Ein Film, der ganz still zur Hintertür hineinkriecht, aber langsam und unmerklich das gesamte Sichtfeld ausfüllt, ist sowas heute noch möglich?
Doch, es geht noch und "One Hour Photo" ist der Beweis.
Leider hat er mit zwei schweren Hypotheken zu kämpfen, die ungewollt mitschwingen: sein Star heißt Robin Williams und er ist als Thriller deklariert.
Beides wird gern für eine Schubladeneinordnung benutzt, aber das hier ist nicht IKEA und deswegen sollten wir derlei vorgefertigte Konstruktionen mal im Baumarkt lassen.
"One Hour Photo" ist nämlich eigentlich ein stilles Drama, das sich zur Katastrophe auswächst, in Szene gesetzt mit viel visuellem Einfallsreichtum, nicht zu verkopft und zu künstlich und nicht zu banal umgesetzt, denn mit den neuesten Überraschungen kann er auch nicht aufwarten.
Dafür aber mit einem völlig verwandelten Hauptdarsteller.
Williams kann sich freuen: in meinen Augen ist das der erste Film, in dem er sich bis zur völligen Selbstaufgabe seiner sonst omnipräsenten Persönlichkeit in seine Rolle gesteigert hat, so daß man ihn selbst nicht mehr kennt. Das Rezept dafür: so gut wie keine Mimik und nicht ein einziger Witz.
Tatsächlich ist eben das Nichtverziehen seiner Züge, der eingefrorene stille Ausdruck auf Williams Gesicht der Schlüssel zum Mitgefühl des Publikums.
Unterstützt wird das durch den visuellen Einfallsreichtum der Produktion. Williams ist ein farbloser Charakter in eintöniger Umgebung, still, bescheiden, ohne Willen zum Kampf. Er arbeitet im Photoshop einer größeren Kaufhauskette, in absolut steriler, fast auschließlich weißer Umgebung. Mit seinen gebleichten Haaren scheint er ständig mit dem Hintergrund zu verschmelzen und auch in den endlose Weite simulierenden Supermarktgängen wirkt er schon wie ein Fremdkörper.
Seine Leidenschaft sind die Fotografien, vor allem die einer bestimmten Familien, von deren Werken er sich heimlich so viele Abzüge gemacht hat, daß er alle Entwicklungsstufen bis zur Geburt des Sohnes zurückverfolgen kann, weil er sie sich zu einer fast kompletten Zimmerwand in seiner sonst fast leeren und ebenso sterilen Wohnung (Wohnzimmer: leer, Küche: fast ganz weiß) zusammenmontiert hat.
Wenn der Film beginnt, sitzt Williams bereits in einer Umgebung, die nicht mehr weißer sein könnte, ein Verhörraum bei der Polizei. Wir wissen, daß er jemandem etwas angetan hat und der Film führt uns genau dorthin. Angefangen bei stimmungsmäßigen Veränderungen in der Familie, fühlt sich der Zwangsneurotiker und Stalker Williams dazu genötigt, auf Umwegen immer wieder die Nähe der Familienmitglieder zu suchen, schüchtern, ungeschickt und nicht gerade freundlich (wenn auch nicht unfreundlich) aufgenommen. Seinen Phantasien hilft das unheimlich auf die Sprünge, stets in dem Bewußtsein, ein vollendetes Glück vor sich zu haben, was ihm eben nicht vergönnt war.
Bis die Idylle Risse kriegt, die auf ein Verhältnis des Vaters hindeuten. Gleichzeitig kriegt aber auch Williams Fassade Risse: er wird entlassen (wegen der Abzüge) und wird aus der monotonen "Schutz"-Umgebung in die wirkliche Welt hinausgeworfen.
Das fokussiert ihn erst richtig und so setzt er sämtliche Anstrengungen auf das, was ihm wichtig erscheint - seine Bilderbuchfamilie.
Die Familie Yorkin, sieht man immer wieder in Zwischeninserts agieren, meist mit Bezug auf Williams Sy Parrish, sonst die allgemeine Stimmung vermittelnd und erklärend.
Still und leise und gerade deswegen so unangenehm unaufhaltsam schlittert der Film mit steigender Spannungskurve auf die Katastrophe zu, die dann aber doch nicht so ausfällt, wie man es sich in seinen üblichen Schlächterphantasien ausgemalt hat, sondern eher ein noch schärferes Bild des zentralen Charakters zeichnet.
Die Rahmenhandlung bietet zum guten Schluß sogar noch eine Erklärung für das Verhalten Parrish an, die gar nicht nötig gewesen wäre, denn der Film bemüht sich sonst auch nicht um die Analyse, sondern seziert nur aufs Genaueste die logische Abfolge der Ereignisse.
Es ist eben Sy's eigene Philosophie, die uns sein Off-Kommentar mitteilt, eine Geschichte von dem größten Glück, das andere nicht zu schätzen wußten.
"One Hour Photo" ist vieles in einem: dramatisch, anrührend, gefühlvoll, spannend und schauerlich. Das unmerkliche Anziehen der Spannungsschraube geht stets in Richtung Climax und entläßt den Zuschauer schließlich verwundert bis berührt. Und daß man in Williams nicht Williams erkennt, dürfte für diesen das größte Kompliment gewesen sein. (8/10)