Regisseur und Drehbuchautor Dennis Gansel hatte seine Idee, einen Vampirfilm im urbanen Berlin entstehen zu lassen, schon viele Jahre vorbereitet, konnte aber keinen Produzenten für seine Geschichte über die erotischen weiblichen Vampire und ihr dekadentes Großstadtleben finden, bis die Vampirwelle auch in die hiesigen Mainstream - Kinos schwappte. Aus dieser Vorgeschichte lässt sich heraus lesen, dass "Wir sind die Nacht" nur wenig mit der "Biss"-Saga zu tun hat - trotzdem kann der Film nicht den Eindruck verhindern, dass hier ein Versuch unternommen wurde, einen männlich geprägten Gegenentwurf abzuliefern.
Im Gegensatz zur jungfräulichen amerikanischen Variante, gehört der erotische Leckerbissen zum täglichen Brot der deutschen Vampirfrauen, auch wenn die Älteste unter ihnen, Louise (Nina Hoss), die schon mehr als zwei Jahrhunderte ihr Unwesen treibt, darauf achtet, dass kein männliches Exemplar mehr zum Vampir wird. Im Gegenteil ist sie auf der Suche nach dem idealen weiblichen Gegenpart, den sie schon einmal in Charlotte (Jennifer Ulrich) in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts zu finden geglaubt hatte. Doch die Beziehung hatte sich in den vielen Jahren abgekühlt, so dass mit Nora (Anna Fischer) noch eine weitere Frau aus der frühen „Love Parade“ Ära der 90er Jahre hinzugekommen war. Von alt ist bei den Damen natürlich nicht zu sprechen, denn ihre jugendliche Schönheit haben sie selbstverständlich behalten, die sie mit entsprechender Kleidung noch unterstreichen. Auch sonst pflegen sie einen luxuriösen Lebensstil mit eigenem angesagten Nachtclub, großzügiger Wohnetage und Edelkarossen. Und das alles in coolen Locations der Metropole Berlin.
Lenas (Karoline Herrfurth) Dasein hat damit nichts zu tun. Die optisch Verwahrloste lebt in einem heruntergekommenen Sozialbau, ist arbeitslos, vorbestraft und versorgt sich mit Kleindiebstählen. Dabei gerät sie zufällig an einen russischen Zuhälter, der von der Polizei observiert wird, so dass sie mit dem jungen Kommissar Tom (Max Riemelt) plötzlich einen hartnäckigen Verfolger auf ihren Fersen hat, dem sie dank eines Tricks zu entkommen scheint. Doch Tom durchschaut die junge Frau, was ihm aber außer einem Cut nichts einbringt, bevor diese mit einem Sprung auf ein Schiff fliehen kann. Als Lena auf einem ihrer nächtlichen Streifzüge zufällig auf den Dance-Club des Vampir-Trios aufmerksam wird, wird sie von Louise bei der Einlasskontrolle als Objekt der Begierde entdeckt, und gerät in deren Fänge. Sie kann nach deren Biss zwar fliehen, muss aber - nach Hause zurückgekehrt – feststellen, dass jeder Sonnenstrahl Verbrennungen verursacht und dass nur die blutige rohe Leber im Kühlschrank ihren Hunger stillen kann. Wütend kehrt sie am Abend zu Louise zurück und stellt sie zur Rede.
