Review

„Boston Illegal“


Bankräuber genießen im Allgemeinen weit mehr Sympathien als andere Kriminelle. Das liegt zum Großteil sicher an der weit verbreiteten Unbeliebtheit von Geldinstituten, denen insgeheim nicht wenige den ein oder anderen Geldaderlass durchaus gönnen. Zudem kommen die anwesenden Kunden meist glimpflich davon - sofern sie nicht den Helden spielen - , da die Gangster hauptsächlich von rein monetären Interessen angetrieben werden und in der Regel kein Interesse an Gewaltanwendung oder gar Mord haben. Selbst wenn es zu heftigen Schießereien mit den Ordnungshütern kommt, sympathisieren viele weiterhin eher mit den Verbrechern. Das gilt insbesondere für den Spielfilm.

Dieses Phänomen ist auch im besten Genrebeitrag der letzten 20 Jahre gut zu beobachten. In Michael Manns Heat fiebert man bis zum Schluss mit Gangsterboss Robert de Niro und hofft insgeheim, dass er am Ende davonkommt und seinen Verfolger Al Pacino austrickst. Eine ganz ähnliche Konstellation ist aktuell in der zweiten Regiearbeit des Schauspielers Ben Affleck zu bewundern.
Auf den ersten Blick mutet The Town gar wie ein Remake von Heat an. Ach hier geht es um eine hochspezialisierte Bankräubertruppe, die ihre hoch dotierten Fischzüge mit äußerster Präzision und wenn nötig auch mit äußerster Härte durchzieht. Schauplatz ist allerdings nicht L.A., sondern das statistisch belegte Bankräuber-Eldorado Boston. FBI und örtliche Polizei sind der Bande aber auch hier dicht auf den Fersen, können den ausgebufften Profis aber nichts nachweisen und scheinen immer einen Schritt zu spät. Erst als es ihnen gelingt eine Person aus dem privaten Umfeld der Gangster unter Druck zu setzen, bringt sie das in Schlagdistanz und die Verfolgten in arge Bedrängnis. 
Auch die Figurenkonstellationen erinnern stark an den Michael Mann-Hit. Ben Affleck spielt den besonnenen Doug, sowohl Anführer wie auch Gehirn der Bande. Jeremy Renner gibt seinen aufbrausenden Jugendfreund Jam, dessen ausgeprägter Hang zur Brutalität und sein stetes Verlangen nach dem nächsten großen Ding immer mehr zum Problem werden. Zumal Doug schon länger ans Aufhören denkt und sich fernab von Boston zur Ruhe setzten will. Ein Anliegen das auch den im Hintergrund operierenden Pete Postlethwaite ein Dorn im Auge ist, schließlich verdient er als Auftraggeber und Informant kräftig an den jeweiligen Raubzügen mit.
  
Trotz dieser offenkundigen Ähnlichkeiten ist The Town kein Abklatsch von Heat. Affleck setzt andere Schwerpunkte als Mann und legt seinen Film auch weniger episch an. Hier gehr es nicht um das psychologisch aufgeladene Duell zweier Fanatiker, die sich hauptsächlich darin unterscheiden auf verschiedenen Seiten des Gesetzes zu stehen. Zwar heftet sich FBI-Agent Adam Frawley (Jon Hamm) ebenfalls wie ein Bluthund an die Fersen der Gangsterbande und arbeitet auch mit ähnlichen Methoden wie sein Heat-Pendant Vincent Hannah. Er bleibt allerdings lange Zeit im Hintergrund und gewinnt erst im Finale entscheidend an Profil. Im Zentrum steht hier eindeutig Ben Afflecks Charakter mit all ihren inneren wie äußeren Konflikten. Vor allem Dougs Beziehung zur Bankangestellten Claire (Rebecca Hall) treibt die Handlung voran und beeinflusst diverse Figurenkonstellationen. 
Claire wurde bei einem ihrer Raubzüge als Geisel genommen und nach erfolgreicher Flucht frei gelassen. Trotz ihrer Maskierung ist sich die Bande unsicher, ob sie nicht durch Claire identifiziert werden kann. Also beginnt Doug sie auszuhorchen und verliebt sich dabei in sie. Als Jam dahinter kommt, zeigen sich erste Risse in der Freundschaft zu Doug. Aber auch das FBI beobachtet Claire, vor allem als sie eine Beziehung zu einem der Hauptverdächtigen eingeht. Claire wiederum ahnt nichts von Dougs wahrer Identität und plant Boston mit ihm zu verlassen.
Dieses komplizierte Figurengeflecht macht einen Großteil der Spannung von The Town aus. Man spürt förmlich wie sich die Schlinge um Doug immer enger zieht und er verzweifelt versucht die vertrackte Situation zu meistern. Verfolgt von einer hartnäckigen und entschlossenen Ordnungsmacht, unter Druck gesetzt von seinem besten Freund und einem eiskalten Auftraggeber sitzt Doug zwischen allen Stühlen.
 
