„Eine Melancholie-Sinfonie - Karl May´s Winnetou - 3. Teil"
Es gibt Filme, sieht man sie in prägenden Entwicklungsphasen wie der Kindheit und Jugend, die hinterlassen einen unauslöschbaren Eindruck und bewahren sich für immer den Status eines unvergesslichen Erlebnisses. Ob man das Dargebotene im Erwachsenenalter immer noch ähnlich ergreifend, mitreißend oder überwältigend erlebt, spielt dabei praktisch keine Rolle. „Winnetou III" - sofern man mit der Karl May-Reihe in irgendeiner Form (positiv empfindend) aufgewachsen ist - ist ein solcher Film. Der Tod des edlen Apachenhäuptlings ist Überwältigungskino par excellence, ein perfekt inszenierter Mix aus Pathos, Wehmut und Tränendrüse, hart an der Grenze zum Kitsch, keine Frage, aber eben nicht diese dammbrechend überschreitend. Bei der auch May-freundlichen Filmkritik fiel und fällt das Urteil allerdings oft erheblich nüchterner aus.
„Winnetou III" wird häufig als schwächster Teil der Trilogie bezeichnet, als letztes Aufbäumen des Erfolgsduos Wendlandt (Produktion) / Reinl (Regie), bevor die May-Serie endgültig im bereits zuvor erkennbaren, qualitativen und kommerziellen Abwärtsstrudel langsam aber sicher, wenn nicht unter ging, so doch zumindest austrudelte. Das schmälere Budget, die weniger komplexe Handlung sowie erkennbare Wiederholungen bei Plot-Ideen, Schauplätzen und dramaturgischem Grundgerüst werden dabei meist als negative Multiplikatoren angeführt. Bei oberflächlicher Betrachtung und im direkten Baustein-Vergleich mit den Vorgängern mag dies so aussehen und plausibel erscheinen, bringt man aber die Faktoren Emotion und Stringenz ins Spiel, kann man auch zu einem anderen Ergebnis kommen.
Zunächst einmal ist es durchaus wahr, dass H.G. Peterson mit dem Kern-Plot keinen Innovationspreis verdient. Zum gefühlt x-ten Mal drohen die friedliebenden Indianer im Schraubstock zwischen kriminellen Geschäftemachern und einem unaufhaltsamen Siedlerstrom gnadenlos zerquetscht zu werden. Die aufrechten Helden Winnetou und Old Shatterhand versuchen zwischen Rot und Weiß zu vermitteln und einen für beide Seiten annehmbaren und v.a. lebenswerten Frieden zu erreichen und zu sichern. Dass die beiden bei ihrer Mission zwischenzeitlich verfolgt, gejagt, beschossen und gefangen genommen werden sowie es darüber hinaus auch noch mit ausgesucht perfiden und intriganten Gegnern zu tun bekommen, ist ebenfalls nicht gerade bahnbrechend neu. Um so überraschender ist es, dass der Film seines repetitiven Charakters zum Trotz von Beginn an eine nervöse Grundspannung aufbaut, die bis zum großen Tragik-Finale nicht abfällt.
Eine große Rolle spielt dabei sicherlich das bei jedem Zuschauer voraussetzbare Wissen um den unausweichlichen Tod des Titelhelden. So legt sich von den ersten Filmminuten an eine wehmütig-melancholische Grundstimmung über das Geschehen, was „Winnetou III" diametral von allen anderen May-Verfilmungen unterscheidet. Harald Reinl ist sich dieses Alleinstellungsmerkmals offenkundig sehr bewusst, da er sämtliche Register zieht um diese Stimmung nicht nur am Leben zu erhalten, sondern regelrecht zu befeuern.
So lässt er beispielsweise die beiden Blutsbrüder gleich zu Beginn am Grab Nscho-Tschis und Intschu Tschunas zusammen treffen und sich gemeinsam an glücklichere Zeiten erinnern, als Winnetous Schwester und Vater noch am Leben waren. Gesten, Blicke und die wenigen Worte zeugen vom Ernst und der Ergriffenheit der beiden Freunde. Gleichzeitig wird damit an die von Schicksalsschlägen geprägte Familiengeschichte Winnetous erinnert, was wiederum seinen grundsätzlich vorhandenen Märtyrer-Status - der edelmütige und selbstlose Heroe in einem aufopferungsvollen Kampf gegen das unausweichliche Schicksal - nochmals deutlich heraus stellt. Wieder zeigt sich dabei Reinls Virtuosität beim Einsatz von Naturschauplätzen für seine inszenatorischen Ziele und Zwecke. Das majestätische und erhabene Felsmassiv des Mali Alan ist wie geschaffen für das Erzeugen von Pathos ohne vordergründig pathetisch zu wirken (wie es beispielsweise eine zu aufdringliche Filmmusik tun würde).
