Für Katrin, der ich es verdanke, diesen Text schreiben zu können:
"Naokos Lächeln" basiert auf einer Novelle des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami, der in "Norwegian Wood" 1987 die Phase Ende der 60er Jahre in Japan beschreibt, eine Zeit, die er selbst als knapp 20jähriger miterlebt hatte. In seinem Roman gelingt es ihm, das persönliche Empfinden eines jungen Mannes, Toru Watanabe, und den Aufbruch einer Gesellschaft so zu verbinden, das sich Viele in seinen Worten wieder fanden, auch ohne damals dabei gewesen zu sein.
Das gilt auch für den vietnamesischen Regisseur Anh Hung Tran, der, Anfang der 60er Jahre geboren, zum Zeitpunkt des Geschehens noch ein Kind war. Und er macht das einzig richtige - er verwandelt die Geschichte eines jungen Mannes, der sich in die depressive Freundin seines besten Freundes verliebt, nachdem dieser Selbstmord begangen hatte, in seine eigene Geschichte. Anders konnte er den Film nicht konzipieren, der als Roman eine persönliche Geschichte war und der von jedem Leser individuell verstanden wird - eine Anpassung an eine generelle Erwartungshaltung wäre von vornherein gescheitert. In einem Interview beschreibt er die Entstehung seiner Version, seine Beschränkung auf Japan und den Wegfall der Vergangenheitsform zugunsten eines Präsens, der bewusst "den rohen Schmerz der frischen Wunden" aufleben lassen sollte.
Sehr genau erkennt man seine persönliche Handschrift an der Musik des Films, weniger am generellen Score als an der gezielten Verwendung spezieller Musikstücke, ganz in der Tradition des Romantitels. Für diesen stand "Norwegian Wood" von den Beatles nicht zufällig Pate, denn der 1965 entstandene Song verwendete erstmals fernöstliche Klänge durch George Harrisons Spiel auf einer Sitar. Darin manifestierte sich ein Umdenken, letztlich die Öffnung des Westens hin zu anderen Kulturen. Im Film nimmt der Song eher eine Nebenrolle ein, auch wenn sein Text auf die Story hinweist - "I once had a girl, or should I say, she once had me".
Der Moment, als er im Film erklingt, ist sehr anrührend. Toru (Ken'ichi Matsuyama) besucht Naoko (Rinko Kikuchi) in dem einsam gelegenen Sanatorium, wo sie versucht ihre inneren Dämonen zu besiegen, während Reiko (Reika Kirishima), selbst Patientin und Musiklehrerin, sowie Naokos Begleiterin, den Song spielt und singt. Es ist ein Moment der Ruhe, der inneren Einkehr zwischen den Protagonisten, der so nicht mehr wieder kommen wird. Wenn man so will, ist "Norwegian Wood" der Kontrapunkt in Trans Film. Dagegen setzen drei andere Songs die Ausrufezeichen, die die Handschrift des Regisseurs tragen. Dieser arbeitet bewusst mit starken Kontrasten, die erst die inneren Verletzungen und damit die Wunden verdeutlichen.
Naoko war immer die Freundin von Kizuki (Kengo Kôra) und Toru ihr gemeinsamer Freund. Als Kizuki sich mit 17 Jahren umbringt, können Beide seine Tat nicht begreifen, fliehen von diesem Ort und voreinander, um sich in Tokio zufällig wieder zu begegnen. Tatsächlich ist der deutsche Titel "Naokos Lächeln" nicht schlecht gewählt, denn Naoko lächelt so gut wie nie. Sie befindet sich dauerhaft in einem depressiven Zustand, gegen den Toru fast verzweifelt ankämpft - die Momente, in denen es aus ihr herausplatzt, in denen sie schreiend von ihrem Inneren berichtet, wirken wie kurze Momente der Befreiung, auch wenn sie keine Erlösung bedeuten. Regisseur Tran betont diesen Zustand durch lange Landschaftsaufnahmen, düstere Farben und einen teils dissonanten Score, um den Kontrast zum Auftreten Midoris (Kiko Mizuhara) noch zu erhöhen.
Das es Tran um Schmerz, nicht um Leichtigkeit geht, wird an den beiden Stücken der Gruppe "Can" deutlich, die bei den ersten beiden Auftritten Midoris in langen Sequenzen erklingen - zuerst "Mary, quite contrary", später "She brings the rain". Sie entstanden erst kurz nach dem tatsächlichen Zeitgeschehen, stehen in ihrem Klang eindeutig für die Moderne und drücken die Gegensätzlichkeit, aber auch die Gefahr aus, die von Midori ausgeht. Immer mehr kristallisiert sich heraus, um was es in Trans Film geht - um den Mut zur Veränderung und den Schmerz, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, gerade weil sie einmal so schön war. Damit erreicht der Film einen generellen Aspekt, der weit über die ursprüngliche Story hinaus geht.
So plakativ diese Konstellation vordergründig klingen mag, so komplex wird sie im Film gestaltet. Toru wird hin und her gerissen zwischen seinen Emotionen für Naoko, die ihn nie wirklich an sich heranlässt, und Midori, die ihn zwar anzieht, selbst aber unfertig und wenig konsequent wirkt. Darin liegt die Stärke des Films, der sich bewusst auf diesen Konflikt konzentriert, auch die sehr interessante Nebengeschichte von Torus Kumpel mit dessen Geliebter nur am Rande behandelt, aber keine einfachen Antworten geben will. Es gibt keine Sicherheit, nur Wunden, die vielleicht niemals heilen, aber in den schwermütigen Klängen des "Indian Summer" von den Doors liegt ein Versprechen - selbst wenn die Trauer uns nicht verlässt, die Veränderung wird kommen (9/10).