Regisseur Affleck versteht es geschickt die Spannungsschraube bis zum eruptiven Schlussakkord permanent anzudrehen, ohne seine Figuren und deren Gefühlswelt zu vernachlässigen. Er inszeniert flüssig und rhythmisch und zieht damit den Zuschauer förmlich in seine Filmwelt hinein. Vor allem die drei Raubüberfälle strukturieren die Handlung indem sie jeweils Dougs Situation widerspiegeln. Beim ersten Banküberfall läuft noch das Meiste nach Plan und die Flucht gelingt relativ souverän. Wir erleben den Profi Doug, der Situation wie Komplizen im Griff hat und die richtigen Entscheidungen trifft. Beim zweiten Raub meldet er im Vorfeld Zweifel an, die sich auch prompt bewahrheiten. Er denkt bereits ans Aufhören und steht nicht voll hinter der Sache. Hier kommt es erstmals zu heftigen Schusswechseln und die vier entkommen nur mit knapper Not. Den finalen Coup    führt Doug schließlich lediglich noch unter Zwang aus (ihr Auftraggeber droht mit der Ermordung Claires). Hier entladen sich die angestauten Frustrationen und Emotionen in einer regelrechten Gewaltorgie, bei der es auf beiden Seiten zu enormen Verlusten kommt.
Alle drei Raubüberfälle sind von brachialer Wucht, wobei Intensität und Tempo eine stetige Steigerung erfahren. Die Handkamera ist hier seit langer Zeit wieder einmal sinnvoll und gewinnbringend eingesetzt worden. Präzision und Geschwindigkeit, aber auch Kompromisslosigkeit und Brutalität der Aktionen werden unmittelbar erfahrbar. Die ruhigen Momente danach bremsen den Film keineswegs aus, sondern bauen jeweils neuen Konfliktstoff auf, der sich dann wiederum in der nächsten Actionszene entlädt.
  
Neben der stringenten Regie kann The Town mit einem hervorragenden Cast punkten. Der häufig gescholtene Ben Affleck kann endlich mal wieder als Schauspieler überzeugen und macht seine kriminelle Figur  zum klaren Sympathieträger. Jeremy Renner liefert nach The Hurt Locker erneut eine Glanzleistung als unberechenbarer Hitzkopf Jem. Der mit der TV-Serie Mad Men bekannt gewordene Jon Hamm hat zwar vergleichsweise wenig Screentime, die er aber als verbissener FBI-Spürhund optimal nutzt. Dazu kommen noch Pete Postlethwaite und Chris Cooper, die selbst in kleinsten Nebenrollen brillieren.
 
Mit The Town ist Regisseur Ben Affleck zweifellos der beste Gangster-Thriller seit Heat gelungen. Dramatik, Action und Spannung werden hier zu einer Einheit verwoben, die den Zuschauer unweigerlich in seinen Bann zieht. Zwar weniger episch und bildgewaltig als der Michael Mann-Film, überzeugt The Town vor allem mit einer Milieustudie eines Bostoner Gangsterviertels und einer geschickt angezogenen Spannungskurve. Hier fiebert man bis zum Ende mit, eine Leistung die auch Genre-immanent keineswegs selbstverständlich ist.

(8,5/10 Punkten) 

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