Seid gewarnt: "Insidious" wird sicherlich nirgendwo einen Sonderpreis in der Sparte originellster Gruselfilm des Jahres gewinnen. Was allerorten bewundernd oder verächtlich angeprangert wird, nämlich daß es sich vom reinen Storykonstrukt um eine Neuerzählung von "Poltergeist" handelt, das ist kurz gefaßt richtig.
Hier wie da zieht eine Familie mit drei Kindern in ein Haus, hier wie da kommt es zu spukhaften Erscheinungen, eines Kinder gerät unter den Einfluß und "verschwindet" und die Eltern versichern der Hilfe eines Mediums und einiger Parapsychologen, um es wiederzubekommen.
Sofern man diesen Punkt frühzeitig im Film erkannt, durchdacht und notwendigerweise akzeptiert hat, kann man sich ganz auf das Versinken in James Wans neuestem Grusler konzentrieren oder man verdirbt sich den Spaß dabei.
Denn, und das muß ich als reichlich abgebrühter Horrorfan konstatieren, sofern man sich darauf einläßt, ist der neueste Streich des Duos Wan/Whanell ein hocheffektiver Grusler, der mittels altbekannter Stilmittel und bewährtem Einsatz aller audiovisuellen Versatzstücke den Zuschauer regelmäßig im Nacken grabscht.
Das Regie/Autorenduo hatte nach seinem Erfolg mit der "Saw"-Reihe (wenn auch nur Beteiligung bis Teil 3) schon einmal so einen stimmigen kleinen Horrorfilm mit "Dead Silence" vorgelegt, der weniger auf Blut, als vielmehr auf Atmosphäre, Angstgefühle und kleine Schocks legte und sehr gutes Gefühl dafür besaß, was Zuschauer als unangenehm empfinden. Waren das in "Dead Silence" bspw. Bauchrednerpuppen, kitzelt "Insidious" den Nerv der Nachtangst, der angesprochen wird, wenn wir komische Geräusche in der Nacht hören und nicht sicher sind, ob da etwas in dunklen Ecken lauert.
"Insidious" beschränkt dazu auf interessante Weise das Sichtfeld von Figur und Zuschauer, denn der Film spielt praktisch ausschließlich nur in einem Haus (mit einer Handvoll Sequenzen in einem anderen zwischendurch), das man nur für eine Handvoll kurze Inserts verläßt, die ebenfalls wieder in Innenräumen spielen. Die Welt des Film ist das Haus und die Personen, die es beherbergt, das Maximum einer Außenaufnahme besteht in der mehrfach wiederholten kurzen Kamerafahrt an der Hausfront entlang vom Garten, was aber auch nicht mehr "Welt" zuläßt, als die anschließenden beiden Nachbarshäuser.
Was jedoch auf engstem Raum ausgeliefert erscheint, erweist sich in der Tradition der "Haunted House"-Filme als Trugschluß: das "Geisterhaus" zeigt sich in der Innenansicht als mehrschichtiger und voluminöser als von außen, die Figuren müssen stets große Wege zurücklegen, um an den nächsten Ort des Geschehens zu kommen und die Kommunikation durch das Gebäude scheint mehr als einmal sichtlich komplizierter zu sein, als sie dürfte.
Was den "Schrecken" an sich anbetrifft, so wird hier zumindest in der ersten Hälfte des Film getreu dem Leitsatz "Weniger ist mehr!" gehandelt und dann langsam die Frequenz gesteigert. Das bedeutet, daß man zunächst gar nichts vom "Bösen" sehen kann, später dann glaubt, etwas gesehen zu haben, bis man sekundenkurz drauf gestoßen wird. Von da an sieht man plötzlich überall "Besucher im Haus", aber damit die Relevanz und Wirkung nicht geschmälert wird, helfen Kameraführung, Set Decoration und Ausleuchtung enorm mit. Mit farbentsättigten, latent unscharfen Tiefenaufnahmen und einem stets leicht trüben Licht scheinen die Räume zumeist gleichzeitig hell und zwielichtig zu sein. Gegen Fensterhintergründe sind die eigentlichen Blickziele oft nur mit dem zweiten Blick auszumachen, gleichzeitig mutiert die Umgebung als formloses Schattenspiel zu verunsichernden Bilderrätseln, in denen man nach neuen Schrecken sucht.
