Oscar und Golden Globe – die Anerkennung für das von Matt Damon sowie Ben Affleck verfasste Drehbuch zu “Good Will Hunting” fiel überaus euphorisch aus. Während sich Ersterer in den Folgejahren als hochgeschätzter Darsteller etablierte, konnte Letzterer für seine künftigen Auftritte weit weniger schmeichelhaftes Lob ernten. Die negativen Stimmen verstummten jedoch bald, als Affleck sein Hauptfach wechselte und auf dem Regiestuhl Platz nahm – sein ebenfalls von ihm geschriebenes Debüt “Gone Baby Gone” wurde von den Kritikern sehr wohlwollend aufgenommen. Nun präsentiert Affleck seine zweite Regiearbeit, in welcher er sogar noch eine weitere Aufgabe übernimmt: Neben Skript und Inszenierung zeichnet er sich in “The Town“ auch für die Hauptrolle verantwortlich. Der mitreißende Gangster-Thriller, welcher nicht selten mit der Genre-Legende “Heat“ in Verbindung gebracht wird, unterstreicht ein weiteres Mal Afflecks Talent als Filmemacher.
Charlestown, ein Viertel in Boston, ist seit Generationen eine Brutstätte von Bankräubern. So hat sich auch die Crew um Doug MacRay (Ben Affleck) dieser zweifelhaften Profession verschrieben. Während eines Überfalls kommt es zu einer unvorhergesehenen Komplikation: Um eine reibungslose Flucht zu gewährleisten, nimmt der impulsive Jem (Jeremy Renner) die Filialleiterin Claire (Rebecca Hall) als Geisel. Nach ihrer Freilassung stellt sich heraus, dass sie nur wenige Blocks entfernt und somit im unmittelbaren Umfeld der Täter wohnt. Doug soll nun in Erfahrung bringen, ob Claire sein Team in irgendeiner Form belasten könnte. Dabei kommt er der vermeintlichen Zeugin jedoch ungewollt nah; zwischen den beiden entwickelt sich eine Liebesbeziehung. Diese brisante Romanze stellt jedoch nicht die einzige Gefahr dar - der verbissene FBI-Agent Frawley (Jon Hamm) ist der Gangster-Bande bereits auf der Spur…
Mit Michael Manns Meisterwerk “Heat“ in einem Satz genannt zu werden, stellt zweifellos eine unglaubliche Ehre dar. Ob der so oft angebrachte Vergleich jedoch wirklich passend ist, darf kritisch hinterfragt werden. Ganz davon abgesehen, dass “The Town“ trotz seiner außerordentlichen Qualität noch ein gutes Stück von der Klasse der übermächtigen Gangster-Ballade entfernt ist, setzt Affleck auch einen deutlich anderen Fokus als Mann. Während Letzterer beiden Parteien gleichviel Spielraum gewährt, konzentriert sich der Jungregisseur klar auf die Verbrecher - der Gegenseite wird weitaus weniger Zeit für charakterliche Tiefe oder gar Entwicklung zugestanden. Dieser Blickwinkel ist jedoch keineswegs von Nachteil. Auf diese Art wirkt “The Town“ ungleich kleiner, und daher auch intimer als der epische Genre-König. Vorwürfe einer Kopie kommen somit gar nicht erst auf, beide Streifen können problemlos koexistieren.
Natürlich gibt es auch einige Parallelen zwischen den beiden Gangster-Thrillern, welche die häufigen Referenzen rechtfertigen. Diese Gemeinsamkeiten manifestieren sich in der realitätsnahen Darstellung des Alltags der Kriminellen. Neben der bodenständigen, und gerade deshalb so intensiven Nachstellung der illegalen Tätigkeiten inklusive ihrer Adrenalin fördernden Zwischenfälle bezieht sich diese Herangehensweise auch auf das Ausleuchten des privaten Lebens, wobei die Frage, inwiefern man das Dasein als Verbrecher mit einer Beziehung in Einklang bringen kann, im Mittelpunkt steht. Affleck setzt all diese Aspekte souverän in Szene. Vor allem die Raubüberfalle, die aufgrund ihrer zunehmenden Länge und Intensität einer stetig steigenden Spannungskurve unterliegen, werden mitreißend bebildert. Die Kamera bleibt oft nah am Geschehen und macht das hektische Chaos greifbar, jede Auseinandersetzung ist von einer realistisch-rauen Härte geprägt. Speziell das furiose Finale stellt einen krachenden Höhepunkt dar.
Doch auch die ruhigen, dramatisch angehauchten Passagen wissen dank der wirklichkeitsnahen Betrachtung zu gefallen. Die Romanze wirkt zu keiner Zeit gekünstelt oder zu ausladend, die langsame Annäherung der beiden verläuft ebenso nachvollziehbar wie rührend und nimmt nie mehr als den für die Handlung nötigen Platz ein. Als diese gefühlvolle Zweisamkeit schließlich um die aufbrausende Mentalität von Dougs langjährigem Freund Jem ergänzt wird, offenbart sich, dass Affleck auch Momente subtiler Spannung gekonnt inszenieren kann. Generell stellt die Beziehung zu dem unberechenbaren Hitzkopf ein interessantes Konfliktfeld dar; obwohl Doug ihn wie ein Bruder sieht und ihm viel zu verdanken hat, will er sich doch endlich von seinem alten Leben und somit auch von Jem losreißen. Vollendet wird die gelungene Geschichte schließlich von einem nur bedingt versöhnlichen Schluss, welcher den Hauptcharakter für seine Ziele mit einem hohen Preis bezahlen lässt.
Das starke Drehbuch wird von größtenteils tollen Darstellern getragen. Den schwächsten Part stellt dabei erwartungsgemäß leider Affleck selbst dar; seine Leinwandpräsenz kann nach wie vor nicht im selben Maß wie sein inszenatorisches sowie schreiberisches Können überzeugen. Das hölzerne Spiel während der Maskerade gegenüber seiner Geliebten mag vielleicht noch passend sein, doch auch in den anderen Szenen stehlen ihm seine Kollegen regelmäßig die Show. Besonders Rebecca Hall als traumatisiertes und daher nun zerbrechliches Opfer sowie Jeremy Renner als heißblütiger, aber dennoch loyaler Bankräuber wissen die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Jon Hamm kann seine relativ wenigen Szenen ebenfalls mit einer eindringlichen Performance ausgestalten, während Blake Lively mit ihrer völlig fertigen Erscheinung gegen ihr hochglanzpoliertes "Gossip Girl"-Image anspielen darf.
Fazit: “The Town“ besticht durch einen realitätsnah gehaltenen und daher intensiven Einblick in das Leben von Bankräubern aus Charlestown. Aufregend gefilmte Überfälle stehen dabei in einem packenden Wechselspiel mit ebenso ruhigen wie emotionalen Sequenzen, die von überwiegend überzeugenden Schauspielern bereichert werden. Hätte Ben Affleck einen seiner vielen Posten abgegeben und einen talentierteren Hauptdarsteller engagiert, wäre womöglich ein Genre-Klassiker entstanden. So bekommt man zwar kein zweites “Heat“, aber dennoch einen mitreißenden Gangster-Thriller von sehr guter Qualität geboten.
8/10