Aron Ralston (Jess Franco) ist ein Junkie. Doch nicht nach Drogen oder Party gelüstet es den durchtrainierten Kletterer, sondern nach der Einsamkeit der Berge, durch die er atemlos klettert, immer das Terrain erfassend und die optimale Route findend. Als er am Beginn seiner Wochenend - Tour im Grand Canyon zufällig auf zwei hübsche junge Frauen trifft, die sich verirrt hatten, zeigt er ihnen nicht nur den richtigen Weg, sondern noch einen unterirdischen See, in den man durch eine Felsspalte springen kann. Sie haben einen kurzen Moment Spaß, aber an einem Flirt ist Aron nicht interessiert, sondern macht sich schnell wieder auf seinen einsamen Weg durch die zerklüfteten, in Jahrhunderten vom Wasser geformten Felsgesteine des Grand Canyon.
Danny Boyle inszeniert diese ersten Minuten in hohem Tempo, immer wieder das Bild in drei Teile zerlegend, die Arons Weg zu seinem Ziel mit Bildern von Menschenaufläufen, Kerosinstreifen am Himmel oder Werbeeinblendungen kombinieren, so als wäre dieser Einzelgänger Teil eines großen Ganzen. Das erste Bild beginnt mit einem Zitat seines letzten Films "Slumdog-Millionär", das nochmal einen Blick auf die bunt gekleideten Menscnenmengen in Indien wirft, aber hier leitet es scheinbar zu dem genauen Gegenteil über - zu einer Geschichte über einen völlig allein gelassenen Menschen in der Wildnis.
Nur einen kurzen Moment, nachdem er sich von Kristi (Kate Mara) und Megan (Amber Tamblyn) verabschiedet hatte, verliert Aron die Kontrolle, als sich ein Felsbrocken in einem Spalt löst und ihm beim Herunterfallen so stark den rechten Arm einquetscht, dass er sich nicht mehr befreien kann. Metertief sitzt er in einer Spalte fest, inmitten einer labyrinthischen Formation, weit entfernt von jeder menschlichen Ansiedlung. Nun beginnt die genaue Schilderung der Tortur eines Mannes, der um sein Leben kämpft, aber Danny Boyle macht aus dieser klassischen "One-Man-Show" nicht einfach eine Geschichte darüber, zu was ein Mensch in seiner solchen Extremsituation in der Lage ist, sondern bettet diese Situation der totalen Einsamkeit mitten in unser Konsum freudiges, erlebnishungriges Leben.
Dieser Aron Ralston ist kein Nerd, dem das "Einzelgänger"-Zeichen auf der Stirn geschrieben steht, sondern ein gut aussehender Mann, dessen Fanatismus zur Coolness hochstilisiert wird. Nicht zufällig erinnert der Grand Canyon an die Marlboro-Bilder, so wie Boyle immer wieder Cola- und andere Werbung einblendet. Aron sieht sich selbst als professionell, ist bestens trainiert und ausgerüstet, und hat ständig die Cam zur Hand, um Momente und eigene Bemerkungen aufzuzeichnen. Selbst in seinen schwierigsten Situationen ist er noch zu Ironie fähig, zitiert aus Fernsehsendungen oder interviewt sich selbst, unterbrochen von immer stärker werdenden Fantasien, deren Realitäten meist in bunte, von der Werbung beeinflusste Bilder eingebettet sind. Natürlich ist das Selbstablenkung und der Versuch, den Lebensmut zu bewahren, aber gleichzeitig wirkt sein Verhalten so, als ob er verhindern will, dass sein einsamer Kampf für den Betrachter zu langatmig wird, weshalb er nebenbei noch für die Unterhaltung sorgt.
So gelingen Danny Boyle in "127 Hours" parallel zwei Aspekte, wodurch er sich stark von üblichen Überlebens-Stories abhebt. Einerseits wird die Situation des eingeklemmten Mannes bis zum Extrem, für den Betrachter körperlich bis ins Unerträgliche spürbar, gesteigert, ohne das jemals Zweifel an der Ernsthaftigkeit aufkommen, andererseits wird der Film zum Abgesang auf eine missverstandene, von der Werbung beeinflusste Art zu Leben, die den Hedonismus zur Idealform hochstilisiert, so lange er nur optisch gefällig dargeboten wird.
Zu verdanken ist das auch der Tatsache, dass es Jess Franco gelingt, die Hauptrolle zu verkörpern, ohne sie als Starvehikel zu missbrauchen - trotz seiner überragenden Screentime bleibt er immer hinter der eigentlichen Story zurück. So sehr er hier auch alleine um sein Überleben kämpft, so sehr ist er letztlich nur ein kleiner Teil der großen Masse (9/10).