Review

Trauer, Trance & Tempoverschleppung

„Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives“ ist ein äußerst komplexer und, ja, auch anstrengender Film für unsere Sehgewohnheiten. Die Bilder wird jeder wundersam und bizarr schön finden. Die Atmosphäre zwischen Dschungel und Jenseits geht unter die Haut (ohne wirklich Horror zu sein!) und kann nur als einnehmend beschrieben werden. Und das schwarz-haarige Wesen mit den rotleuchtenden Augen ist schlicht jetzt schon visuell ikonisch und wunderbar weird. Das wird alles auch das Mainstreampublikum spüren und verstehen. Und dennoch ist das Tempo, die Balance und der Rhythmus dieses Genrezwitterwesens dermaßen anders, langsam und alle Gewohnheiten links liegen lassend, dass man die thailändisch-internationale Koproduktion definitiv als heftigen Kritiker-, Arthouse- und Randfilm beschreiben muss. Nicht für jedermann. Das Gegenteil eines Crowdpleasers oder einen Film für den gemütlichen Filmabend mit Freunden und Familie. „Uncle Boonmee…“ geht unter die Haut. Er bleibt noch lange bei mir. Und ich bin ohne Frage fasziniert von ihm - aber auch ich fand das teils dröge. Ein wenig wie filmische Hausaufgaben, die dann doch eindeutig irgendetwas Langfristiges haben, das einen noch lange beschäftigt, kulturell aufschlussreich und künstlerisch äußerst wertvoll erscheint, das man aber nicht richtig greifen kann und für das man vielleicht etwas zu arg arbeiten, kämpfen, sensibel, geduldig bleiben muss… Erzählt wird vom nierenkranken, sterbenden, titelgebenden Onkel, der nochmal von verstorbenen Menschen seines Lebens besucht wird und dessen vergangene Leben und seltsame Affenwesen kurz vor seinem Ableben ins Diesseits kreuzen…

Die spirituelle Seite Thailands

Geduldsprobe und Geistergedicht. Weckruf und Abschied. Exotikbonus und Allgemeingültigkeit. Dämonen und Friedenfinden. Vergangenheit und Zukunft. Leben und Tod. „Uncle Boonmee…“ packt verdammt viel Tiefe in seine zeitlupige Art und Weise und „Geschichte“ - darauf muss man sich einlassen. Was einfacher gewsagt ist als getan. Mir ist das nicht durchgängig und pausenlos gelungen. Zugegeben, es gab langweilige Passagen und Auf-die-Uhr-guck-Momente. Genug. Kurzweile und Unterhaltung geht anders. Und dennoch hat Weerasethakuls Moodpiece seine Wirkung nicht verfehlt. Reinigendes Wasser und gruselige Erscheinungen, haariger Kummer und grüne Hölle, spirituelle Komplexität und zirpende Grillen, Katheter und Katharsis. „Uncle Boonmee…“ strotzt nur so vor Textur und Weisheit, vor Exotik und Andersweltlichkeit, vor Trauer wie Hoffnung. Eine Umarmung von der anderen Seite. Man spürt und riecht förmlich den Schweiß, die Tropfsteine, die Menschlichkeit, die Makel, die Sehnsucht. Das ist schlicht mit nichts im Filmbereich vergleichbar. Erst recht hier im Westen. Was man erstmal schaffen muss und was dem Werk unmittelbar eine tiefgreifende, bedeutsame Gravitas, Wirkung und Faszination verleiht. Ihm aber dennoch nichts von seiner Langsamkeit, Zähigkeit und uns womöglich weniger interessierenden Themen nimmt… Daher ist „Uncle Boonmee“ für mich ein zweischneidiges Schwert - einerseits höchst anregend und ätherisch, anderseits höchst zäh und einschläfernd. Audiovisuell aber schlicht überragend. Eventuell aber mehr Museum und Kunstausstellung als Film?! Definitiv eher als Unterhaltungsprodukt. 

Fazit: selbst mit Geduld, Willen und Verständnis ist „Uncle Boonmee“ noch ein sehr zähes, exotisches und anti-unterhaltsames „Vergnügen“. Dennoch kann man ihm eine kaum greifbare, zwischenweltliche Atmosphäre, Art, Aura nicht absprechen. Ein gutes Stück mehr Zug hätte es aber sein dürfen… Trotzdem eine singuläre „Geistergeschichte“. Ein Blick auf Leben, Tod und vieles dazwischen, wie man ihn noch nie vernommen hat. Eine kraftvolle „neue“ Stimme des Weltkinos. 

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