Review
von Pyri
Der Realität ein Schnippchen schlagen
"Beginners" empfand ich als einen schonmal insofern außergewöhnlichen Film, da sämtliche SchauspielerInnen keine Rollen zu spielen scheinen, sondern sich selbst in unterschiedlichen Lebenssituationen. Dabei geht vom Film eine unglaublich assoziative Kraft und eine Beobachtungsgabe aus, die ihresgleichen sucht. Den Ansatz kannte ich von dem Regisseur zwar schon, doch erst hier scheint ihm das ohne aufgesetzte Sonderthemen und mit einem entsprechend aufgelegten Ensemble erstmals überhaupt zu gelingen auch umsetzen zu können.
Das wenige an Handlung das dazu vorhanden ist dreht sich um Oliver (Ewan McGregor), der kurz nach dem Krebstod seines Vaters (Christopher Plummer) eine junge französische Schauspielerin (Mélanie Laurent) kennenlernt. In Rückblenden erzählt der Film daraufhin die Erfahrungen welche Oliver mit seinem Vater in dessen letzter Lebenszeit gemacht hat: bemerkenswert und als Filmhandlung insofern tauglich, da dieser in der Zeit nicht nur an Krebs erkrankt ist sondern aufgrund seiner erstmals offen ausgelebten sexuellen Orientierung auch eine neue Kulturalität angenommen hat, samt neuen sozialen Beziehungen, einem neuen jungen Freund der ihn liebt usw.
Seine Spannung entwickelt der Film daraus, dass Oliver zu der Zeit ein höchst passiv auftretender Betreuer seines Vaters ist und er erst in der Filmgegenwart mit der Französin beginnt sein eingeschlafenes eigenes Leben zu überdenken, wobei die Erinnerungen an seinem Vater und eine Romantik mit dieser neuen Bekanntschaft ihm praktisch gemeinsam zu einem weiteren Durchstarten verhelfen. Ein Film über Krisen die eigentlich keine sind und Lebensenden die genauso gut neue Anfänge waren. "Beginners" ist ein demnach überaus dialektischer, Selbstbestimmung propagierender Film der Jugend und Alter, Leben und Tod auf eine natürliche Weise zusammenbringt und schließlich ganzheitlich zu vereinen versucht. Irgendwann verfasst Olivers Vater sogar einen Essay indem er Jesus neu sterben lässt, da sein alter Tod "entschieden zu gewalttätig" gewesen wäre: solcher Humor durchzieht den ganzen Film. "Beginners" bietet dabei keine psychologisierende Seelenschau sondern im wesentlichen Menschen die frei sind und trotzdem gesichert, sowie Offenheit ausstrahlen ohne sich dabei in die Karten schauen zu lassen und von denen man sich sicher sein kann, dass über den Film niemand Gefahr läuft deren Begegnungen und Aufeinandertreffen für authentisch zu halten. Die FSK-Freigabe finde ich insofern ebenso erstaunlich wie ich deren Richtlinien für durchschaubar oberflächlich halte. Ach ja: ein süßer kleiner Hund spielt zumindest anfangs auch mit.