Was der Film hier beschreibt ist – unter dem Gesichtspunkt eines Vampir-Horizonts – das normale Leben. Während der Biss in die Halsschlagader üblicherweise der Ernährung dient, der mit dem Tod des Opfers endet, kann eine ausgewählte Person selbst zum Vampir werden und stößt damit in den inneren Kreis vor. Doch damit ist der Prozess noch nicht abgeschlossen, denn dieser bedeutet nicht automatisch das Einverständnis der so Gebissenen, weshalb Louise und ihre Kameradinnen das volle Programm für Lena veranstalten. Und das bedeutet zuerst, ihren Willen zu brechen, indem sie sie in einen finsteren Russenpuff verfrachten, wo sie einem feisten Kerl vorgeworfen wird. Bekanntlich verfügen Vampire über Möglichkeiten, sich auch solcher Bedrohungen zu erwehren, vorausgesetzt, sie akzeptieren ihren Zustand. Hansel inszeniert den Überfall auf den Russenpuff zwar mit viel Blut, aber letztlich ist er mehr an der ästhetischen Ausgestaltung interessiert als an Gewaltdarstellungen, so dass trotz eines nicht unbeträchtlichen Body- Counts kaum Horror-Gefühle aufkommen. Dazu passt auch Lenas Wandlung, die aus ihrer bisherigen kränklichen Erscheinung zu großer Schönheit erblüht, und bald das luxuriöse Leben, dass nur aus Party, Sex und Genuss besteht, in vollen Zügen zu genießen scheint.
So sollte man zumindest annehmen, da diese Konstellation schon seit Jahrhunderten besteht, auch wenn immer mal wieder ein unvorsichtiger Vampir der Sonne oder einem Holzpflock zum Opfer fiel, weshalb auch keine männlichen Vampire mehr existieren. Doch mit Lena wird alles anders, denn sie entwickelt Gefühle für den Polizisten Tom, der ihr dank des Blutbades in dem Russenpuff auf die Spur kommt, und den weiblichen Vampiren immer mehr auf die Pelle rückt. Auch sonst scheint die konsequent lesbische Ader nur bei Louise vorhanden zu sein, denn Charlotte war verheiratet und hinterließ ein damals zweijähriges Kind und die quirlige Nora (von Anna Fischer im üblichen Berliner-Göre-Modus gespielt) hat sowieso nur einen Blick für hübsche junge Männer. Auch das in den Jahren erbeutete Luxusambiente wird ihnen zum Verhängnis, da die Polizei dank des gestohlenen Lamborghini, mit dem Lena unterwegs war, plötzlich mit einer Hundertschaft vor ihrer Tür steht.
So schön, überlegen und von überirdischem Glanz umgeben die Frauen in „Wir sind die Nacht“ auch vorgestellt werden, so schnell demontiert Hensel diese Konstellation wieder. Die ihm zur Verfügung stehenden Geldmittel nutzte er für eine überzeugende Optik und ein rasantes Tempo, die den Vergleich zu amerikanischer Genreware nicht scheuen müssen, aber auch wenn die Vampir –Thematik immer von einer fantastischen Basis aus entworfen wird, so hätte er mehr Augenmerk auf eine innere Schlüssigkeit legen sollen. Weder ist es vorstellbar, dass sich die erfahrene Louise so von Lena vorführen lässt, auch wenn diese über schöne Augen verfügt, noch kann sich deren intensive Liebe zu Tom so überzeugend vermitteln, dass die erhebliche Konsequenz, die daraus entsteht, nachvollziehbar wird. Auch das ihnen die Polizei plötzlich auf die Schliche kommt, nachdem sie Jahrzehnte lang nach Belieben walten konnten, ist unglaubwürdig - doch letztlich spielt das alles keine Rolle für die eigentliche Botschaft des Films.
Die schönen Vampirfrauen sind in ihrer erotischen und sonstigen Freizügigkeit Idealisierungen einer vor allem männlich geprägten Fantasie, gerade dadurch, dass sich deren scheinbare Beschränkung auf das weibliche Geschlecht als Illusion herausstellt. Auch Louise muss schmerzlich erfahren, dass es ohne die Männer nicht geht und dass zu viel Unmoral ungesund ist. Dennis Gansel bietet hier eine schön bebilderte, rasant gedrehte Vampirfantasie, die gut unterhalten kann, die in ihrer offenen Erotik und stärkeren Betonung der Gewalt im ersten Moment wie das Gegenstück zur „Biss“ - Saga um die jungfräuliche Bella wirkt, letztlich aber auch keine andere Botschaft verbreitet (5/10).