Man stelle sich das vor: Wir schreiben das Jahr 1942. Ein Jahr zuvor verloren Zigtausend Briten ihr Leben während des Blitz, in Nordafrika sterben täglich Soldaten und der D-Day ist bisher nur Verhandlungssache. Im Sommer diesen Jahres drehen Michael Powell und Emeric Pressburger einen Propagandafilm, der keiner ist. Einen Film über den Wandel des Krieges an sich und derer, die ihn führen, von der Jahrhundertwende bis Dünkirchen. Das klingt nicht außergewöhnlich? Dann muss wohl noch hinzugefügt werden, dass die Konstante des Films die Freundschaft zwischen zwei Offizieren ist, dem Briten Clive Candy (Roger Livesey) und dem Deutschen Theo Kretschmar-Schuldorff (Anton Walbrook).
Im Berlin des Jahres 1902 lernen sie sich kennen, als sie ein sinnloses Duell ausfechten müssen. Es ist die Zeit, in der die europäischen Konflikte noch in den Kolonien ausgetragen werden. Clive Candy, ein junger, aufstrebender britischer Offizier kehrt aus Südafrika zurück, wo sich der Zweite Burenkrieg seinem Ende nähert, und macht sich auf ins Kaiserreich. Dort trifft er auf die Gouvernante Edith Hunter (Deborah Kerr), die ihn über die antibritische Propaganda der Deutschen informiert. Clive, der Inbegriff des ehrenvollen, prinzipientreuen britischen Offiziers, der unfähig scheint, seine Gefühle einzugestehen, verliebt sich in Edith, doch bemerkt er es erst, nachdem ihm Theo seine Liebe zu Edith offenbart. Clive kehrt zurück nach England, Theo und Edith heiraten und nein (!), es entspinnt sich keine dramatische Dreiecksgeschichte samt Affären, zerstörter Männerfreundschaft und abschließender tödlicher Konfrontation.
Dazu sind Powell und Pressburger zu clever. Clive ist sich seines Fehlers bewusst, er wird auch nie darüber hinwegkommen, das zeigen die Frauen, die seinen Lebensweg von nun an kreuzen, denn sie werden beide ebenfalls von Deborah Kerr verkörpert.
Powell und Pressburger lassen sich von ihren zentralen Themen nicht abbringen. Das Offensichtlichste ist der Krieg. Dabei fehlt in diesem Film jede kriegstypische Kampfhandlung. Man sieht die Schlachtwüste, die der Erste Weltkrieg hinterlässt ebenso wie zerstörte Häuser in London. Es wird mehr Wert auf die Ergebnisse gelegt. Hervorragend verdeutlicht wird dieses Vorgehen durch die berühmte - von Jack Cardiff gedrehte - Jagdtrophäensequenz, die den Zeitsprung von 1902 bis zum Ersten Weltkrieg "erklärt". Candy, nun wieder in Afrika, schickt seiner Tante in England seine Safaritrophäen, doch sehen wir nur den Raum, den sie zieren. Elefanten- und Nashornköpfe erscheinen aus dem Nichts im Gewehrschusstakt an den Wänden. Schilder weisen auf die Jahre hin, in denen sie geschossen wurden. Die letzte Trophäe, die erscheint, ist eine Pickelhaube.
Die Brillanz dieser Sequenz ist schwer in Worte zu fassen. Die Gewalt, die der Film ansonsten eher ausblendet, wird durch Cardiff auf einfachste, aber eindrucksvollste Weise verbildlicht. So wird auch das Soldatentum Candys charakterisiert, das trotz der Erfahrung, die im Ersten Weltkrieg gesammelt werden wird, unfähig bleibt, sich zu erneuern und den Idealen des Neunzehnten Jahrhunderts nachhängt.
Auch der Erste Weltkrieg wird die Freunde Clive und Theo nicht entzweien, doch Theo ist derjenige, der erkennt, dass die Welt nachher nicht mehr dieselbe ist. Dabei ist auch er den Idealen des Gentleman-Krieges nicht abgeneigt. Powell und Pressbruger erschaffen in einer Zeit schärfster Propaganda einen glaubwürdigen deutschen Charakter, ein Offizier durch und durch, erniedrigt durch die Niederlage 1918, unbefriedigt durch die Weimarer Republik, sich abwendend von Deutschland als seine Kinder zu Nazis werden. Anton Walbrook ist das ideale emotionale Gegengewicht zum stets gut gelaunten Roger Livesey. Gegenüber den beiden Herren verblassen Deborah Kerrs drei Charaktere ein wenig, doch sie verkörpert ein Idealbild, das wohl kein Mensch auszufüllen imstande ist.
Man muss dem Film ankreiden, dass er als Charakterstudie eines unverbesserlich Gestrigen zu wenig Spannungsmomente bereithält. Auch ist das Soldatengehabe, das Candy und Co. an den Tag legen, heute noch gewöhnungsbedürftiger als zur Zeit der Entstehung. Hier unterscheidet sich The Life and Death of Colonel Blimp von der Zeitlosigkeit späterer P&P-Werke, wie A Matter of Life and Death, Black Narcissus und The Red Shoes. Gleichzeitig deuten sie in ihrem ersten gemeinsamen Technicolorfilm schon ihr Können an, was den Umgang mit Farbe und Kamera betrifft (Bsp.: die ebenfalls brillante Duellsequenz, die das eigentliche Duell ausspart). So bewahrt sich der Film seine Modernität, die P&P-typisch ist. Man sitzt heute vor ihren Werken und reibt sich die Augen: Wurden diese Szenen wirklich '43, '46, '47 usw. gedreht?
Dem Film fehlt noch die Fantasie seiner Nachfolger, was nicht heißen soll, dass die Story vorhersagbar wäre. Unter allen zu dieser Zeit gedrehten "Propagandafilmen", die den Krieg rechtfertigten, ist The Life and Death of Colonel Blimp einer der originellsten. Sympathiebekundungen werden nicht einseitig verteilt, sie liegen bei Candy, der sich von seinen veralteten Ansichten nicht lösen kann (Blimp war eine Cartoonfigur der 30er, ein Sinnbild konservativer Dummheit), bei den jungen Soldaten, die angesichts des Totalen Krieges mit den Prinzipien der alten Garde nichts mehr anfangen können und dem resignierten Theo, welcher der Entwicklung in seinem Heimatland hilflos gegenübersteht.
Blimp ist der erste Schritt von Powell und Pressburger hin in die Außenseiterrolle im britischen Film. Außenseiter nicht weil es ihnen an Erfolg fehlte, sondern weil ihr Stil, ihre Themen, ihre Kreativität nicht in irgendeine Strömung einzuordnen, nicht mit anderen Regisseuren vergleichbar waren. Denkt man beim britischen Film an Ealing, Free Cinema oder die Sozialkritik eines Ken Loach, so fällt es noch heute schwer, P&P einzuordnen.
Es ist nur logisch, dass sich Blimp mit seinem durchdachten Drehbuch und den erfrischenden Charakteren schon damals vom Propagandaeinheitsbrei abhob und dies so sehr, dass Churchill ihn verbieten lassen wollte, ohne ihn gesehen zu haben.