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Weltflucht, das ist die Maxime der Fantasy und der Wunsch nach Abwechslung, nach einem Entkommen aus dem grauen Alltag der Realität befeuert die Phantasie der Autoren und Leser, der Regisseure und Kinozuschauer schon seit Jahren und Jahrzehnten.
Es ist aber eine Sache, eine Fantasywelt über die Medien zu erschließen; eine andere, selbst eine zu kreieren. Die echten Fans setzen sich dazu nicht an die Tastatur, sondern gestalten selbst - das heißt: verkleiden, eine Figur erschaffen, sie darstellen, wenn nicht gar sie sein.
Die Live-Action-Role-Player-Treffen, die LARP-Meetings sind so eine inzwischen sehr beliebte Gelegenheit, in der die phantastischen und historischen Welten zum Anfassen neu gestaltet werden. In ihnen kann man spielen, herrschen, kämpfen - man kann sich aber auch darin verlieren.

"The Wild Hunt" ist einer der wenigen Filme, der sich mit dieser Nachstellung meistens filmisch aufbereiteter Phantasien beschäftigt und er geht nicht den einfachen Weg, nämlich daraus einen simplen Psychotrip eines Durchgeknallten zu machen, der zwischen Phantasie und Realität, zwischen Weltflucht und Alltag nicht mehr unterscheiden kann. Sicherlich, einige Elemente eines solchen Plots sind auch in diesem, mit wenig Geld, aber viel kreativer Energie entstandenen kanadischen Film enthalten, aber die Dimension hat eine größere Breite und letztendlich auch eine tiefer gehende Tragik.

Was wir hier haben, ist eine Form von Eifersuchtsdrama als Auslöser; eine tief sitzende Angst, die andere Emotionen in Bewegung setzt. Der junge Mann Erik hat schon seinen Bruder Björn, der als Wikinger samt Haarteil über das kunstvoll gestaltete Naturgelände tobt, an das LARP verloren, was bedeutet, daß er sich um seinen dementen Vater fast allein kümmern muß. Der Depressionsdruck ist stark - und nun scheint auch noch seine Freundin Evelyn abtrünnig geworden zu sein und die karge Realität für ein Wochenende zu fliehen, was wie Erik befürchtet, für immer sein wird.
Während Björn also an seinem großen Kriegsszenario zwischen den bösen Kelten und den Briten samt Unterstützung oder Gegenwehr von Wikingern und Elfen feilt und Evelyn in die Fänge des Keltenlords gerät, wird Erik tätig. Wie eine verzweifelte Naturgewalt bricht er die nicht anarchistische, sondern ebenso streng reglementierte Fantasywelt ein, ohne Kostüm und ohne Willen, sich auch noch für einen Hauch spielerisch anzupassen.
In der Folge gebärdet er sich so verbissen renitent, daß sein Bruder gar nicht merkt, daß er es bei allen Anstrengungen nicht schafft, Erik ins Spiel zu integrieren, während Erik wiederum nicht versteht, daß Evelyn nicht wegen seiner Anwesenheit aus dem Spiel aussteigt, während Evelyn ihren Freund meistens nur zu schätzen weiß, wenn der sich mal halbwegs in die Handlung einfügt. Das wiederum setzt nach dem Dominoprinzip andere Reaktionen in Gang, der Frustlevel steigt in einigen Figuren, in einigen Personen an, der Spielverlauf ändert sich, muß sich ändern, kommt schließlich zum Stillstand. Und führt schließlich in das nicht planbare Chaos menschlicher Wut...

