Drehen wir die Uhr ein wenig zurück. Kim Ji-woon, einer der Big-Four-Regisseure Südkoreas, kündigte einen neuen Film an. Es sollte ein Rachethriller werden und Lee Byung-hun durfte wieder eine Titelrolle spielen. Allein deswegen kann einem schon das Wasser im Mund zusammenlaufen. Als dann noch Choi Min-sik nach langjähriger Theaterpause für das Projekt bestätigt wurde, konnte man sich vor Freude schon mal in die Hosen machen. Allerdings sind manche Dinge ja auch zu schön um wirklich wahr zu sein.
Nun, der Film ist jetzt tatsächlich Realität geworden, nichtsdestotrotz ist nicht das erwartete Non Plus Ultra dabei herausgekommen (wenn auch nur knapp daran vorbei).
Das mag vielleicht auch an den ultrahohen Erwartungen liegen, die, egal wie man sich dagegen wehrt, immer dazu führen, dass man einen Film anders sieht und weitaus mehr auf Kleinigkeiten oder Banalitäten achtet. So kommt es auch, dass ich beim Anschauen des Films übergenau jede einzelne Szene betrachtet habe und so entdeckt man freilich hier und da ein paar Kritikpunkte. Aber trotz der vielen kleinen Fehler, darunter die minimale aber doch leicht spürbare Überlänge als bedeutendster, des neuen Werks von Meisterregisseur Kim Ji-woon, ist das am Ende ein herausragender Rachethriller geworden, der mit Leichtigkeit so ziemlich alle Artgenossen der letzten Jahre gekonnt hinter sich lässt.
Wie für Ji-woon typisch, besticht auch dieser Film durch edle Sets und eleganter Kameraführung. Wobei Kim aufgrund der düsteren, dreckigen Thematik beide Stilmittel auf ein angemessenes Maß heruntergeschraubt hat, sodass die Sets nicht so edel sind wie bei BITTERSWEET LIFE und die Kamera nicht so elegant geführt wird wie bei THE GOOD, THE BAD, THE WEIRD. Ausnahmen bestätigen aber zum Glück die Regel, sodass bspw. bei einer furiosen Messerstecherei in einem Auto die Kamera wieder rasant durch das Treiben führt.
Neben dieser typischen Handschrift Ji-woons findet sich aber auch eine weitere, generell asiatische Handschrift im Film wieder, nämlich eine recht explizite Gewaltdarstellung. Wo andere die Kamera wegschwenken, hält Ji-woon knallhart drauf. Man sieht u.a. das Durchtrennen der Achillesferse, das Einschlagen mit einem Stahlrohr auf den menschlichen, (weiblichen) Schädel und diverse andere Ekligkeiten. Jedoch verkommt diese Darstellung hier glücklicherweise nie zum Selbstzweck. Sie führt durch die drastische und authentische Inszenierung eher dazu, dass man förmlich mitleidet, wohlgemerkt mit dem psychopathischen, hassenswerten Serienmörder, während man sich beim Anblick mancher gnadenloser Foltermethoden vom eigentlichen Rächer langsam abwendet.
Inhaltlich bietet I SAW THE DEVIL (und hier könnte man wunderbar auch die perfekt passende Doppeldeutigkeit des Titels hervorheben) ein überaus raffiniertes und niederschmetterndes Katz- und Mausspiel, eingebettet in einer tristen, pessimistischen Welt. Da wird eine Frau in der Nacht bewusstlos gekloppt und später bestialisch ermordet. Der Täter ist ein vollkommener Psychopath und der Verlobte der Ermordeten sinnt nach Rache, serviert in mehreren Akten. Hat man anfangs noch irgendwo Sympathie für den innerlich gebrochenen, verfallenen Polizist übrig, der seine Wut über den Verlust seiner Verlobten durch Rache kanalisieren will, so wird das mit zunehmender Dauer und Folter seltsamerweise schwieriger.
Denn ähnlich wie sich der scheinbar gute Protagonist später selbst fragen wird, hinterfragt man als Zuschauer spätestens nach der zweiten oder dritten Foltereinheit, was die Rache ihm eigentlich bringen soll. Seine Verlobte wird dadurch nicht lebendig. Trost findet er dadurch auch nicht. Seine Wut baut er ebenso nicht ab, im Gegenteil sie steigt noch. Genauso verspürt er scheinbar keinerlei Befriedigung bei seiner Rache. Kühl, kalt und berechnend geht er vor. Er weiß genau wo und wie er sein Gegenüber foltern kann und hat seine Rache sehr genau geplant. Er ist kein typischer, heroisierter Rächer aus einem plumpen Hate & Revenge-Klopper. Nach dem Tod seiner Verlobten scheint er nach und nach immer mehr Teile seiner nach außen hin normal scheinenden Fassade zu verlieren. Daher taugt er auch mit zunehmender Laufzeit immer weniger als Sympathiefigur.
Das ist umso erstaunlicher wenn man sich sein Gegenüber, den Serienkiller, vor Augen führt. Dieser ist nämlich eine Antipathiefigur par excellence. Er geht ebenso berechnend und kalt vor wie der ihn jagende Gesetzeshüter, zeigt keinerlei Emotionen, während er auf unschuldige junge Frauen einprügelt, diese ermordet und später zerstückelt. Er zeigt keine Reue, kennt das Wort wahrscheinlich nicht einmal und personifiziert das pure, unerklärbare Böse.
Last but not least, seien die bereits ganz oben erwähnten Darsteller genannt. Lee Byung-hun spielt erneut ganz groß auf als eiskalter, nach Rache durstender und innerlich gebrochener Polizist, der völlig ohne Gewissensbisse seinen perfiden Plan der Rache verfolgt. Ihm in nichts nach steht der beängstigende Choi Min-sik, der hier als emotionsloser, abartiger Psychokiller zu Höchstform aufläuft und dem Bösen eine der hässlichsten Fratzen der letzten Jahre verpasst. Zweifelsfrei tragen die beiden diesen Film durch ihr intensives Schauspiel. Zusammen mit Kim Ji-woon auf dem Regiestuhl ist hier ein fesselnder, schockierender und kompromissloser Rachethriller entstanden, der generell durch den Grundtenor und besonders durch die letzte Szene nochmal wunderbar verdeutlicht, warum er nicht in einen Topf mit den üblichen Selbstjustizreißern gesteckt werden darf.