„Solidarität, Legitimation und Restauration im Actionkino: Der Testosteron-Kongress tanzt"
Als sich die europäischen Herrscher nach der Niederlage Napoleons 1814 in Wien trafen, hatten sie neben der territorialen Neuordnung vor allem ein Ziel: die ihre Herrschaft bedrohenden liberalen und nationalen Bestrebungen wenn möglich auf den Zustand vor der Französischen Revolution zurückzudrängen. Die Prinzipien Restauration, Legitimität und Solidarität sind bis heute ein Sinnbild dieser Bemühungen.
Gut 200 Jahre später gibt es wieder eine Gruppe von „Herrschern", die ihre angestammte Machtposition sogar längst verloren haben und offenbar mit einem gemeinsamen Gewaltakt noch mal versuchen, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Nein, um große Politik geht es dabei nicht, vielmehr um so profane Dinge wie Unterhaltung, Publikumsgunst und die Wiederbelebung des Actionkinos. Des „echten" Actionkinos wohlgemerkt.
Sylvester Stallone, Arnold Schwarzenegger und Bruce Willis haben dieses Genre einst nicht nur beherrscht, sondern geprägt und definiert. Während der Erste fast 20 Jahre lang ein tristes Dasein in immer schwächeren B- und C-Produktionen fristete, flüchtete der Zweite vor einem ähnlichen Absturz gerade noch rechtzeitig in die Politik. Lediglich der Dritte im Bunde konnte sich noch etwas länger über Wasser halten, aber gegen die Bournisierung des Actionkinos kämpft er inzwischen ebenfalls auf verlorenem Posten.
Die Zeit der kompromisslos zupackenden Helden, die zwischen den Schusswechseln oder Fausthieben auch noch Zeit für einen flapsigen Spruch hatten, schien endgültig vorbei. Dank immer schnellerer Schnitte und einer konfusen Wackelkamera-Optik konnten man zuletzt nicht einmal mehr richtig erkennen, wie unsere Heroen ihre Arbeit verrichteten. Wehmütig dachte man an die glorreichen 1980er und frühen 1990er-Jahre zurück, als das Genre in voller Blüte stand und man sich dank simpler Plots und eindimensionaler Figuren ganz auf das Wesentliche konzentrieren konnte: Action.
Diese Wehmut ist offenbar auch bis zum einstigen Genreprimus Sylvester Stallone durchgedrungen, der sich nun - wohl nicht ganz uneigennützig - der Heerscharen darbender Fans erbarmte und ein Projekt auf die Beine stellte, das sich wie eine Zusammenlegung von Weihnachten, Sylvester und Geburtstag anfühlen sollte: das Söldnerspektakel The Expendables. Eine 80er-Jahre Action-Sause mit dem alten Freundeskreis und geladenen Gästen von heute, ein Kindergeburtstag für Erwachsene. Ob Stallone dabei an den Wiener Kongress gedacht hatte, darf eher bezweifelt werden. Dennoch scheint auch er nach ähnlichen Prinzipien vorgegangen zu sein.
Solidarität
Zunächst einmal heißt es zusammenhalten, sonst ist die ganze Mission zur Ehrenrettung des Actionkinos von vornherein zum Scheitern verurteilt. Zu diesem Zweck hat Regisseur und Hauptdarsteller Stallone zunächst eine illustre Riege ehemaliger Recken zusammengetrommelt. Neben Willis und Schwarzenegger - die allerdings nur Kurzauftritte haben - hat er auch an seinen ehemaligen Sparringspartner aus Rocky IV gedacht und Dolph Lundgren damit endlich mal wieder Leinwandluft schnuppern lassen. Mickey Rourke ist seit The Wrestler zwar wieder gut im Geschäft, gilt aber nach wie vor als typischer 80er-Star. (Jean Claude VanDamme -hält sich neuerdings für einen ernsthaften Darsteller - und Steven Seagal - hat eine Fehde mit Produzent Avi Lerner - haben übrigens abgesagt und werden diese „Illoyalität" spätestens nach dem US-Startwocheneinspiel bitter bereut haben.)
Aber in The Expendables gibt es nicht nur Slys alte Konkurrenten und Kumpels zu bewundern, auch Freunde gepflegter B-Action-Stars mit (Kampf-)Sport-Erfahrung sollten voll auf ihre Kosten kommen. So geben sich so klangvolle Namen wie Randy Couture (mehrfacher UFC-Champion), „Stone Cold" Steve Austin (mehrfacher WWF-Champion) und Terry Crews (ehemaliger Profi-Footballer) die Knarre in die Hand.
Zur perfekten Abrundung des schlagkräftigen Ensembles dürfen mit Jet Li und vor allem Jason Statham schließlich zwei Genre-Schwergewichte der Gegenwart mitmischen. Vor allem Stathams Verpflichtung ist ein absoluter Besetzungscoup, gilt er doch im Moment als einziger reiner ernstzunehmender Actionstar, der es gar nicht nötig hätte, ein Revival alternder Ehemaliger zu unterstützen.
Um Solidarität geht es dann auch folgerichtig im fertigen Film. Die von Barney Ross (Stallone) angeführte Söldnertruppe hält zusammen wie Pech und Schwefel, wenn es gilt den bösen Buben das Licht auszublasen. Diese Buben sind der ehemalige CIA-Agent Monroe (Eric Roberts) und General Gaza (David Zayas), die gemeinsam den südamerikanischen Inselstaat Vilena terrorisieren. Nach anfänglicher Ablehnung ob der erdrückenden Übermacht des Gegners, beschließt Ross die Aktion auf eigene Faust durchzuführen. Irgendwie hat er durch Sandra - die Tochter des Generals und gleichzeitig Widerstandskämpferin im Untergrund - längst verloren geglaubte Ideale wiederentdeckt und mit etwas Zeitverzögerung dann auch der Rest der „Entbehrlichen".
