Review

Finster, finsterer, nachtschwarz.
Es sind nicht selten die grimmigsten unter den ernsten Filmen, die den größten Eindruck hinterlassen und nachdem man schon fast jede optische Härte auf Zelloluid gebannt hat (und das mehrfach) muß die Stimmung eines Films inzwischen wieder für die Langlebigkeit im Kurzzeitgedächtnis herhalten. Südkorea hat da große Fortschritte gemacht, wo bisher die Amerikaner ihr schwarzes Herz ausgeschüttet hatten und mit "I saw the Devil" darf sich der Thrillerfan wieder mal auf ein paar Magenschwinger und eine lange, dunkle Reise durch die Nacht einstellen.

Der Zweikampf zwischen Polizist und Killer ist ja ein bekanntes und bewährtes Motiv, doch die Zugänglichkeit hängt für den überwiegenden Teil des Publikums von der Zeichnung der Antipoden ab, da greift man immer gern auf die bewährte Schwarz-weiß-Zeichnung zurück oder flechtet ein paar Grautöne ein.
Wenn man dann noch das Sujet der Selbstjustiz und der persönlichen Rache hinzu gießt, hat man eine schöne Kontroverse für den Biertisch danach praktisch garantiert, denn da kann jeder seinen persönlichen Gelüsten freien Lauf lassen, entweder die Verbrecher leiden zu lassen, Humanität zu wahren oder das Übel gleich in die nächste Welt zu pusten.
Kim-Ji-Woons Film spielt mit dieser Konstellation und spielt die Facetten von Aktion und Reaktion gnadenlos durch, obwohl der Zuschauer das Übel, das aus den Handlungen und Entscheidungen erwächst lange vorher kommen sieht.

Alles fängt mit einem Mord an und zwar einem, fast schon natürlich zu nennen, extrem brutalen und scheinbar sinnlosen Mord an der Ehefrau des Agenten Soo-Hyeon Kim, die allein auf verschneiter Straße mit einem Hammer traktiert und dann trotz angegebener Schwangerschaft gnadenlos ermordet und zerteilt wird.
Daraus resultieren natürlich Rachegelüste der besonderen Art, während der Täter schon wieder neue Opfer sucht (insofern ist die Personenkonstellation hier also dem Zufall überlassen). Die Psychologisierung ist dabei nebensächlich, genauso unverständlich wie die Taten eines realen Soziopathen erscheinen auch hier die Fixierungen des Täters Kyung-Chul, der einfach einen enormen Zorn auf Menschheit, Gesellschaft und Frauen ganz speziell schiebt, sie mißbraucht, sexuell nötigt und alles tut, um Dampf abzulassen.
Um so erschreckender wirkt da die Entscheidung des Polizisten, eine ganz neue und perfide Art der Verbrechensverfolgung anzustrengen. Der Film ist noch keine 45 Minuten alt (von fast 140), als er den Täter schon ausgemacht und aufgestöbert hat. Die Folge sind Überwältigung, Verstümmelung und dann eine erneute Freilassung, nachdem er den Bewußtlosen einen GPS-Sender hat verschlucken lassen. Das bedeutet: immer wieder aufstöbern, niederkämpfen, neu verstümmeln und wieder laufen lassen.

Mit dieser Radikalität ist schwer genug klar zu kommen, denn die "lange Leine", die fortan zum Einsatz kommt und die ohne genaue Kenntnis der wirklichen Abgründe des Killers installiert wird, birgt fortan ein kaum realistisches Gefahrenpotential. Persönliche Rache über die Sicherheit der Gesellschaft, denn Kyung-Chul erweist sich weder als demütig noch als lernfähig. Jeder Angriff steigert seinen Zorn und seine Verteidigungsbereitschaft, jede Wunde pusht ihn nur mehr an und man fragt sich, wann Unschuldige darunter zu leiden haben, da man als Zuschauer die Figuren besser kennt als die sich selbst.
Das führt zu einer heiklen Sequenz, in der der Killer zwei Personen in einem Taxi begleitet und schließlich nach einer längeren Diskussion ermordet, was als bloße Aktion pure Fassungslosigkeit provoziert, bis das Skript fieserweise offenbart, daß man es mit Individuen zu tun hatte, um die es jetzt nicht unbedingt schade war. Später jedoch tritt der Ernstfall dennoch ein, was die Vorgehensweise noch fragwürdiger macht, als sie ohnehin schon ist.

