Review

Ojai, Kalifornien. Olive Penderghast (Stone) ist ein nettes Mädchen. Sie hatte nie wirklich Stress in der Schule, hat ein kleines, aber weitestgehend funktionales freundschaftliches Netzwerk und lebt in einer ebenfalls funktionalen Patchwork-Familie. An einem Wochenende lügt sie sich aus einer Camping-Tour zusammen mit der etwas wunderlichen Familie ihrer Freundin Rihannon heraus, indem sie ein Wochenende mit einem erfundenen Freund vorschiebt. Montags darauf lässt sich Olive vom Übermut der Freundin allerdings hinreißen und phantasiert ein sexuell spannendes Wochenende zusammen. Doch der Lügen kurze Beine halten vielleicht nicht sonderlich lange, rennen aber ziemlich flink und verselbstständigen sich. Da die Quatschtüte der Schule die erlogene Geschichte mitbekommt, verbreitet sich die Story über diverse Kanäle, so dass Olive sehr schnell als der neue Vamp der Schule gebrandmarkt wird. Für den Anfang gefällt ihr die Rolle sehr gut, da sie die Aufmerksamkeit ein bisschen genießt. Als sie das gesamte Thema mit einem – stockschwulen und dafür in der Schule stark gegängelten - Schulkameraden (Byrd) bespricht, hat er die Idee, beide könnten davon profitieren, wenn sie auf einer reichlich besuchten Party sexuelle Aktivitäten nachstellen würden. Gesagt – getan. Entsprechend der sozialen Rolle bekommt der – eigentlich noch immer schwule – Mitschüler die Anerkennung.

Und was geschieht mit Olive?


Außenseiter

Was folgt ist eine Interpretation des klassischen ‚Scarlet Letter’ Themas. Die Geschichte behandelt die soziale Dimension von überzogener Moralvorstellungen und der Ächtung von Mitgliedern einer Gemeinde, die den Idealen nicht genügen. Es geht darum, dass die Hauptfigur gemeinschaftliche Ächtung erfährt und zur Offenlegung der Ächtung eben einen ‚scharlachroten Buchstaben’ trägt, der sie als geächtete Person identifiziert. Die Geschichte spielt damit, inwieweit die Figur eben diese Ächtung wegen dem eigenen Verstoß gegen die Moral akzeptiert und sich mit dieser identifiziert oder eben dagegen ankämpft und sich eventuell gegen die mitlaufende Mehrheit durchsetzen kann. „Easy A“ erzählt, wie Moral auch im aktuellen Kontext eine starke soziale Komponente ausmacht, was sich nicht so einfach überwinden und lösen lässt. Olive ist ja nun eine Person, die natürlich auf ihre ‚Peers’ einwirkt, jedoch auch die Macht der ‚Peers’ spürt und sich ihrer Identität nicht mehr vollends sicher sein kann, da soziale Rollen auch vom Netzwerk definiert werden. Jungs werden üblicherweise für Sex geachtet, Mädchen, die häufig wechselnden Geschlechtsverkehr praktizieren, geächtet. Und hier ist das eben noch nicht mal wahr. Und Olive feiert ihre neue Rolle mit einem entsprechenden befestigten Zeichen. Was also hier vorliegt ist eine klassische Story in Zeiten von Facebook und Twitter - mit Pauken und Trompeten.

Sie führt mit dem Offensichtlichen vor, was die Gruppe aus ihr machen will. Doch letztlich ist Olive die gesamte Geschichte über eigentlich nie richtig glücklich, sie bleibt den Film über eine tragische Person, die sich nur mit ihrem eigenen in der Handlung liegenden Humor durch alle Situationen rettet. Und das ermöglicht dem Zuschauer, mit dem Charakter mitzufühlen.


Klassensprecher

Während Olive in ihrem Off-Kommentar über die Ereignisse und Eindrücke berichtet, ihre Motive darlegt, definiert parallel der Film die Handlung. Beides ergänzt sich vollständig und wird nie rein deskriptiv. Am Ende fallen beide Zeitlinien zusammen und machen den Zusammenhang offensichtlich. Emma Stone spielt die Rolle der Olive Penderghast. Und sie ist die Seele des Filmes. Es ist ein Zauber, der da über den Screen rauscht. Mimik, Acting sowie die Sprache ihrer Augen, insbesondere wenn etwa in einer Szene die Emotion kippt, sind ein schauspielerisches Fest.

