Review
von Cineast18
Man kann durchaus sagen, dass mit diesem Film die aktuelle Welle großformatiger Comicverfilmungen aus Hollywood begann: Keiner war bis dato erfolgreicher und stilbildender gewesen als "Spider-Man". Regisseur Sam Raimi, der einst mit seiner ebenso knallharten wie verrückten Horror-Trilogie "Tanz der Teufel" Kultfilme in einem ganz anderen Genre gedreht hatte, verleiht der simplen Story um Peter Parker (Tobey Maguire), der nach dem Biss einer genmanipulierten Spinne zum Helden mit übermenschlichen Kräften mutiert und die Stadt gleich vor dem bösen Green Goblin (Willem Dafoe) beschützen muss, so viel Herz, Charakter und visuelle Prägnanz, dass "Spider-Man" vom Start weg als moderner Klassiker gehandelt wurde.
Und tatsächlich weist er gerade durch seine Einfachheit einige Vorzüge gegenüber späteren Comic-Blockbustern à la "The Avengers" auf. Das fängt schon damit an, dass er keine Überlänge nötig hat: Nach kaum 15 Minuten verwandelt sich der ehrgeizige Wissenschaftler per missglücktem Experiment in den Green Goblin, schon vorher wurde Peter von der Spinne gebissen, und es dauert auch nicht lange, bis sich beide Kontrahenten zum ersten beeindruckenden Duell treffen. Die Story ist trotz mehrerer wichtiger Nebenfiguren geradlinig und auf das Nötigste reduziert - und schafft es trotzdem, mit Peters unglücklicher Liebe zu Schulfreundin Mary Jane (Kirsten Dunst) und einem tragischen Vater-Sohn-Konflikt Thematiken einzuflechten, die dem Film einen Hauch von Tiefgründigkeit verleihen. So bleibt die metaphorische Bedeutung der körperlichen - und damit auch charakterlichen - Veränderung eines jungen Menschen stets spürbar.
Aber natürlich ist "Spider-Man" kein Charakterdrama, und so überzeugt er vor allem mit Spezialeffekten und krachenden Actionsequenzen auf der Höhe seiner Zeit. Auch wenn man einigen Szenen heutzutage ihre Computerherkunft allzu deutlich ansieht (speziell kurz vor dem Finale, wenn Spider-Man eine Gondel voller Kinder vor dem Absturz rettet), unterhält der Film durch äußerst rasante Kampf- und Actionszenen, die sich dem durchgehend hohen Tempo anpassen, ohne durch eine zu hektische Schnittfrequenz den Zuschauer zu überfordern. Überhaupt ist der Film sehr dynamisch inszeniert, die Kamera ist fast immer in Bewegung, lässt in leiseren Momenten den Figuren aber auch Raum zur Entfaltung. Dramaturgisch hat "Spider-Man" den meisten seiner Nachfolger hier einiges voraus.
Klar, Filmpuristen können dennoch einiges zu kritisieren finden. Die Figuren und ihre Handlungen bleiben größtenteils klischeehaft und vorhersehbar, einige Dialoge wirken gewollt tiefgründig, sind dabei aber eher plump, und das Gekreische von Mary Jane, die regelmäßig in Gefahr gerät, kann auf Dauer ganz schön nerven. Aber die meisten Filme, die eine Genre-Welle losgetreten haben, erzielten ihren Erfolg durch solcherlei Klischees. Und dafür entschädigt "Spider-Man" mit einer guten Portion Selbstironie, sympathischen Charakteren und einer ikonischen Kuss-Szene im Regen. Als kurzweiliger Action-Reißer mit Humor, Tiefgang und Niveau erfüllt er das Ziel eines nahezu perfekten Mainstream-Blockbusters jedenfalls völlig. Und nicht zu vergessen: Allein der heimliche Höhepunkt des Films, J.K. Simmons als hyperaktiv-cholerischer Redaktionschef, lohnt einen Blick.