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"In unserer Zeit gibt es, und das wird ihnen jeder Drehbuchautor bestätigen können, nicht mehr viele neue Geschichten, die es noch zu erzählen gibt"

Bei diesem Zitat handelt es sich nicht um eine Kritik an "Insidious" oder dem Horrorfilmgenre generell, sondern um die Ausgangssituation, mit der Drehbuchautor Leigh Whannell und Regisseur James Wan daran gingen, den aus ihrer Sicht ultimativen Horrorfilm zu entwickeln, der sich bewusst an den Klassikern orientierte, sich aber hinsichtlich der Gewaltdarstellungen deutlich von "Saw" abgrenzen sollte. Sie wollten Schrecken erzeugen, ohne auf "Blut oder Schleim" zu setzen. Den unbedingten Willen, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, spürt man im Film vom ersten Moment an, denn auch wenn die Story zuerst gewohnte Pfade zu betreten scheint, überzeugt schon das Zusammenspiel aus Kameraführung, dem Score von Joe Bishara und einer entschlackten Einführung.

Anstatt einer Vorgeschichte, beginnt der Film unmittelbar in dem neuen Haus, dass die Familie Lambert gerade bezieht. Während Renai Lambert (Rose Byrne) noch Kisten auspackt und sich ihre zwei Söhne in ihre Zimmer begeben, tauchen schon die ersten Merkwürdigkeiten auf. Der 8jährige Dalton (Ty Simpkins) hat Angst in sein Zimmer zu gehen, seltsame Geräusche sind zu hören und die Bücher, die Renai gerade ins Regal geräumt hatte, liegen plötzlich verstreut auf dem Boden. "Insidious" verzichtet auch in seinem gesamten weiteren Verlauf auf Szenen, die nicht unmittelbar zum Geschehen gehören. Es gibt keine Rahmenhandlung, keine unwesentlichen Nebenfiguren und damit letztlich auch keine Erholung innerhalb des dicht erzählten Geschehens. Nachdem Dalton auf dem Speicher nach einem Aufschrei von der Leiter fiel, und sich dabei den Kopf stieß, wird er am nächsten Morgen von seinem Vater Josh (Patrick Lambert) regungslos im Bett vorgefunden. Er befindet sich in einem Koma, dessen Ursache die Ärzte nicht finden können, und er scheint nie mehr aufzuwachen.

Erfahrene Filmkenner werden hier schnell fündig, denn das Team Wan/Thanell zitiert sich durch die Horrorfilmgeschichte, beginnt mit einem verfluchten Haus, zeigt Anleihen bei den japanischen Horrorfilmen mit ihren gespenstischen, aus dem Nichts erscheinenden Figuren und kann auch nicht auf das seit "Poltergeist" bekannte Dreierteam verzichten, bestehend aus einer Geisterseherin (Lin Shaye) und ihren zwei männlichen Helfern, die allerdings als mit allerlei elektrischem Gerät hantierende Nerds, wunderbar selbstironisch geraten sind. Wer "Insidious" allerdings als Ansammlung von Zitaten begreift und nur nach Anspielungen sucht, übersieht nicht nur die Ernsthaftigkeit in der Umsetzung, sondern nimmt sich damit die Chance, sich auf ein Werk einzulassen, dass echten Grusel verbreiten kann.

Das liegt weniger an der Handlung, obwohl diese regelmäßig mit den Konventionen bricht, indem sie bekannte Motive ungewohnt aneinander reiht, als an den Zutaten des Films, beginnend mit den überzeugenden Schauspielerleistungen, die jederzeit nachvollziehbar handelnde Personen in den Mittelpunkt stellen. Wirklich herausragend ist aber das Zusammenspiel aus Licht, Schnitt und Geräuschen, die auch zum Teil schon bekannte Szenen in einen optischen Overkill verwandeln, der unabhängig davon, ob man diese Momente als Schrecken empfindet oder nicht, eine ganz eigenständige Atmosphäre schafft, die sich im Film immer mehr verdichtet. Man könnte die Erklärung der Geisterseherin für die Phänomene, mit der sie das letzte Drittel des Films einleitet, als esoterischen Humbug abtun, aber das ändert nichts daran, dass die Reise in die Parallelwelt, in die sich Josh nun begeben muss, an Spannung und effektvoller Gestaltung schwer zu überbieten ist und den Film auf einen letzten Höhepunkt vorbereitet.

Ob "Insidious" tatsächlich die Vorgabe der Macher erfüllt, als Horrorfilm der Neuzeit in einem Atemzug mit den Klassikern genannt zu werden, ist anzuzweifeln, da die Story letztlich nichts Neues bietet und erfahrene Kenner des Genres davon abhalten könnte, sich auf den Film einzulassen.Trotzdem wurde "Insidious" ein in allen Belangen überzeugender Film, der Bild, Ton und Story zu einer schlüssigen, Schrecken verbreitenden Einheit verbindet, die in dieser Form als eigenständiges Werk bestand haben wird (8,5/10).

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