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ACHTUNG! SPOILER (und viel Philosophiequatsch) INSIDE!

Nina ist klassische Balletttänzerin, überaus begabt und talentiert und das seit Jahren, doch die wirklich großen Jobs blieben bislang aus. Als Schwanensee neu aufgelegt wird, bekommt Nina die Hauptrolle. Ihr Trainer (Vincent Kassel) ist jedoch nicht vollends zufrieden mit ihr und Ninas Position als Primaballerina gerät ins wanken. Eine fragwürdige Rolle spielt Lily (Mila Kunis), die neue Schülerin der Tanzschule. Diese wechselt von der ärgsten Rivalin zur lesbischen Gespielin. Im Soge des Leistungsdrucks, der Überforderung und des immer härter werdenden Trainings verliert Nina allmählich den Überblick darüber, was real ist und was nicht…

Heiß ersehnt war er, der neue Streifen von Erfolgsregisseur Darren Aronofsky (REQUIEM FOR A DREAM, THE FOUNTAIN, THE WRESTLER). Doch das Warten hat sich gelohnt! BLACK SWAN ist eine packende Mischung aus Mark und Bein durchfahrendem Schocker und nervenaufreibendem Psychodrama.
Die darstellerischen Leistungen sind wahrlich Over the Top. In den Hauptrollen agieren Vincent Kassel (HASS, DOBERMANN, DIE PURPURNEN FLÜSSE), Mila Kunis (DIE WILDEN 70ER, NIE WIEDER SEX MIT DER EX), die fortan als Schauspielerin eventuell etwas ernster genommen werden muss, und die über jeden Zweifel erhabene Natalie Portman (LEON – DER PROFI, V WIE VENDETTA, STAR WARS EPISODE I-III, GARDEN STATE). Letzterer gelingt es hier aufs Neue ihr Honigkuchenpferd-Image abzulegen und in eine zerbrechliche, komplexe Rolle zu schlüpfen. Ihr gebührt wahrlich größter Respekt. Respekt, der sich in Form eines Golden Globes bereits materialisiert hat. Ob es für den Oscar reicht, wird sich zeigen.
In einer Nebenrolle ist Winona Ryder (EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN, REALITY BITES, MR. DEEDS) – versteckt, muss man beinahe sagen. Die Rolle des gefallenen, ausrangierten Starlets steht ihr leider so gut, dass es weh tut.

Was muss man also erwarten, wenn man sich auf BLACK SWAN einlässt: Es geht um Leistungsdruck und Konkurrenzkampf, Minderwertigkeitsgefühle und Versagensängste. Um Arbeit, die Vorrang vor dem eigenen Wohl hat. Um Überforderung, Selbstüberschätzung und blinden Fanatismus, der in den totalen Wahn führt.
Ninas Leidensdruck scheint offensichtlich, und doch ist sie die jenige, die die Zähne zusammenbeißt und blind in ihr Verderben rennt. Dass Ninas Weltbild ein wenig aus dem Rahmen fällt, bekommt der Zuschauer zunächst nur in angedeuteter Form mitgeteilt und zwar durch zwanghafte Nägelkauen oder sich Kratzen. Dieses harmlose Knabbern steigert sich jedoch in bare Selbstverstümmelung. Nina passieren im Laufe des Films mehrere, nennen wir es einmal Unfälle, bei denen sie sich Finger- und Fußnägel aufs Ärgste verletzt. Diese entstehen entweder aus Unachtsamkeit oder mangelnder Geduld, gegebenenfalls ist aber gar Absicht mit im Spiel. Der Film trifft dabei so zielsicher ins Nervenzentrum des Zuschauers wie eine Nagelschere unter einen Fingernagel rutscht. Manchen Szenen muss man sich schier abwenden, so greifbar scheint der Schmerz.

Ninas Ehrgeiz wird von ungünstigen Umständen aber fast ins Unermessliche gesteigert. Ihre Mutter, eine geisterhafte Erscheinung, ist eine gescheiterte Ballerina, die ihre Karriere wegen Nina hingeschmissen hat. Das Verhältnis der beiden wirkt auf den ersten Blick ganz harmonisch, bei näherem Hinkucken erkennt man aber den blinden Fanatismus und die schlechteste Mutter-Tochter-Beziehung seit Michael Hanekes DIE KLAVIERSPIELERIN. Erotik und Sexualität war mehr als ein Tabuthema in der Erziehung, es hat den Beigeschmack von etwas Schlechtem und Verbotenem. Frohsinn und Unbeschwertheit, ebenso Partys und Freundschaften wurden jeweils im Keim erstickt, da es vermeintliche negative Auswirkungen auf Training und Leistung haben könnte.
Aus diesem Grund lässt Nina beim Tanzen auch oftmals Leidenschaft und Spontaneität vermissen. Dies führt soweit, dass Ninas Trainer ihr eine Hausaufgabe erteilt: Sie soll heimgehen und es sich selber machen. Sozusagen um lockerer zu werden. Auch der lieb gemeinte Rat: „Der Einzige, der dir im Weg steht, bist du selbst“ manövriert Nina nur noch mehr in den Wahnsinn. Ein Rat nämlich, der, geht man ihm nach, das Ich zum Rivalen, zum Kontrahenten erkort und die unbarmherzige Unterjochung des Ichs nach sich zieht.

Das Schicksal der zum Scheitern verurteilten Tänzerin wirkt wie eine Allegorie zum US-Amerikanischen Zwangsoptimismus und dem Credo der Leistungsgesellschaft, dass allein der Wille zählt. Du musst es nur hart genug wollen, dann bekommst du oder schaffst du es auch. Der Körper als Maschine, die sich der Geist zueigen machen kann. Das Selbst, das ständiger Kontrolle und Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten bedarf. Wo so etwas hinführt, wissen wir mittlerweile: Krankhafter Perfektionismus, Minderwertigkeitskomplexe, Burnout, psychischer Kollaps, Depression. Zu dem Denken, dass das, was man leistet, nicht ausreicht. Weder in gesellschaftlicher, noch privater Hinsicht. Im Film mutiert Nina zum schwarzen Schwan mit Federkleid und blutunterlaufenen Augen. Im wahren Leben zerbricht der überfleißige Mensch an seinen eigenen Zwängen und Vorstellungen und geht an seiner Selbstzüchtigung zugrunde.
Wie Radiohead-Sänger Tom Yorke in seinem Song namens „Black Swan“ bereits verkündete:
“Cause this is fucked up, fucked up…”

Langer Rede kurzer Sinn: BLACK SWAN ist ein eindringliches Psychodrama mit leichten Horroranleihen, klasse Schauspielern und beeindruckenden Bildern. Vergleiche zu Roman Polanskis DER MIETER oder Lars von Triers ANTICHRIST treffen den Nagel nicht auf den Kopf, sind aber nicht vollends von der Hand zu weisen. Wer denkt „Ach, typisches Schizo-Drama, kennt man doch!“ wird der Film eines Besseren belehren.
Ein psychisch derart unangenehmer Film, dass der Zuschauer dies beinahe physisch zu spüren bekommt. Sehr, sehr, sehr, sehr gut!

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