Nach Sichtung dieses Streifens wird die Lust auf einen sonnigen Aufenthalt in Mexiko hinüber sein, denn Jorge Michel Grau versteht es erstklassig, sein Heimatland in ein denkbar ungünstiges Licht zu rücken. Positiv ist immerhin der Ansatz, das Thema Kannibalismus in einen halbwegs real erscheinenden, sozialen Hintergrund einzubetten, was sich von gängigen Horrorstreifen weitgehend unterscheidet.
Als das Oberhaupt der Familie auf offener Straße stirbt, müssen die Jugendlichen Alfredo, Julian und Sabina dessen Rolle übernehmen, was heißt: Menschenfleisch beschaffen.
Und während von der pedantischen Mutter wenig Hilfe zu erwarten ist und Alfredo naiv mit einigen Risikofaktoren hantiert, hat die Polizei ihre Spur aufgenommen…
Grau wählt für seine Geschichte einen interessanten Blickwinkel, denn aus Sicht der Teenager schlägt man sich irgendwann unweigerlich auf die Seite der Kannibalen.
Dabei wird zunächst nicht deutlich, dass sich die Familie während eines nicht näher erläuterten Rituals von Menschenfleisch ernährt, sondern man steht vor nachvollziehbaren Problemen, wie es mit dem Leben nach Verlust des Familienoberhauptes weitergehen soll.
Erst allmählich wird die Thematik, auch von der Wortwahl her, deutlicher auf den Punkt gebracht, so dass aus dem reinen Sozialdrama ein Horror-Thriller entwächst.
Allerdings hat sich die Sozialkritik entschieden zuviel vorgenommen. Probleme wie Kinderprostitution, Armut und Korruption werden jeweils nur angerissen, um im nächsten Moment wieder fallen gelassen zu werden, während das Skript ebenso unentschlossen mäandert, wie Alfredo durch die nächtlichen Gassen des Armenviertels latscht.
Der Stoff bleibt dabei phasenweise so schwer zugänglich wie seine Figuren, denn über Ziele und Beweggründe der Familie und ihrem Kannibalismus erfährt man rein gar nichts, wobei sich die Brüder während der Beschaffung eines Opfers meistens unsäglich dumm anstellen und zwangsläufig Spuren hinterlassen.
Die überaus ruhige Erzählweise lässt zwar hier und da ein paar ausgezeichnete Kameraperspektiven zur Geltung kommen und die dreckige Atmosphäre der tristen Stadt intensivieren, doch rein handlungstechnisch tritt die Erzählung phasenweise auf der Stelle.
Darüber hinaus wirken einige Szenen zu konstruiert, wie eine Frau, die in der U-Bahn ein Lied mit sinnvoller Botschaft trällert oder die Typen von der Autopsie, welche außerhalb ihrer Fachgebiete agieren, um zwei Cops erst auf die Fährte zu locken.
Erst zum Finale nimmt der Streifen ein wenig Tempo auf und wartet mit dem einen oder anderen kleinen Twist auf, der in einigen Fällen auch leicht zynische Untertöne mitschwingen lässt. Splatterfreunde werden hier allerdings kaum bedient, denn bis auf eine geöffnete Brust und einen Kopfschuss finden Gewaltszenen durchgehend im Off statt, während allenfalls ein paar Geräusche auf etwaige Handlungen hindeuten.
Insgesamt bietet dieses Debüt zweifelsohne interessante Ansätze, doch die etwas lahme Umsetzung und die fehlenden Beweggründe der Protagonisten lassen die Chose zwischenzeitlich reichlich beliebig und mit einigen Logiklücken angereichert dastehen.
Den authentisch wirkenden Darstellern und der sauberen Kamera ist dabei nichts anzukreiden, eher den schrägen Geigentönen, welche als Score gedacht sind.
Nett gemeint, aber für keine bestimmte Zielgruppe effektiv konzipiert und nur aufgrund der eigenwilligen Mischung einigermaßen unterhaltsam ausgefallen.
5 von 10