Mit dem "Andechser Gefühl" legte Achternbusch nach zwei Kurzfilmen seinen ersten Spielfilm vor: als Regisseur, als Drehbuchautor und Hauptdarsteller. Diese Funktionen übte er auch später bei dem größten Teil seiner Filme aus und stilisierte sich so über die Jahre hinweg per Selbstinszenierung zu einer Kunstfigur, was Achternbusch eher in die Nähe der großen Filmkomiker rückt und weniger in die Nähe der Vertreter eines neuen deutschen Films: seine Figuren sind zum Großteil leicht zu charakterisieren - sehnsüchtige, melancholische oder gar unglückliche Gestalten, die immer etwas geistesabwesend und nie zur Umwelt dazugehörend durch die Landschaft irren, welche zumeist mitleidlos bis feindlich wirkt: so etwa seine Figur aus "Bierkampf" (1976), die in eine Polizeiuniform schlüpft und die Mitmenschen herumkommandiert um einmal eine Autorität zu sein, sein Dichter aus "Servus Bayern" (1977), der der zwischenmenschlichen Kälte Bayerns nach Grönland entfliehen will, sein Nil aus "Das letzte Loch" (1981), der den Holocaust nicht schlucken kann und für jeden toten Juden einen Schnaps trinkt, sein 42. Jesus in "Das Gespenst" (1982), der orientierungslos vom Kreuz steigt und nicht weiß, wie ihm geschieht, sein Hick, der sich in "I Know the Way to the Hofbräuhaus" (1991) mit einer Mumie im Schlepptau durch Touristenmengen hindurch ins Hofbräuhaus begeben will...
All diese Figuren sind liebenswerte Außenseiter, zerbrechliche Leidgeplagte, was Achternbuschs Körper mit den sanften Gesichtszügen und der schlacksigen Gestalt glücklicherweise auch visuell noch zu unterstreichen vermag.
"Das Andechser Gefühl" führt diesen Typus bereits unmissverständlich ein: Achternbusch gibt hier [Achtung: Spoiler!] einen verzweifelten, träumenden Lehrer. Noch vor dem Titel sitzt er über eine Minute lang still und stumm im Andechser Biergarten, ins Leere starrend, die ertrunkenen Fliegen im Bierglas ignorierend, mit Rasierschaumresten hinterm Ohr.
Auch danach erregt kaum etwas sein Interesse: nicht seine geliebte Kellnerin und schon gar nicht seine Frau, die er völlig vernachlässigt und abweist. Sein ganzes Denken konzentriert sich auf zwei Themen: eine am nächsten Tag bevorstehende Prüfung an der Schule, die ihm die Verbeamtung sichert, und die Ankunft einer mysteriösen Filmschauspielerin aus Italien, auf die er seit Jahren wartet. Vor der Prüfung graust es ihm bis zur Todesangst, der Ankunft der Schauspielerin gilt seine ganze Sehnsucht. Diese Zerreißprobe zwischen Hoffen und Bangen treibt ihn bis an den Rand seiner Kräfte.
Dann jedoch kommt alles anders: er wird verbeamtet, die Filmschauspielerin trifft urplötzlich ein. (Ob sie wirklich eintrifft, oder ob sie eine Fantasie des Lehrers und seiner Frau ist - wie diese es mutmaßt und wie dann auch die Reaktionen der Mitmenschen auf die Fremde bloß eingebildet sein müssten - klärt der Film nicht mehr endgültig auf.)
Doch kaum könnte der Lehrer, der in Gegenwart der Schauspielerin in den Genuß des Andechser Gefühls kommt ("ein Gefühl, dass man nicht allein ist"), aufatmen und glücklich sein, vermag seine Frau ihr Unglück nicht mehr zu ertragen und stößt ihrem Mann nach einer letzten Demütigung und Abweisung ein Messer in den Leib ("Da hast du dein Andechser Gefühl!").
Im Grunde genommen inszenierte Achterbusch in seinem Spielfilmdebut ein recht pessimistisches Weltbild: mangelnde Rücksichtnahme, Einsamkeit mitten unter den Mitmenschen und der Stress der Existenzsicherung bilden zentrale Themen, die Achternbusch auch dem Lehrer nach seiner Prüfung in den Mund legt. Denn dieser spult im Anschluss an die Prüfung seine Sicht der Dinge ab: "Das Verhältnis der Menschen im Staat zueinander ist ein bloß tierisches Verhältnis. Die Macht ist auf der ganzen Erde gesetzlos. Sklaverei ist alles was kostet und alles was weh tut."
Doch Achternbusch macht daraus keine Gesellschaftsanalyse und erst recht keinen Agitationsfilm, auch kein betroffen machendes Drama. Er bedeckt die Themen mit den abwegigsten Motiven absurden Humors. Da wären die Schulstunden des Lehrers ("Der Mensch hat 60000 Haare auf dem Kopf. Wer von euch aufs Gymnasium geht, wird auch das Gewicht des Haares erfahren."), die Bestätigungen der Schönheit der Schauspielerin durch einen Stummen und einen Kurzsichtigen (der Stumme röchelt durch ein Loch in seinem Hals, der Kurzsichtige schneidet sich "zum Zeichen dass sie schön ist" ein Ohr ab) oder die so ziemlich letzten Worte des Sterbenden ("Wenn ich Haferflocken gegessen hätte, müsste ich mit Haferflocken im Mund sterben."). Ergänzt wird das Ganze durch beliebig eingebauten Unsinn (ein Statist bedeckt sein Gesicht und murmelt "Ich darf mein Gesicht nicht zeigen, ich werde von Interpol verfolgt!", während der Ortspolizist davon berichtet, wie er in den Fuß gebissen worden ist oder eine Gehilfin des Priesters manisch dessen Tassen verschenkt) und einem extremen Pathos in Gesten und Äußerungen, das in Verbindung mit einem häufig laienhaften Spiel und der starren Kameraarbeit eine sonderbare Komik entfaltet.
Insgesamt liegt der Film in seinem humoristischen Potential irgendwo zwischen den humorvollsten Werken Werner Herzogs (dem Achterbusch noch am nächsten stand) und den ernsthaftesten Arbeiten Helge Schneiders.
Erwähnenswert sind sicherlich noch die Auftritte Margarete von Trottas, die hier die schöne Schauspielerin gibt, und Walter Sedlmayrs, der spätestens mit seiner Ermordung und dem Bekanntwerden seiner sexuellen Neigungen vollends Berühmtheit erlangt hat. Ihnen stiehlt jedoch Achternbusch als ängstlicher Traumtänzer, als ruhiger Verzweifelter mühelos die Schau, ebenso sein ganz persönlicher Star Alois Hitzenbichler, der hier den Polizisten gibt. Einen ganz besonderen Augenschmaus bietet auch noch Ingrid Gailhofer als Kellnerin, die mit Speckröllchen, Hängebusen, Damenbart und dicker Hornbrille das Schönheitsempfinden des Publikums vorsätzlich auf die Probe stellt.
Insgesamt ein liebenswert ruhiger, karger Film, der unter der Oberfläche absurden Humors einen tragischen Kern verbirgt, der sich trotz der bisweilen grellen Komik etwas anrührendes bewahren konnte. Nicht so fantasievoll-ausgelassen wie "Das Gespenst" und nicht so grimmig-traurig wie "Das letzte Loch" ist Achternbusch mit seinem Debut einer seiner besten Filme gelungen - und bereits ein für ihn typisches Werk, das durch seine Dichte, die Schlichtheit seiner Geschichte eines seiner geschlossensten geworden ist.
7/10