Schach im Film unterstreicht oftmals eine gewisse Weltfremdheit, besonders, wenn jemand einer entscheidenden Partie eine übermäßig symbolträchtige Bedeutung beimisst.
Wenn dazu eine dysfunktionale Familie im Mittelpunkt eines Psycho-Thrillers steht, deren Familienoberhaupt ungeschlagener Schachspieler ist, wird es schwierig, den selbstgerechten Fanatiker mit sachlichen Argumenten zu überzeugen.
Diese Aufgabe wird dem Filmstudenten Yannick zuteil, der auf der titelgebenden Straße einen Satz über seinen Fahrradlenker macht und im Haus von Jacques Beaulieu eigentlich nur ein Taxi rufen wollte.
Als er merkwürdigen Geräuschen im Obergeschoss nachgeht, entdeckt er einen schwer verletzten Mann und wird kurz darauf selbst eingesperrt.
Auf Dauer kann es für Yannick nur einen Weg in die Freiheit geben: Eine Partie Schach gegen das bis dato ungeschlagene Familienoberhaupt Jacques zu gewinnen…
Wie einen typischen Folterfilm sollte man sich das Werk des Kanadiers Eric Tessier nicht vorstellen, denn die Handlung bindet keine degenereierten Rednecks ein, sondern zeigt eine, auf den ersten Blick völlig intakte Familie mit altmodischer Hierarchie.
Jacques Wort und sein verbohrter Gerechtigkeitswahn sind Gesetz, Mutter Maude, eine pummelige Kuscherin, gehorcht dem Patriarchen aufs Wort, während Tochter Michelle ihrem Vater nacheifert, dabei jedoch ab und an zu impulsiven Gewaltausbrüchen neigt.
Yannick wird schnell klar, dass er nicht der erste Gefangene im unscheinbaren Haus der Beaulieus ist, doch aus unerfindlichen Gründen lässt man ihn am Leben, während der Eingesperrte eine Kassette mit einer Videobotschaft nach draußen befördert und phasenweise Camcorderaufnahmen tätigt.
Rein formal steuert man zu Beginn auf den üblichen Terrorfilm zu: Ein Opfer in isolierter, schier auswegloser Situation, um ihn herum unberechenbare Irre und die dauerhafte Belastung, unter solchen Umständen ebenfalls ein wenig gaga zu werden.
Bei Jacques beißt der Inhaftierte auf Granit, die Tochter provoziert er besser erst gar nicht, also versucht er, die augenscheinlich labile Maude, die ihm ab und an Verpflegung ins Zimmer reicht, um den Finger zu wickeln, doch diese schwankt zwischen strengen Gehorsam und einem letzten Funken Menschlichkeit, was zu mindestens einen Fluchtversuch führt…
Tessier schafft es, das vertraut wirkende Sujet durchaus markant erscheinen zu lassen.
Die glaubwürdigen Figuren (mal abgesehen von der Dummheit Yannicks beim einen oder anderen Fluchtversuch) tragen ebenso dazu bei, wie die treffend besetzten Darsteller, die allesamt eine grundsolide Performance hinlegen.
Dazu kommt die präzise arbeitende Kamera, die besonders im letzten Drittel ein paar surreal anmutende Bilder einfängt, als Yannick beginnt, sich in die Schachwelt seines Kontrahenten zu versetzen und gleichermaßen psychotische Sichtweisen entwickelt.
Die überwiegend ruhige Erzählweise kommt dabei ebenso positiv zum Tragen wie die dichte Bindung zu den Figuren, - da setzt man primär auf die psychologische Komponente, anstatt mit beliebigem Blutvergießen die oberflächlichen Gelüste geneigter Splatterfans zu nähren.
Auch wenn der arg eingeschränkte Schauplatz und die überschaubare Figurenkonstellation kaum überraschende Wendungen zulassen, wartet man im letzten Akt mit einer morbiden Offenbarung auf, die das lange Zeit undurchschaubare Vorgehen des Familienoberhaupts in ein erklärendes Licht rückt, - schließlich muss es etwas mit der Schachleidenschaft und dem moralischen Eigensinn des vermeintlich unauffälligen Taxifahrers auf sich haben.
Leider werden für den Showdown ein paar zeitgleich eintretende Ereignisse zuviel konstruiert, wobei sich einige Unwahrscheinlichkeiten einstellen, die über das Finale hinaus andauern, was den insgesamt positiven Gesamteindruck jedoch nur leicht schmälert.
Denn trotz des schlichten Storyaufbaus ist einem das Schicksal der Figuren nicht gleich und man wird rasch an das Geschehen gebunden, welches zu keiner Zeit einen Dampfhammer hervorholt, sondern seine minimalen Schocks wohl dosiert.
Sicherlich kein Meilenstein des allgemeinen Familien-Terror-Films, aber einer, der aufgrund seiner Konzentration auf das Wesentliche zumindest latent unterhält und eine Sichtung wert ist.
7 von 10