Eines vorweg: Mit Comicverfilmungen kann man mich normalerweise jagen. Bisher sagten mir nur die beiden "Batman"-Teile von Tim Burton und der 78er Superman zu, der zwar naiv, aber immer noch unterhaltsam ist. Bei "Spider-Man" habe ich mich dem allgemeinen Run ins Kino nicht angeschlossen, auf DVD habe ich ihn auch links liegen gelassen, bis man mich vor kurzem auf einem Filmabend überzeugt hat, das Teil mal anzuschauen. Und ich war begeistert!
In "Spider-Man" findet man so gut wie nichts von dem, was in den Medien ständig herumgeisterte. Von wegen CGI-Overkill ohne Herzblut! Völlig unerwartet bekommt man zunächst eine Charakterstudie des jungen Peter Parker serviert, der bei Onkel und Tante wohnt und in der wichtigsten Phase seines Lebens (Pubertät) kaum Freunde findet. Typische Themen eines Jugendfilms werden angeschnitten, von der unerfüllten Liebe bis hin zur körperlichen Veränderung, hier in Form einer Mutation, ist alles dabei. Der Film wird dabei niemals langweilig, was vor allem den tollen Akteuren zu verdanken ist.
Im weiteren Verlauf bekommen CGI-Freaks doch noch ihr Eye-Candy, die Effekte sehen zwar etwas künstlich, aber stets spektakulär aus, wenn sich Spiderman durch die Wolkenkratzerschluchten Manhattans schwingt. Trotzdem: Sam Raimi erliegt nie der Versuchung, hier am laufenden Band das hohe Budget in Form von teuren Tricks zur Schau zu stellen, er lässt immer wieder die Gefühle der Protagonisten in den Vordergrund treten, garniert mit bittersüßem Humor.
Für einen Hollywoodfilm ist Bösewicht Norman Osborn ungewohnt ambivalent: Er sieht sich um den Lohn seiner Arbeit gebracht, als seine Firma dicht machen muss, weshalb er sich in Anflügen von Schizophrenie in den "Grünen Kobold" verwandelt. Eine tragische, gespaltene Figur, deren Motivation zu klären es der Film nicht ganz schafft, einer der wenigen Schwachpunkte. Zunächst müssen nämlich nur Firmenverantwortliche dran glauben, später jeder x-beliebige. Warum, wird nie so recht klar. Etwas enttäuschend auch die Maske, die recht nach Plastik aussieht.
Auf einer Brücke kommt es schließlich zum Showdown zwischen Spiderman und dem Kobold, ursprünglich sollte der Schauplatz ja das World Trade Center sein. Beim Finale sieht man nicht viel neues, fast besser ist die Abschlussszene auf dem Friedhof, welche die Grundstimmung des Films noch einmal perfekt einfängt. Absolut traurig, wenn Kirsten Dunst in Tränen ausbricht, da möchte man fast mitheulen.
Einen großen Dank möchte ich an die Verantwortlichen des Castings aussprechen. Tobey Maguire ist für die Rolle des Spiderman wie geschaffen, obwohl es im Vorfeld viele kritische Stimmen ob seiner Verpflichtung gab. Meiner Meinung nach gibt es keinen besseren, der den zunächst unsicheren Peter Parker und später starken, aber gerechten Spiderman darstellen kann. Kirsten Dunst ist eine echte Wucht, endlich mal keine Standard-Sexbombe aus Hollywood, sondern ein liebes Mädel von nebenan, das echt begehrenswert, weil so lebensnah, ist. Filmgeschichte könnte ihr Kuss mit Tobey Maguire im Spidermanköstum schreiben, eine perfekt getimte, gefühlvolle Szene!
Willem Dafoe bringt als Bösewicht eine überzeugende Vorstellung (Outtakes auf DVD unbedingt anschauen!), von den Nebendarstellern ragt der herrlich fiese J.K. Simmons als Chefredakteur heraus.
Ich weiß gar nicht, wie ich Sam Raimi für dieses Meisterstück danken soll, das es geschafft hat, meine leichte Abneigung gegenüber Comicverfilmungen verblasen zu lassen und das mir nicht nur superunterhaltsame, sondern auch nachdenkliche zwei Stunden beschert hat. Die großen Stärken liegen in der Besetzung und im Drehbuch, das es schafft, sämtliche Charaktere wie aus dem echten Leben gegriffen erscheinen zu lassen.
Da ist echt für jede Altersgruppe und jeden Geschmack was dabei, ein perfekt ausbalancierter Film, von dem man mit Recht behaupten kann, dass er das Zeug zum Klassiker hat.