Es ist schön zu sehen, dass sich hier mal ausnahmsweise fast alle einig sind dass PICCO ein starkes Stück deutsches Drama mit authentischem Hintergrund ist. Der Foltermord in der JVA Siegburg 2006 hatte eine große Debatte über die Zustände und die Möglichkeiten der Prävention solcher Vorfälle ausgelöst. Der Film PICCO stellt die Vorfälle nicht 1:1 nach. Diese waren noch weit schrecklicher als im Film gezeigt. Er zeigt - so hart dies klingt – wie jeder von uns zum Täter werden könnte wenn man in einer gewalttätigen Gemeinschaft ohne Ausweg vielleicht nur noch an das eigene Überleben denken kann.
Die Geschichte von Kevin (Constantin von Jascheroff) der als Neuankömmling im Jugendknast (=Picco) in eine Viererzelle gelegt wird und merkt, dass er nur die Haft überstehen kann, wenn er sich wehrt und/oder sich den anderen gegenüber als hart beweist, ist ein sehr harter Brocken durch seinen ungeschönten Realismus. In fast dokumentations-artigem Stil erleben wir das Miteinander der Insassen und durch den bewussten Verzicht auf Filmmusik gibt es nur das nackte Geschehen und keine dramaturgische Ablenkung.
Es ist ein Kammerspiel oder jeglichen Schnörkel und wird vor allem im letzten Drittel quasi zur Tortur für den Zuschauer der Durchhaltevermögen zeigen muss. Man merkt wie unmittelbar reale Gewalt ist und wie lächerlich doch die meisten Action- oder Horrorfilme dagegen wirken. Bei aller expliziten Gewalt muss man sagen, dass diese niemals selbstzweckhaft ist und Voyeurismus ausbleibt. Dennoch, jegliche Form von nicht-pervertierter Menschlichkeit blieb in dieser Nacht außerhalb der Zelle der Geschehnisse.
Die jugendlichen Schauspieler sind durchweg sehr gut und nach einer kurzen Weile ist man mitten im Geschehen und findet entsprechende Identifikationsmöglichkeiten. Die Frage wie man selbst reagiert hätte, ist man Täter oder Opfer oder beides, bewegt jeden auch noch lange nach dem Film. Stilistisch ist PICCO auch keine Durchschnittsware. Die Kamera folgt oft den Protagonisten, die Farben sind sehr blass, mal grün oder im Dunkeln eher in bronzeartige Töne getaucht. Manchmal hört man durch ein dumpfes Brummen des Gefängnisgebäudes.
PICCO hebt nicht vordergründig den moralischen Zeigefinger und prangert Funktionen oder Menschen direkt an. Er beschreibt nur, er verteilt nicht. Das Gezeigte ist beklemmend und kompromisslos und schmerzt normale Menschen so sehr, dass ich eine Warnung für sensible Gemüter aussprechen möchte. Selbst erfahrene Gewalt- und Horrorfilmfans habe ich bei PICCO an ihren Grenzen erlebt. Mann könnte noch seitenweise über diesen intensiven Film schreiben, ich ende hier dennoch mit einer eindeutigen Empfehlung.
8/10 Punkten