Was ganz besonders gelöst ist, ist hierbei die Tiefe des sozialen Handelns, denn Emma Stone setzt hier in Perfektion um, was man in Filmen sonst nicht so einfach zu sehen bekommt: Menschliches Verhalten. Sie weist gängige Übersprungshandlungen für soziale Situationen auf, wie ein unbedeutendes Kratzen am Arm in einer Konversation. Wofür man sie zum Beispiel herzen möchte, ist ihre sympathische Darstellung, als sie zu einem Date eingeladen wird und erst leicht nervös mit dem Essen herumspielt und sich dann voller Rührung freut. Genau diese Details werden nie explizit angesprochen, aber augenscheinlich dargestellt. Ihr phantastischer Laberflash bei dem Date zeugt von der Konsequenz dieser Darstellung. Die non-verbale Ebene des Filmes ist überhaupt sehr spaßig, man beachte nur den Hund der Familie Penderghast.

Überraschend ist der subtile Humor, der in der Sprache liegt. „Easy A“ unterlässt es, ‚echte Witze’ zu klopfen. Es gibt nie eine Zeile um des Witzes Willen. Szenen oder Zeilen stellen immer eine gewisse Tiefe, z.B. eine Reminiszenz, oder ganz simpel eine Absurdität oder einen Vergleich dar, was verhindert, dass die Dialoge jemals banal werden. Einige Gags verweisen auch direkt auf echte Geschehnisse, was ohne die Kenntnis über den Hintergrund nicht funktioniert. Der Humor bleibt damit zwar etwas schwer greifbar, dennoch möchte man sich konsequent kaputtlachen, ohne jedoch die Pointen so richtig zu erkennen. Diese Magie wird ergänzt durch ihre Erzählung aus dem Off, die sich als roter Faden durch die Erzählung zieht. Stones etwas heisere und charakteristische Stimme bewirkt eine Glaubwürdigkeit und Kraft, die den Film zu einem Unikat werden lässt.


Schulliteratur

Das Drehbuch von „Easy A“ ist fast würdig, in einem Lehrbuch abgedruckt zu werden. Mehrere essenzielle Dinge sind hier in reiner Form beachtet und umgesetzt worden. Lektion Nummer eins wäre: Die Heldin agiert! Eine Titelfigur erhält nur die Sympathie des Zuschauers, wenn sie die hauptsächlich agierende Figur des Filmes bleibt. Das setzt der Film konsequent um, indem er Olive komplett in den Fokus nimmt. So finden alle Konflikte, denen Olive begegnet auf persönlicher und direkter Ebene statt, jedoch nie auf gesamtgesellschaftlicher. Das Lauffeuer der Gerüchte wird von der Handlung ausgeblendet und geschieht buchstäblich im Zeitraffer. Der gesamte Film hält Olive im Fokus des Geschehens und treibt die Erzählung voran, ohne nach rechts und links zu blicken. Definierende Konstrukte, wie zum Beispiel die soziale Klassifizierung der Charaktere, etwa die Berufe von Olives Eltern, die nähere Charakterisierung selbst der agierenden Charaktere wird ausgespart. Zwar bekommt man die Ausläufer der Geschehnisse um sie herum mit, jedoch werden diese nie explizit erklärt. Interessanterweise nehmen - neben ihren direkten Freunden - von den Mitschülern nur knapp drei exemplarisch für quasi die ganze Schule echte Form an, so dass sich Olive meist nur mit diesen unterhält, der gesamte Palaver drum herum aber schlicht vernachlässigt wird. Es gibt nur eine Hand voll Szenen, die ohne die Anwesendheit von Olive erzählt werden, da sie eine Verknüpfung der folgenden Geschehnisse aufweisen und verständlich machen sollen, mit welchen Motiven von Dritten sie es zu tun hat.

Als Lektion Nummer zwei ließe sich festhalten, dass ein guter Dialog eine in sich geschlossene Dramaturgie aufbaut. Eine Szene wird zum Beispiel am besten zu Ende gebracht mit einer Wiederholung oder dem Abschluss eines Themas. Die Gespräche bauen kleine inhaltliche Brücken, die man später wieder aufgreift, wie viele kleine Dramaturgiebögen die sich nicht nur über den Film spannen, sondern sogar teils in einzelnen Szenen aufgeschlagen und geschlossen werden. Deutlicher ist dies bei den Einklammerungen, die große Teile des Filmes überspannen, wenn im Verlauf Details angesprochen und später wieder aufgegriffen werden, wie etwa Referenzen auf die literarische Vorlage, andere literarische Klassiker oder die Jugendfilme der 80er Jahre. Nicht zu vergessen das Spiel mit dem Buchstaben ‚A’ und dem ‚love interest’, der ständig als Maskottchen auftritt und konsequent aus dem Nichts kommend mit Olive zusammenrempelt.