Eine echte Männerfreundschaft ficht eben auch ein solch privates Himmelfahrtskommando nicht an und so steigen Messerexperte Lee Christmas (Jason Statham), Martial Arts-Profi Ying Yang (Jet Li), Schusswaffennarr Hale Cesar (Terry Crews) und Pyrotechniker Toll Road (Randy Couture) zusammen mit ihrem Boss ins Wasserflugzeug, um in Vilena die Verhältnisse mal wieder ordentlich zurechtzuschießen.
Legitimität
Legitimiert werden die Helden - wenn auch inoffiziell - von der CIA. Schließlich will man keinen politischen Zwischenfall oder gar Krieg riskieren, um den Abtrünnigen Monroe und seine Marionette Gaza aus dem Verkehr zu ziehen. Für diese riskante Drecksarbeit kommen die selbsternannten „Entbehrlichen" natürlich gerade recht.
Und wie sieht es mit dem Legitimitätsanspruch der versammelten Actionstarriege aus? Alle Beteiligten, ob jung oder alt, laufen unter Stallones Regie zur Höchstform auf. Da wird geballert, gemeuchelt, gefightet, gesprengt und Sprüche geklopft, dass es garantiert jedem echten Actionfan ganz warm ums lange vernachlässigte Krawallherz werden wird. Jeder bekommt eine eigene Szene spendiert, in der er seine ganz speziellen Fertigkeiten mal so richtig ausleben kann. Zwar stehen Stallone und Statham klar im Rampenlicht, trotzdem werden die unterschiedlichen Fanboys mit viel Liebe zum Detail und launigen Reminiszenzen an den filmischen Background ihrer Stars bei Laune gehalten.
Absoluter Höhepunkt in dieser Hinsicht ist das Elefantentreffen zwischen Stallone, Schwarzenegger und Willis. Gerade weil hier lediglich gesprochen wird, strotzt die Szene vor Anspielungen und ironischen Seitenhieben auf die jeweilige Actionvergangenheit der Stars. Vor allem der verbale Schlagabtausch zwischen den ehemaligen Konkurrenten (und inzwischen langjährigen Freunden) um den 80er-Actionthron ist das halbe Eintrittsgeld wert.
Ein Wehrmutstropfen sollte allerdings auch nicht unerwähnt bleiben. Sämtliche Kampfszenen Mann gegen Mann sind so schnell geschnitten, dass man kaum den Überblick behält. Ob hier eine Hinwendung zum hektischen Bourne-Stil oder doch eher der Geldbeutel - schließlich kann man sich so teure und zeitaufwändige Choreographien sparen - Motivation waren ist letztendlich nebensächlich, störend ist es allemal.
Restauration
Ob The Expendables die Action-Verhältnisse der 1980er-Jahre im modernen Genrekino wieder herstellen kann, darf getrost bezweifelt werden. Ob dies wirklich die Intention war, aber auch. Stallone wollte vielmehr noch einmal mit einem ordentlichen Knall zeigen, was das Genre so groß, so beliebt und letztlich so kultig gemacht hat. Und diese Mission ist perfekt gelungen. The Expendables ist ein Actionfeuerwerk, wie man es seit gefühlt 20 Jahren nicht mehr auf der großen Leinwand zu sehen bekam. Shootouts, Faustkämpfe, Explosionen, Autoverfolgungsjagden folgen Schlag auf Schlag, so dass nie Langeweile aufkommt. Lediglich der arg banale Plot bekommt stellenweise ein zu großes Gewicht und nimmt ein ums andere Mal etwasFahrt aus dem munteren Treiben.
Die Symbiose zwischen der alten Garde und den neuen Haudrauf-Epigonen funktioniert alles in allem aber erstaunlich gut und wirkt trotz ihres gewollten und deutlichen Retrocharmes nie angestaubt, altbacken oder überholt. Man kann den Film durchaus als Bindeglied zwischen dem „alten" und dem „neuen" Actionkino verstehen, eine moderate Weiterentwicklung vergangener Tugenden ohne allzu viel Anbiederung an die nervigen Auswüchse der Moderne. Es wird sich zeigen, ob dieser von vielen Die hard-Fans begrüßte und ersehnte Ansatz nur ein explosives Strohfeuer war, oder dem Genre wieder mehr Bodenhaftung und vor allem einen neuen Popularitätsschub verpassen kann.
Auch der Wiener Kongress war kein - wie fälschlicherweise oft angenommen - rein rückschrittliches und restauratives Projekt, sondern fasste durchaus auch zukunftsweisende Beschlüsse und reagierte auf aktuelle Strömungen und Veränderungen. Immerhin verschaffte er dem Kontinent eine fast 40-jährge Friedensperiode und kann zumindest in dieser Hinsicht als Erfolg gewertet werden.
Dass The Expendables im schnelllebigen Filmgeschäft dem Genre eine ebenso lange Blütezeit bescheren wird ist eher unwahrscheinlich, aber die Hoffnung stirbt schließlich zuletzt und vor allem sehr langsam. Freuen wir uns also erst einmal an der rosigen Gegenwart und genehmigen uns ein oder zwei Gläser Fürst Metternich auf unseren Sylvester, den alten und neuen König des Actionkinos, der seine monarchische Autorität ein für allemal bestätigt haben sollte.
(8,5/10 Punkten)