"The Wild Hunt" ist kein phantastischer Film, er ist eine Tragödie (von elizabethanischen Außmaßen), die auf dem Mißverständnis zwischen den Menschen basiert, die einander und die individuellen Regeln nicht wahrnehmen wollen. Sowohl Erik wie auch die meisten Spielen bremsen sich erst aus, dann blockieren sie sich, schließlich wird die Sache größer als die relativ simple Lösung des Problems und führt schließlich zum Kontrollverlust - interessanterweise innerhalb des Spiels, als verschiedene Spieler ihre realen Identitäten scheinbar aufgeben.
An diesem Punkt stellt der Film die berechtigte Frage, wie tief man in ein solches Szenario eintauchen könnte oder sollte, das finale titelgebende Drama ist ein Exzess aus beinahe kreatürlicher Angst - aber das Rollenspiel selbst wird damit erfrischenderweise nicht verdammt, sondern nur gemahnt, daß es eine gänzliche Flucht in diese Form schwertklirrender Barbarei nicht geben kann und man seinen Anker eben immer im Hier und Jetzt bewahren sollte, denn sonst käme es zu einer Katastrophe, die eben das beschreibt, was so offensichtlich erscheint, das Verwechseln von Phantasie und Realität.

Es steckt viel Liebe in Alexandre Franchis erstem Langfilm, eine Detailversessenheit, die sich in den Bauten, den Kostümen und den sehr motivierten und authentischen Darstellern wiederspiegelt, auch wenn er den einen oder anderen augenzwinkernden Zwischenton bezüglich der Spieler oder des Menschentyps der LARPer nicht unterdrücken kann. Daß die Sache schief gehen wird, hängt düster über dem ganzen Film, ohne Ausweg die Situation von Erik und Björn. Mit einer Neugier, die ins Fatalistische grenzt, steuert Franchi den Film in die Tragödie, die nur folgerichtig erscheint. Sicherlich hat das Publikum mit den Hauptfiguren, die zumeist unter perspektivischem Tunnelblick leiden, so seine Schwierigkeiten, es kann aber auch seinen Spaß haben und eine neue (Freizeit-)Welt entdecken, denn mit dem Feinschliff am Rollenspielerdorf strahlt der Film gleichzeitig auch Bewunderung für die Arbeit und Hingabe aus.
Problematisch wird es erst im Nachhinein, wenn man an den Eckpunkten der Katastrophe herumanalysiert, wobei leider ausgerechnet Fixpunkt Evelyn ziemlich kryptisch konstruiert ist, das Mysterium Frau und warum sie tut, was sie tut, stehen in vollster Fragezeichenblüte. Daß eine höhergestellte Rolle in einem solchen Spiel nicht nur Exzess, sondern auch Verantwortung für die Mitspieler beinhaltet, haben jedoch nicht alle verarbeitet - als der Keltenlord schließlich seine wahre Identität durch die Zerstörung seiner realen Habe besiegelt, führt dies in eine völlig falsche Richtung und wird von seinen Mitspielern falsch gedeutet - am Ende steckt in jedem Menschen ein Tier und es bleibt jedem selbst überlassen, dies kontrollieren zu können.
In dem finalen Gewaltausbruch bleibt ungeklärt, wie so viele Menschen so blind sein können, so führertreu, so unkontrolliert - das reine Schüren der animalischen Instinkte durch das Spiel können es eigentlich nicht allein sein, doch mit diesen Fragen bleibt der Zuschauer allein zurück und mit einem entsetzenerrgenden Schlußpunkt, der die Grenzen gänzlich verwischt.

Es ist nicht alles perfekt an "The Wild Hunt", bisweilen ist das Eintauchen in das Spiel zugunsten des Plots zu intensiv und selbstverliebt, die Figuren nerven, ihre Reaktionen geben Rätsel auf, das Ende scheint zu einem vagen Zweck irgendwie gestellt kontruiert, aber letztendlich funktioniert Film dann doch wie so ein LARP-Spiel, entweder man nimmt es ernst und taucht ein oder bewahrt sich eine gewisse Distanz und hinterfragt. Die Möglichkeit ist hier immerhin gegeben - laßt also die Schwerter und Hämmer lieber daheim. (7,5/10)

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