Ähnlich clever strukturiert wie die Nugget Tsil-Episode ist die Audienz der beiden Helden beim Gouverneur in Santa Fe. Bevor die beiden in die Stadt einreiten hält Winnetou inne, irritiert und gefangen von dem für ihn unbekannten Klang läutender Kirchenglocken. Diese religiös-spirituelle Komponente passt gut zur weihevollen Stimmung, zumal besagte Glocken auch bei Beerdigungen zum Einsatz kommen, was wiederum Winnetous Todesahnung im wahrsten Wortsinn anklingen lässt (folglich und dramaturgisch geschickt lässt sie Reinl bei der Sterbeszene erneut erklingen und schließt damit gekonnt den Emotions-Kreis).
Eine Ahnung vom letztlich aussichtslosen Kampf der Helden scheint dann auch der Gouverneur zu haben. So sichert er Winnetou und Old Shatterhand zwar die Unterstützung der Armee zu wann und wo immer sie es benötigen sollten, allerdings - wie der Zuschauer - wohl wissend, dass das Zurückdrängen der Indianer am Ende nicht aufzuhalten sein wird. Die ausdrückliche Erwähnung von Tapferkeit und Edelmut der Blutsbrüder verstärkt wiederum nur den Tragik-Faktor der Situation.
Essentiell für die ganz eigene Wirkung von „Winnetou III" ist aber auch der klare Fokus auf der Hauptfigur. In keinem anderen May-Film (mit Ausnahme vielleicht von „Winnetou II") steht der Titelheld dermaßen im Mittelpunkt des Geschehens und nirgends sonst hat er annähernd so viel Screentime. Lex Barker als Old Shatterhand rückt hier noch mehr in den Hintergrund wie im zweiten Teil der Trilogie und übernimmt die ansonsten Winnetou zugedachte Rolle des tatkräftigen Helfers und zuverlässigen Retters aus letzter Not. Sam Hawkens (Ralf Wolter gewohnt hintersinnig-schlitzohrig) funktioniert lediglich als (passenderweise nur moderat) komischer Sidekick und dient ansonsten zuvorderst der figurentechnischen Anbindung an Teil 1.
Vor allem im für Reinl-Verhältnisse erstaunlich actionreichen Mittelteil hat Winnetou alle Hände voll zu tun. Auf seinem Weg zu Häuptling „Weißer Büffel" stellt ihm die Banditenbande um ihren Anführer Rollins (der Italiener Rik Battaglia in seiner dritten May-Schurkenrolle) eine Reihe tödlicher Fallen, denen er nur ganz knapp mit einer Mischung aus vollem Körpereinsatz, Geschick und Wagemut entgeht. Diese Szenen sind im Vergleich zu den vorigen Filmen ungemein spannend, abwechslungsreich und vor allem rasant inszeniert. So stürzt Winnetou in vollem Galopp über einen gespannten Draht, muss sich in Stromschnellen und von Wasserfällen stürzen und sich mit allen nur erdenklichen Waffen einer zahlenmäßigen Übermacht an Feinden erwehren. Aber Reinl setzt hier nicht einfach nur auf Action im Sinne von kurzweiliger Unterhaltung. Wie alles in „Winnetou II" dienen auch diese Sequenzen zusätzlich dem übergeordneten Ziel des tragischen Heldenepos. Nie zuvor wurde der heroische und versierte Kämpfer Winnetou deutlicher zelebriert, was seinen Tod wiederum noch bedauernswerter und sinnloser erscheinen lässt und damit zusätzlich überhöht.
Komplettiert und abgerundet wird das atmosphärische Gesamtpaket schließlich durch die audiovisuelle Komponente. Martin Böttchers wild-romantische Musik hatte schon in sämtlichen Vorgängerfilmen einen massiven Anteil an der Vorlagen-kompatiblen, märchenhaften Grundstimmung. Für die unverkennbar melancholischere Ausrichtung von „Winnetou III" waren seine Kompositionen fast noch passender und ergänzten sich wunderbar mit Reinls Empathie-Inszenierung.
Dafür maßgeblich waren wieder einmal und nicht zuletzt die von Reinl ausgewählten Landschaften und Naturschauplätze Ex-Jugoslawiens sowie deren kongeniale Verwendung als zusätzlicher Filmcharakter. Neben dem Mali Alan-Bergmassiv - Reinl drehte dort die Szenen an den Grabmälern, Teile der Verfolgungsjagd auf Winnetou sowie das große Finale mit der Sterbeszene - gilt dies für die Plitwitzer Seen - wiederum Teile der Hatz auf Winnetou - sowie die majestätische Zrmanja-Schlucht, wo wie schon in „Winnetou I" das Pueblo der Apachen errichtet wurde. Reinl schuf damit geographisch und bildlich den Brückenschlag zum ersten Teil der Trilogie und schloss damit für jeden ersichtlich den Kreis. Das gilt insbesondere auch auf emotionaler Ebene, da sich Winnetous Schicksal exakt an dem Ort erfüllt, an dem auch Intschu tschuna und Nscho-tschi ihr Leben aushauchten.