Spätestens als die Familie zwischenzeitlich das Wohnhaus wechselt, beweist eine fast beiläufige Spannungssequenz, wie effektiv man praktisch ohne einen Spezialeffekt arbeiten kann; erst greift man mittels der Integration eines fragwürdigen "Objekts" im Bild nach der Aufmerksamkeit der Zuschauer, läßt den Sound sich verändern (eine Schallplattenaufnahme) und stößt so den Zuschauer eher als die spielende Figur auf die Tatsachen. Als die Figur schließlich den "Eindringling" bemerkt, steht sie nach Horrorfilmmaßstäben bereits außerhalb der Gefahrenzone, also außerhalb des Hauses, muß aber zwangsläufig wieder hinein, um ihren Eindruck und ihren Zweifel zu verifizieren. Eine subtil und nicht sonderlich wacklig eingesetzte zeitweise Handkamera unterstützt übrigens das Lauernde, das die Figuren umkreist.
Nicht auf ganz so große Resonanz wird die zweite Filmhälfte stoßen, die zunächst zwei reelle "Ghostbuster" integriert (einen davon spielt Autor Whannell selbst), die einerseits die wissenschaftliche Komponente zur notwendigen Erklärung der Geschehnisse vorbereiten und andererseits die grimmige Dauerbedrohung kurzfristig durch Humor brechen. Das wird von Genrefans nicht unbedingt geliebt werden, allerdings verläuft sich der Film nicht in Albernheiten oder Slapstick, sondern präsentiert zwei amüsante Antipoden, die dann jedoch wieder in den Ereignisstrudel integriert werden. Darauf folgt das unvermeidliche Medium mit ungewöhnlichen Methoden und einer parapsychologischen Erklärung, die jetzt weder neu, noch sonderlich aufregend ist, die aber Gelegenheit zu einer wirklich "poltergeistesken" Rettungsaktion auf der "anderen Seite" bietet.
Man muß das, was dann folgt nicht mögen, aber die "andere Seite", die hier mittels eines minimalen Budgets fast ausschließlich durch Masken und Verkleidungen hochgezogen ist, zielt genau auf die Ängste, die man selbst locker in die letzte Bewußtseinsecke verdrängt hat: dich umgebende Dunkelheit, plötzlich auftauchende abstruse bis bedrohliche Figuren, sich außerhalb des Wahrnehmungsbereichs verändernde Szenerien, Menschen verfolgende Geistererscheinungen auf Fotos.
Wunderbar effektiv bleibt sogar das "Jenseits" auf das Haus als Drehort beschränkt, visualisiert man Parallelen in bekannten Räumen und wirft mit schreckerzeugenden kleinen Schocks um sich.
Das kann man für übertrieben halten, sofern man aber nicht selbst eine rationale Position absichtlich gegenüber dem Geschehen einnimmt, funktioniert der stets ansteigende Druck auf Figuren und Publikum ganz hervorragend.
Den offensichtlichen Erklärungsdruck, den der Film vermittelt, werden nicht alle Fans lieben, denn gerade im Fahrwasser von "Paranormal Activity", mit dem dieser Film zumindest in der ersten Hälfte mehr zu tun hat als mit "Poltergeist", hätte man Schrecken ohne nachgradige Erklärungen präsentieren können, andererseits ist es bei einem Budget von 1,5 Mio. USD geradezu bewundernswert, was aus Masken, Make-Up, Ausleuchtung, Ausstattung und Kamera zusammengebaut wurde, um das Publikum in Angst und Schrecken zu versetzen.
Sicher, das "Haunted House"-Genre wird nicht neu erfunden (und trifft streng genommen auch gar nicht zu), aber dennoch sollte man sich diesen Ausflug auf die typische Filmklaviatur des Grauens zu Gemüte führen, denn wirklich schlechte Horrorfilme gibt es reichlich und bis zum Schlußgag sitzt der größte Teil des Films in der Zwölf, was die Stilsicherheit recht gut unterstützt.
Mit Sicherheit von den populären Kinohorrorfilmen einer, wenn nicht der Furchteinflößenste des Jahres. (8/10)