Der besondere Wert einer guten Comic-Verfilmung mißt sich nicht selten an der Mischung aus werkgetreuer Umsetzung des Comichaften und der Adaption filmischer Elemente.
Allerdings lassen sich eher filmisch denkende Regisseure regelmäßig dazu verleiten, zum Zwecke eines totalen Effektespektakels etwas völlig Neues zu schaffen. Das ging dann auch meistens schief, denn ohne Herz und Substanz fehlt selbst Fans etwas Elementares.
Woran liegt es also, daß gerade "Spider-Man" Lucas' "Episode 2" so gründlich verblasen hat, daß der jetzt noch Einzelteile aufliest?
Zum einen: "Spider-Man" ist einer der ureigensten amerikanischen Comics, zwar noch nicht so alt wie Superman, aber stattdessen der Real American Hero. Ein einfacher Mann aus dem Volk, dessen Kräfte gleichzeitig Gabe und Fluch sind und der neben seinen unheimlichen Supergegnern auch stets mit seinem Privatleben zu kämpfen hat, daß sich nicht selten ähnlich schwierig gestaltet. Hier ist Peter Parker noch dazu frisch von der Schule in seine berufliche Laufbahn (Foto-Reporter) gestartet und das bringt dem Film einige ergötzliche Teenager-, Pubertäts- und Coming of Age-Anleihen ein, die das halbwüchsige Publikum hordenweise in den Film treibt. Noch dazu mit (unglücklicher) Liebesgeschichte, elterlichen Konflikten und FX, das ist die perfekte Mischung.
Allerdings muß man Regisseur Sam Raimi auch zugute halten, daß er den comichaften Stil wunderbar eingefangen hat. Der Film funktioniert als Bildergeschichte ebensogut wie als Film und das ist die Essenz des Comics auf Zelluloid eingefangen. Allerdings widmen wir uns hier nicht dem völligen Overkill, sondern präsentieren eine ganz andere Art von Geschichte, in der die Superheldeneinlagen mehr der Zuckerguß auf der Torte sind.
Wesentlich anrührender und interessanter gestaltet sich nämlich das eigentliche Schicksal Peter Parkers, der durch den Spinnenbiß eine genetische Mutation durchmacht und sich mit diversen neuen Sinnen und Kräften ausgestattet morgens vorfindet. Hier wird sich jeder Teenager in Wünschen und Ängsten wiederfinden, vor allem da er sich in einem (sic!) Spinnennetz von verwandtschaftlichen Beziehungen wiederfindet, bei der jeder Eingriff schwerwiegende Folgen für sein eigenes Leben hat.
Zu schüchtern, um seine geliebte Mary Jane Watson anzusprechen, verliert er sie an seinen Freund, mit dem er allerdings die Wohnung teilt. Der wiederum verschweigt ihm das, weil er außer viel Geld nicht Peters Talent hat und ihn nicht kränken möchte. Mary Jane gerät selbst nach und nach in die Zwickmühle, während der freundliche Vaterersatz Norman Osborn (gleichzeitig Vater seines Mitbewohners) auch gleich noch sein Erzfeind "Gründer Kobold" wird, während die Osbornes selbst erzieherische Konflikte austragen, die wiederum das Verhältnis zwischen Harry und Mary Jane belasten.
Das wahre Spinnennetz ist also das, in dem alle Beteiligten hängen, so daß die Geschichte immer wieder mit Tragik (und stiller Tragikomik) gemischt wird. Als Aufheiterung und Kontrast funktioniert da die Superheldenstory, wenn aus dem Schüler der gerechtigkeitsliebende Spider-Man wird. Von den üblichen Entdeckungs- und Trainingsjokes, bis zu fx-geladenen Jagdsequenzen ist da alles dabei und es wird schön breit ausgewalzt, wenn auch das Gewicht des Films (sicher ungewohnt für viele Zuschauer) auf der emotionalen Ebene liegt.
Lacher und Bedrückung halten sich aber geschickt die Waage, weswegen das Ergebnis auch für alle Altersklassen brauchbar ist.
Trotzdem hat auch dieser Film mit einigen Schwächen zu kämpfen, die das Vergnügen zeitweise trüben.
