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Schwarze und weiße Schwäne - an ihrem Beispiel hat schon Karl Popper seinen "kritischen Rationalismus" veranschaulicht. Die Abgrenzung von Arten gehörte zu den notwendigen Annahmen, die zum Funktionieren des Beispiels beitrugen.
Warum ausgerechnet Schwäne? Sie stehen für Ästhetik und Einzigartigkeit. Ihre farbliche Entgegengesetztheit sorgt in diesem Zusammenhang für unterschwelligen Suspense, da angesichts der in diesem Bild verborgenen Konkurrenzsituation eine baldige Konfrontation anzunehmen ist – und die Frage aussteht, ob die Schwäne sich wieder vollständig voneinander lösen können oder ob sie zu einer neuen Art verschmelzen; etwas, das nicht zwangsläufig schwarz oder weiß sein muss. Im Inneren entsteht die Furcht vor dem Verlust der eigenen Existenz: Wenn der Schwan auch schwarz sein kann – bin ich eigentlich, was ich zu sein glaube?

An Poppers Schwänen lässt sich auch "Black Swan" festmachen. Dem Prinzip der Dichotomie gehorchend, unterliegt er mit jeder Faser der Zahl Zwei. Beziehungen gestalten sich in Darren Aronofskys neuem Film nie mit drei oder mehr Personen, stets interagieren zwei Figuren miteinander: Nina mit ihrem Mentor Thomas, Nina mit ihrer Konkurrentin Lily und ihrer Vorgängerin Beth, Nina mit ihrer Mutter Erica; ebenso Thomas mit Lily, Thomas mit Beth, Lily mit Erica. Farbgestaltung und Kontraste erreichen passend dazu mitunter Schwarzweißfilmqualitäten, alles schreit danach, sich in zwei Lager aufzuteilen. Der Schwarzweiß-Dualismus erlaubt es Aronofsky bequemerweise sogar, im Zusammenhang mit dem silhouettengleich gelagerten "The Wrestler" jetzt von einem Film-Diptychon zu sprechen. Aber nicht nur den Dualismus teilt er mit Poppers kritischem Rationalismus, auch greift er den darin verborgenen Suspense auf. Die These, dass etwas Weißes nicht zugleich etwas Schwarzes sein kann, bestimmt das erste Filmdrittel, bekräftigt durch eine Natalie Portman, die mit aller Kraft auf die Verkörperung von Unschuld und das gleichzeitige Ankämpfen gegen die eigene Natur zuspielt.

Grauzonen macht Aronofsky dadurch zum verborgenen, ergo raren und begehrenswerten Gut. Sie sind es, denen sein Interesse eigentlich gilt. Um sie zu greifen, baut er zunächst die entgegengesetzten Fronten auf. So wie das Wrestling im Vorgänger die Faszination des Hässlichen, des Gestellten und des Zerstörerischen symbolisierte, sind es im Ballett Unschuld, Schönheit und Makellosigkeit, die sich auf der Bühne offenbaren. Der Demontage des Schwarzen soll nun die des Weißen folgen. Also greift Aronofsky zu seiner etablierten In-Depth-Perspektive, setzt eine dynamische Kamera unmittelbar auf die Spuren der Tänzer und entblättert das Ballett aus Sicht der Beteiligten als etwas Mühsames, etwas, dessen wahre Natur erschreckend viele Übereinstimmungen mit der Maske des Wrestling aufweist – während Mickey Rourkes seelische Entblätterung im Umkehrschluss eine fragile, in gewissem Sinne auch unschuldige Seite zeigte, die dem Bühnenbild des Balletts in vielen Dingen entsprach.