Freistunde

Der Film unterlässt es, stereotypische Figuren offensichtlich als solche zu definieren. Die übliche Verteilung benennt ja zumeist den Trottel, den Schönling, den Mutigen, den Feigen und was einem eben noch einfallen mag. All das unterlässt dieser Film. Alle Zuordnungen geschehen auf der Handlungsebene und werden auf die Charakterzeichnungen minimiert und den Figuren nicht mit offensichtlichen Attributen auf die Stirn geschrieben. Die Zuordnung findet sich ausschließlich in der sozialen Rolle und definiert die Handlung und die Motive einzelner.

Erreicht wird damit eine beeindruckende Kompaktheit der Erzählung. Fast alle Wendungen und Ereignisse erhalten so eine kurze Einführung und werden dann konsequent umgesetzt. „Easy A“ ist in diesem Zusammenhang ein ganz großer Wurf. Ich habe in diesem Genre bisher nichts gesehen, das von der Dramaturgie und von der Erzählung so geschickt aufgebaut und entwickelt ist. Die Geschichte perpetuiert sich schon nach fünf Minuten Laufzeit, nach den Credits, und nimmt den Zuschauer mit auf eine Fahrt der Eskalation. Im Abstand von ca. 10 Minuten folgen dann die essentiellen Beats der Story. Letztlich verfliegen die knappen 90 Minuten Film, ohne dass man realisieren würde, wohin die Zeit verschwunden ist. Man möchte eigentlich lieber weiterschauen und nicht schon so bald den Abspann sehen.


Was von der Orange übrig blieb

Durch all diese Faktoren gelingt es „Easy A“ mit die beste Interpretation seines Genres hinzulegen, zu der mir kein vergleichbarer Film einfällt. War „American Pie“ doch der Kultstreifen des Genres, so wirkt er im Vergleich heute fast viel zu offensiv. „Easy A“ verabschiedet sich von den üblichen Rollenmustern, und Klischees, handelt zwar von der pubertären Bedeutung von Sex, setzt ihn aber im Laufe der Erzählung zu keinem Augenblick wirklich ein.

Auszusetzen gibt es an dem Film nichts. Der Film hat keinen einzigen Hänger, ist dramaturgisch einwandfrei und klasse gespielt. Die Musik macht Spaß und die Erzählung ist flott. Die kompakte Geschickte erlaubt dem Film ein grandioses Pacing. „Easy A“ ist ein Film, der unabhängig von einem Zielpublikum funktioniert und universell Spaß macht, da sich eigentlich jeder Zuschauer an die Hauptfigur knüpfen kann und mit ihrer Story mitgeht. Für 12jährige Zuschauer mögen die vielen Verweise auf vergangene Zeiten vielleicht etwas rätselhaft wirken.

Ein Problem ist allerdings die deutsche Synchronisation. Gerade die deutsche Stimme für Olive kommt nicht annähernd an die Charakteristik von Emma Stones Stimme heran, die in der originalen Spur ihre Zeilen mit einem ziemlich prägnanten Organ zum Besten gibt und mit der etwas heiseren, eingängigen und insbesondere sympathischen Stimme das gesamte Geschehen trägt. Die deutsche Synchronisation wirkt hier etwas glatt, fast charakterlos und weniger gewitzt, da einige Gags und die gesamte Intonation der originalen Spur verloren gehen. Der Mangel an Intonation betrifft auch die anderen Charaktere, die man zu sehen bekommt. Nur Bruchteile kommen in der deutschen Sprache an. Das hat man in der Vergangenheit oftmals besser gesehen. Schade, dass hier nicht etwas mehr Elan investiert wurde. Schade ist es auch um den traumhaften Gag, wenn sich Olive die Karten für einen Kinofilm mit deutschem Originaltitel kauft.

Anschauen!


Olive Penderghast: “People thought I was a dirty skank? Fine. I'd be the dirtiest skank they've ever seen.”

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