Eklantantester Fall ist die totale Künstlichkeit sämtlicher Tricks. So wunderbar und schwindelerregend der Zuschauer den Schwingversuchen folgen kann, weil die Kamera immer auf der Höhe der Action ist, so ungelenk und computergeneriert wirken bisweilen die Spiderman-Kreationen. Superflüssige Bewegungen (wie wir sie schon in Blade 2 hatten) wechseln ab mit abgehacktem Laufstil auf den Dächern (der in "Herr der Ringe" störte). Zwar gelten die Tricks im Fandom als sozusagen perfekt, doch der Hyperrealismus eines künstlich erschaffenen New Yorks wirkt eher befremdend leblos.
Nur eine der Actionsequenzen (nämlich die erste beim Unity-Festival) ist wirklich ein Fest, spätere Sequenzen und vor allem das Finale mit der Seilbahn fallen doch stark ab.
Dazu kommt ein relativ schwacher Supergegner, dessen Herkunft zwar im Zusammenhang interessiert, der aber sonst nicht viel hergibt. Eine furchtbar starre und nach Kinderspielzeug aussehender Helm wirkt in Großaufnahmen eher albern, eine flexible Maske wäre da sicherlich interessanter gewesen.
Genauso unterentwickelt bleibt leider die Motivation des Norman Osborn alias Green Goblin.
Seinen Unfall hat er versehentlich bei einem Selbstversuch, sein Rachefeldzug geht gegen die Vorstandsmitglieder, die ihn rauskegeln wollen. Als diese beim ersten Anschlag sterben, fällt die berufliche Komponente und das Schicksal der Firma "Oscorp" aus dem Film raus und alles wird zum persönlichen Fight, ohne das wir noch eine Zeile über den weiteren Verlauf erfahren.
Spider-Mans Kostüm ist zwar schön anzusehen, es fehlt jedoch der "fremde" Look, der es von anderen Textilien abhebt. Ebenso schön gespart wurde dann auch noch an den Kostümen von Kirsten Dunst, die sich hier gleich reihenweise mit supertiefen Ausschnitten oder durchnäßten Kostümen, die die Oberweite optisch betonen herumschlagen muß. Ein Großteil ihrer Rolle fällt außerdem auf infernalische Kreischerei.
Aber das ist im pubertären Sinne okay, denn wie könnte man gewisse sexuelle Parallelen übersehen, die sich nach Peters "Veränderung" dem Betrachter geradezu aufdrängen, wenn sich u.a. sein Körper verändert oder er unkontrolliert eine weißliche Substanz verschießt (ahem...) und man das vor den Elternersätzen geheimhalten muß.
Die Besetzung selbst ist hervorragend. Tobey Maguire ist ein Idealfall (ebenso wie J.Jonah Jameson, einfach herrlich...), während Kirsten Dunst mal ein Love Interest darstellt, der nicht so typisch schön ist, sondern eher speziell. Willem Dafoe bietet eine starke, gar nicht unsympathische Leistung und es ist schade, daß im Kostüm des Goblin von seiner Ausdrucksstärke nichts übrig bleibt.
Gut auch James Franco als Peters bester Freund (und Spider-Mans künftiger Gegner) und Cliff Robertson als Peters Onkel.
Ebenso perfekt sind Ausstattung und Kamera, während sich Danny Elfman, mein bevorzugter Kompositeur, schon mal Einprägsameres hat einfallen lassen.
Damit bleibt am Ende eine vor allem emotionale (und zeitweise visuelle) Achterbahn, die gar nichts von dem totalen Effektspektakel hat, daß man hätte erwarten können. Stattdessen bekommt man mehr von der menschlichen Seite zu sehen, was zwar manchmal arg in den Kitsch abrutscht (vor allem bei der schwärmerischen Liebeserklärung und am Schluß auf dem Friedhof), aber dem Film jeglichen nüchtern-kalt-sterilen Touch nimmt.
Wer aber auf den hypermodernen Spiderman mit Action-Overkill wartet, kann gleich wieder Koffer packen. Das hier ist der klassische Spider-Man von 1962, eins zu eins in die Gegenwart versetzt und von einem Comic-Fan mit Liebe inszeniert. Sollte fortgesetzt werden. (7,5/10)