Review

So unberührt und unschuldig der Schnee in dem kleinen Städtchen „Fargo“ regiert, so einfältig erscheinen auch dessen Bewohner. Doch unter der Oberfläche schlummern Untiefen...

Skurril und doch clever
Bei den Coen-Brüdern Joel und Ethan sind skurrile Charaktere meistens mindestens genauso wichtig, wie eine interessante Story. Im ungünstigen Fall spielt die Story eine so untergeordnete Rolle, dass sie eigentlich keine Erwähnung verdient (z.B. bei „Arizona Junior“, ein sehr lustiger Film, doch die Komik entwickelt sich nicht aus einer cleveren Storyline, sondern einzig und allein aus den skurrilen Charakteren, wie z.B. dem arg grimassierenden Nicolas Cage). Dennoch sind ihnen auch einige Filme gelungen, die über beides verfügen: eine intelligente Story sowie die Coen-typischen skurrilen und liebevoll gezeichneten Charaktere. „Fargo“ von 1996 ist DAS Musterbeispiel für einen Film, der beide Trademarks auf grandiose Art und Weise verbindet.

Das clevere Script und die erwähnten schrulligen Charaktere werden Coen-typisch von herausragenden Darstellern mit Leben gefüllt. Der großartige William H. Macy spielt den verzweifelten Autohändler Jerry Lundegaard, einen totalen Verlierer, der in seiner Not eine Kette von furchtbaren Ereignissen auslöst. Da er in argen Geldnöten steckt, beauftragt er zwei windige Gauner, seine eigene Frau zu entführen, damit der reiche Schwiegervater ein gehöriges Lösegeld zahlt. Die beiden damit beauftragten Gauner werden ebenfalls grandios gespielt von Steve Buscemi, der den ewig plappernden und leicht „schrägen“ Showalter spielt. An seiner Seite gibt Peter Stormare das genaue Gegenteil, denn sein Gimsrud ist einsilbig, leicht beschränkt, lässt sich aber nicht übervorteilen, was Showalter im Laufe des Films auf grausame Art herausfinden muß. Nachdem es bei der Entführung zu ungeplanten Morden kommt, schaltet sich die schwangere Dorf-Polizistin Marge ein, die unvergesslich von Frances McDormand dargstellt wird. Sie erhielt den Oscar für die beste Hauptdarstellerin zurecht. Gerade sie stellt den Typus der unterschätzten Provinzlerin, die den Fall dennoch unaufhaltsam und auf clevere Art löst, überzeugend dar.

Der Schnee färbt sich rot
Immer wieder rückt Regisseur Joel Coen einen weiteren Hauptdarsteller in den Vordergrund, den Schnee: „Fargo“ ist gespickt mit ungewöhnlichen Einstellungen, meist Totalen, in denen Menschen nur als winzige Punkte auf der geschlossenen Schneedecke erscheinen. Der Schnee stellt eine beeindruckende wie trostlose Kulisse dar.

Die Schneedecke wird in „Fargo“ allerdings auch oft besudelt. Neben den erwähnten witzigen Szenen und Dialogen, die von schrulligen Typen gesprochen werden, stellen die Coens immer wieder realistische Gewaltdarstellungen in den Vordergrund. So wird ein Cop aus nächster Nähe per Kopfschuß getötet, was eine Blutfontäne auslöst. Diese Szenen sind es, die als Kontrastpunkte fungieren, so das Salz in der Suppe darstellen und die Zuschauer daran erinnern, dass sie einem Kriminalfilm folgen. Sie sind es auch, die für einen rauhen Ton sorgen und dafür sorgen, dass der Film abseits gängiger Hochglanz-Hollywoodklischees funktioniert. Dafür sorgt auch der realistische Look des Films. Die Nebendarsteller wirken geradezu gewöhnlich und sehen allesamt (unter-)durchschnittlich aus. Und auch die Hauptdarsteller liefern eine uneitle Leistung. Diese Zutaten verstärken den erdigen (und ehrlichen) Charme, den „Fargo“ verströmt.
Die Erzählweise von „Fargo“ entspricht ebenfalls keinen Hollywoodnormen, denn so behäbig, wie die Kleinstädter im Film reden und handeln, so behäbig ist „Fargo“ auch inszeniert. Den einzelnen Charakteren wird viel Zeit eingeräumt. Dass den Coen-Brüdern dennoch ein spannendes Stück Kino gelungen ist, das zwar behäbig, aber nie schwerfällig ist, liegt am intelligenten Sctipt, den tollen Darstellern und auch dem getragenen Score von Carter Burwell, dem an dieser Stelle ebenfalls Rechnung getragen werden soll.

„Fargo“ ist der bekannteste Film der Coen-Brüder und war wohl auch deren größter Erfolg, denn obwohl viele tolle Filme auf ihr Konto gehen, waren die wenigsten auch an der Kinokasse erfolgreich. Mit „Fargo“ liefern sie einen (für ihre Verhältnisse) geradlinigen und schnörkellosen Film ab, der am ehesten mit dem ersten Werk der Beiden, „Blood Simple“, vergleichbar ist. Ironie der Geschichte ist wohl, dass in diesem Werk von 1984 ebenfalls Frances McDormand die Hauptrolle spielte.

Alles in allem ist „Fargo“ ein makelloser Film, gerade weil er bewußt Makel zuläßt. Zudem ist er ein idealer Startpunkt, um sich mit dem insgesamt herausragenden Werk der Coen-Brüder vertraut zu machen.

Fazit:
10 / 10

Originalreview unter:

Kinetoskop.de

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