – ich würde es lieber als eigenständige Literaturverfilmung bezeichnen – dass alles richtig und manches sogar besser macht als die Erstverfilmung. Gleichzeitig spricht es dem schwedischen „Original“ nicht seine Existenzberechtigung ab, sondern macht im besten Fall sogar neugierig auf einen Vergleich. Ich war jedenfalls sehr positiv überrascht, dass das Ergebnis dermaßen gut war.
"Let me in" ist ein wunderschöner, trauriger Film über die wahre, bedingungslose Liebe. Brutal, düster und romatisch, ist dieses Werk nicht nur ein eanspruchsvolle, erwachsene und nicht zuletzt ernstzunehmende Alternative zum "Twilight"-Schmonz sondern auch einer der besten Vampirfilme die ich je gesehen habe.
8,5/10