Die ebenso fragile wie risikoreiche Art der Balance zwischen Killer und Polizist provoziert eine intensive Wirkung: man wechselt ständig zwischen einer Art Mitgefühl zwischen beiden Figuren hin und her, da Recht und Unrecht verschwinden. Der ruchlose Mörder wird in der Defensive in unserem Hinterkopf zu einer halb schützenswerten Person auf der Flucht, die stets noch Schlimmeres zu erwarten, doch erweist er seine Umwelt gleichzeitig auch keine Gnade, was dieses paradoxe Gefühl wieder relativiert.
Die "lange Leine", die den Film so antreibt, könnte man gemeinhin als wenig durchdacht oder viel zu risikoreich ansehen, doch ist es genau das, was Kim-Ji Woon offenbar umtreibt. Schwarz und weiß existieren hier nicht mehr, vielmehr reiten sich beide Figuren immer weiter in die Ausweglosigkeit hinein und so fatal wie die Vorahnung daraus ist, so zielgerichtet steuert der Film auf eben diese Tragödie zu, ohne ihr auch nur einen Deut auszuweichen.
Zwischendurch erweist sich der Koreaner als durchaus genre-geschult, präsentiert eine Gesellschaft, die so moralisch fragwürdig und bisweilen heruntergekommen wirkt, wie Fincher sie in "Sieben" stilisiert hat (der Regisseur zitiert sogar mittels eines abgetrennten Kopfs die Schlüsselszene des US-Thrillers, indem er sie praktisch auf den Kopf stellt und ironisch breit tritt) und präsentiert überall Gefahren.
Praktisch aus dem Nichts baut er in die Mitte des Films einen halbverrückten Kannibalen und dessen ebenso marode Schwester ein, der wie eine Art alberner Arbeitskollege präsentiert wird, der jedoch ohne Anflug von Emotionalität offenbar zur Befriedigung seiner Menü-Gelüste reihenweise unschuldige Mädchen abschlachtet, zerteilt und zubereitet - wie geradezu beiläufig präsentierte Kamerafahrten beweisen.
Hier lauern an jeder Ecke Monstren und die am Ende sowohl Killer wie Kollegen verfolgenden typischen Filmpolizisten wirken sicher nicht zufällig wie eben diese: Kunstfiguren ohne den emotionalen Antrieb, noch irgendetwas Individuelles fühlen zu können.

"I saw the Devil" kann einen eher sanftmütigen Zuschauer ernsthaft verzweifeln lassen, die schier endlose Kaskade von Quälereien, Kämpfen, Morden und sonstigen Härten (sexuelle Nötigung, in der asiatischen Fassung auch noch Vergewaltigung) drückt das Publikum nieder und der manchmal anklingende Humor in diesem absurden Duell wirkt auf perverse Art nie wirklich erleichternd. In wunderschönen Bildern werden die Archetypen hier zu Grabe getragen und jede Aussicht auf Hoffnung und Erlösung niedergetrampelt, bis sich der Schmerz in der letzten Einstellung endlich einen Weg bahnt, doch alle Figuren enden auf ihre Weise im Nirgendwo.
Dabei wird die Visualisierung der Gewalt sehr dezent eingesetzt, zwar fließt Blut. liegen reichlich Leichenteile herum, aber die Anwendung der Gewalt geschieht nie exzessiv, die Zeigefreudigkeit gewinnt nur dann die Oberhand, wenn der Schmerz der Gewalt wirklich fühlbar werden soll, beim Bruch eines Knochens, beim Zerschneiden eines Bandes im Fuß, beim Schlag mit einem Hammer auf den Kopf. Archaisch ist allein die Tat, ein Aufgeilen an Extremen läßt Kim Ji-Woon zum Glück nie zu und so stumpft man über zweieinhalb Stunden auch nie ab, sondern harrt atemlos (und mit geschickt gesetzten Ruhepausen) der jeweils nächsten Runde im Todesringen der Kombattanten.
Nichts für spekulative Zuschauer aus der Saw-Fraktion oder Revenge-Fanatiker, sondern ein komplexer Thriller ohne abgestecktes Terrain oder typische Handlungsweisen, sondern eine Höllenfahrt, die stets vorgibt, kontrolliert zu sein, während die nagende Stimme im Hinterkopf diabolisch auf die finale Katastrophe zusteuert. (9/10)

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