Der absolute emotionale Höhepunkt, auf den Reinl den gesamten Film über mit allen inszenatorischen Mitteln hingearbeitet hat, ist dann natürlich auch Winnetous Tod. Ein gefährlicher Drahtseilakt, den der Regisseur bravourös meistert. Die Gefahr, dabei in überbordendem Kitsch Schiffbruch zu erleiden, ist nämlich ganz erheblich. Schließlich geht es um den Tod eines bereits bei Karl May mythisch überhöhten Helden mit fast schon sakraler Ausstrahlung. Inszeniert man das Ganze zu kühl und knapp, fällt der Film in sich zusammen und hinterlässt eine enttäuschende, emotionale Leere. Haut man allerdings zu sehr in die Pathos- und Tränendrüsen-Tasten, kann sich die anvisierte Ergriffenheit schnell in kontraproduktive Fremdschäm-Attacken verwandeln. Zwar ist das große Finale hinsichtlich letztgenannter Gefahr hart auf Kante genäht, zumindest für den May-affinen Filmfreund geht aber gerade deshalb die Rechnung voll auf.
Die ganze Sequenz funktioniert praktisch als Film im Film und ist dramaturgisch meisterhaft arrangiert. Sie beginnt mit der Flucht des gesamten Apachenstammes in die felsigen Höhen des Nugget Tsil, um Zeit zu gewinnen für die versprochene Rettung durch die Armee. Als diese dann gerade noch rechtzeitig eintrifft und das Blatt sich gegen die Verfolger wendet, wagt Old Shatterhand sich aus der sicheren Deckung, um den Helfern die eigene Position zu signalisieren. Diesen kurzen Moment der Unachtsamkeit nutz der eigentlich bereits geschlagene Banditenboss Rollins und legt auf Shatterhand an. Winnetou bemerkt dies, wirft sich im letzten Augenblick vor den Freund und fängt die für diesen bestimmte, tödliche Kugel.
Diesen Schock lässt Reinl aber nicht einfach so verpuffen bzw. für sich allein stehen, sondern ermöglicht dem Zuschauer den wehmütigen Abschied von seinem geliebten Filmhelden. So lässt er den Sterbenden nicht nur erneut die Glocken von Santa Fee hören und noch ein letztes Mal seinen treuen Rappen Iltschii sehen, sondern auch vor seinem geistigen Auge - und für den Zuschauer im Bild sichtbar - zentrale Szenen aus den vorangegangen Abenteuern Revue passieren. Geschickterweise verzichtet Reinl - ausgenommen die stimmungsvoll passend mit der „Old Shatterhand-Melodie" unterlegten Erinnerungen - bei der Sterbesequenz auf jegliche Musikuntermalung, was die emotionale Wirkung der Szenen enorm verstärkt und gleichzeitig vor der drohenden Kitschfalle bewahrt. Am Ende - nachdem der Armee-Arzt nicht mehr helfen kann - bläst ein einzelner Hornist zum Zapfenstreich und Old Shatterhand reitet mit einer Schar Apachen und dem Leichnam des toten Freundes in den Sonnenuntergang. Abblende.
Man kann „Winnetou III" sicherlich viel vorwerfen, aber bestimmt nicht, dass er sein Publikum kalt lässt. Winnetous Tod ist zweifellos der emotionale Höhepunkt der gesamten Filmreihe. Der mit „Der Ölprinz" einsetzende qualitative und wirtschaftliche Abwärtstrend konnte noch einmal eindrucksvoll gestoppt werden, bevor er dann mit „Old Surehand" aber endgültig nicht mehr aufzuhalten war. Ein letztes Mal gab es die goldene Leinwand für mehr als 3 Millionen Besucher binnen eines Kinojahres und zudem wütend-ängstliche Fanproteste hinsichtlich eines möglichen Endes der Winnetou-Filme.
Die straffe, auf jegliche Nebenstränge verzichtende Handlungsführung sowie der unbedingte Fokus auf dem Titelhelden Winnetou, sind im Bezug auf die möglichst maximale emotionale Wirkung des tragischen Finales unbedingt zielführend und stimmig. Absolut stimmig ist auch der durchgängig wehmütige Grundton sowie Pierre Brices melancholisch-entrückte Winnetou-Darstellung. Die teilweise aus bekannten Versatzstücken bestehende Handlung sorgt weit eher für ein angenehmes Déjà-vu, denn für ein ärgerliches „Nicht schon wieder", zumal der ganze Film bewusst als ergreifende Abschiedsvorstellung des edlen Apachen angelegt ist. Ein würdiger, trotz seines nur rudimentär vorlagentreuen Plots auch im Geiste Karl Mays stehender Abschluss der Winnetou-Trilogie, die (zusammen mit „Unter Geiern") die besten Filme der erfolgreichen Film-Serie lieferte und gewissermaßen deren Herzstück bildet.
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Literatur:
Chatain, Michael, „Vom Silbersee zum Tal der Toten". Das große Karl May Filmbuch, 2012.
Kastner, Jörg, Das grosse Karl May Buch. Sein Leben - Seine Bücher - Die Filme, Bergisch Gladbach 1992, S. 223-229.
Petzel, Michael, Karl-May-Filmbuch. Stories und Bilder aus der deutschen Traumfabrik, Bamberg 1999, S. 290-307.