Derweil Aronofsky nun damit beschäftigt ist, seine beiden Pole zunächst aufzubauen und sie anschließend möglichst schleichend miteinander zu vermengen, liefert er quasi nebenher seinen vielleicht konventionellsten Film ab. Psychologisch gesehen ereifert er sich an Banalitäten und längst erschlossenen Allgemeinplätzen, die schon zu Hitchcocks Zeiten als schwer strapaziert galten. Weshalb "Black Swan" in seiner psychologischen Ausarbeitung so unfertig und oberflächlich erscheint, hat einen speziellen Grund: die aktgegliederte, theaterähnliche Struktur von "Schwanensee" wird in das Drehbuch transkribiert, das aber seinerseits viel modernere Ziele verfolgt. So wird, eingeengt durch die theatralische Aktgliederung, eine Situation nach der anderen abgehandelt, innere Vorgänge werden bühnen- aber keineswegs artgerecht serviert und die Verwandlung erwartungsgemäß umgesetzt, dem Bild entsprechend, das der Zuschauer längst im Kopf hatte. Die wohldosierten Schockeffekte, die sich über die Laufzeit verstreuen, sind eo ipso gar keine, da man sie schließlich immerzu kommen sieht. "Black Swan" bildet einen Status Quo ab, der schon seit der Uraufführung von "Schwanensee" vor 134 Jahren reift, konterkariert ihn aber mit dem Drang nach Unberechenbarkeit – zwei unvereinbare Richtungen, die ironischerweise dem Hauptmotiv des Filmes entsprechen.

Dass sich das Massenpublikum ausgerechnet einen – trotz der Kassengiftthematik "Ballett" – so verhältnismäßig einfach gestrickten Film aussucht, um mal wieder pflichtbewusst etwas "Kunst" zu konsumieren, sieht ihm nach "Inception" zwar wieder ähnlich; den wahren Qualitäten wird damit aber noch nicht Genüge getan, denn "Black Swan" benötigt dringend Metadiskurse, um wirken zu können. So unzureichend Aronofsky Ninas Metamorphose auch darstellen mag, denn viel zu linear und abgedroschen sind die Mittel, derer er sich dazu bedient, so sehr spürt man doch sein Verlangen, die eigens errichteten Dichotomien niederzureißen. "Black Swan" propagiert ein Paradigma der zahllosen Nuancen, das sich gegen jede Art von deutlicher Abgrenzung auflehnt. Es möchte die Welt als diffusen Klumpen betrachten. Und vielleicht gerade weil dies eben nicht gelingt, weil "Black Swan" bei aller Mühe so ein schmerzlich anzusehendes (und interessanterweise dennoch hoch unterhaltsames) Nebeneinander von Schwarz und Weiß ist, wird die Sehnsucht deutlich, mit der Aronofsky inszeniert. Fast ungewollt spricht er auf diese Weise Urängste im Publikum an, und zwar als einer von ihnen, der das Unbehagen zwar nicht angemessen zu artikulieren vermag, der es aber deutlich spürt. Fast scheint es so, als übertrüge sich dieser Effekt außerdem noch auf die Hauptdarstellerin, die passend dazu stets einen überambitionierten Ausdruck auf dem Gesicht trägt, als suche sie in ihrem Repertoire verzweifelt etwas, das nicht da sein kann – ebenso wie ihre Figur Nina, die allerdings, ganz im Gegensatz zu Portman, nicht den Gesetzen der Realität unterliegt und ihre Verwandlung durchaus erreichen kann.

Wenn man "Black Swan" auf seine Eignung als Psychothriller hin überprüft, enttäuscht er in allen Belangen. Zu verkrampft und zu vorhersehbar folgt die Geschichte alten Spuren, anstatt selbst welche auszulegen. Der Eleganz der dynamischen Kamerafahrten zum Trotz hat Aronofsky keinerlei Kontrolle über den Horrortrip, den er stetig anschwellen lassen möchte – das zeigt sich immer wieder in plötzlichen stilistischen Brüchen und Momenten des "Ich hab's doch gewusst", mit denen sich die Schar des vom Hype ins Kino getriebenen Mainstreams aufplustern kann. Eher lebt der Film von seiner Ratlosigkeit; von der latent im Raum schwebenden Annahme, dass die thematisierten Ängste und Sehnsüchte viel zu tief liegen, um sie ausdrücken zu können – was sie nur noch angsteinflößender macht.

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