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Dass sich Rainer Werner Fassbinder bei der Entwicklung seines ersten Langfilms "Liebe - Kälter als der Tod" an vielen Vorbildern orientierte, bedarf keiner Interpretation. Schon im Vorspann werden die Namen von Claude Chabrol, Jean Marie Straub und Eric Rohmer aufgeführt, dazu spielt er mit "Lino et Cuncho" auf "Quién sabe?" (Töte, Amigo!, 1967) von Damiano Damiani an, den er in einem Dialog auch leicht abgewandelt zitiert. Auch innerhalb der Handlung verklausulierte Fassbinder seine Vorbilder nicht, benennt konkret "Psycho" (1960) von Hitchcock und bekleidet Bruno (Ulli Lommel) exakt mit dem Outfit von Alain Delon in "Le samouraï" (Der eiskalte Engel, 1967) von Jean-Pierre Melville. Von diesem hat er auch die sparsame Ausstattung und die langen Kameraeinstellungen übernommen, die die Szenerie aus einer festen Perspektive betrachten, die den Agierenden nur in wenigen Momenten folgt.

Entsprechend entzündete sich die damalige Kritik auch an diesen offensichtlichen Vorbildern ("Und auch die Mittel, Melancholie zu bebildern, waren untauglich: sowohl das Zitieren von Figuren aus anderen Filmen (Lommel Alain Delon aus dem stark überschätzten „Eiskalten Engel“)..., Peter Handke in der Zeit, 1969) und werden in aktuellen Interpretationen gerne die Vielzahl an Anspielungen aufgezählt, als ob Fassbinder dafür schwere Hürden aufgestellt hätte. Was Handke und Co. zu erwähnen vergaßen, ist Fassbinders transparenter Umgang mit seinen Vorbildern, wie ihn kein anderer Regisseur jemals ähnlich direkt in seinem Erstlingswerk formulierte. Er wollte sich weder mit fremden Federn schmücken, noch ging es ihm allein um den souveränen Umgang mit vorhandenen Stilmitteln, sondern letztlich um seine individuelle, persönliche Umsetzung, die er mit dem bewussten Zitieren seiner Einflüsse erst verdeutlichen konnte.

Auch der Titel „Kälter als der Tod“ (das Wort „Liebe“ stellte er erst nach der Uraufführung davor) ließ keinen Zweifel an den Emotionen, die seinen Film bestimmen sollten. Die bewusst zu hell ausgeleuchteten Figuren (am Ende des Films verschwindet das Bild in völliger Helligkeit) lassen sie konturloser erscheinen – einen Eindruck, den das theaterartige Agieren der Darsteller (es handelte sich um die Mitglieder des von Fassbinder gegründeten „Antiteater“ in München) noch betont. Die Protagonisten Franz (Rainer Werner Fassbinder), Bruno (Ulli Lommel) und Johanna (Hanna Schygulla) sind Stereotypen des Genre-Films – der aufsässige Hitzkopf, der eiskalte Killer und die Hure. Ihre Interaktionen werden von typgerechten Verhaltensmustern bestimmt – Franz lässt sich nichts gefallen und rebelliert auch gegen das „Syndikat“ (Fassbinder begnügte sich mit diesem aussagekräftigen Begriff und verzichtete auf weitere Hintergründe), das ihn an sich binden will, hat aber kein Problem damit seine Freundin auf den Strich zu schicken. Bruno ist reserviert und beherrscht, tötet aber skrupellos und hintergeht seine Freunde. Johanna ist sexuell offensiv und selbstbewusst, akzeptiert aber Franz’ Position als Zuhälter und will ihn am Ende retten.

Fassbinder wollte, wie er selbst einmal anmerkte, Menschen in den Mittelpunkt stellen, die unbewusst gesellschaftlich vorgegebene Rollen einnehmen, obwohl sie ihnen nicht entsprechen. Emotionen haben darin keinen Platz, denn sie werden nur missbraucht, da ihr Verhalten zwanghaft ist. Damit kehrt der Regisseur seine an Genre-Konventionen orientierte Handlung ins Gegenteil, denn die Mörder, Gangster und Prostituierten agieren nicht selbst bestimmt oder gar cool berechnend. Obwohl Bruno dem Profikiller in „Der eiskalte Engel“ optisch und in seinem Verhalten ähnelt, ist er in „Liebe – Kälter als der Tod“ letztlich die Dekonstruktion dieser Figur. Beeindruckend verdeutlichte Fassbinder diese Intention mit sehr langen Kameraeinstellungen, in denen mehr geschieht als in den wenigen Action-Szenen. Es sind die kleinen Regungen, das Zucken eine Fußes, eine unmotivierte Handbewegung oder – wie in der frühen Szene im Zug, begleitet nur von den eintönigen Schienengeräuschen – das Beißen in einen Apfel, die ahnen lassen, was sich unter der nach außen gezeigten Fassade abspielt. Es lohnt sich, diese Bilder genau zu beobachten.

Zudem verzahnte er seine an der „Nouvelle vague“ und dem Gangsterfilm orientierte Handlung eng mit der Realität von Supermärkten, Häusern und Straßenräumen, die konträr zum im konventionellen Kino gepflegten Deutschlandbild stand. Trotzdem fand Fassbinders Film 1969 auch bei der studentischen Protestbewegung keine Gnade, zu sehr widersprach „Liebe - Kälter als der Tod“ allen Erwartungshaltungen – inhaltlich kritisch, aber von großem Stilbewusstsein bis zum exakten, sparsamen Einsatz einer musikalischen Untermalung, die den inneren Zustand der Protagonisten widerspiegelt. Fassbinders Film sieht man das geringe Budget zwar an, trotzdem erstaunt der souveräne Umgang mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Den Raum klar definierende Kameraeinstellungen und ruhige, exakte Schnitte erzeugen den stimmigen Rhythmus eines Films, der weniger ein Gangsterfilm ist, als ein Film über Deutschland. (8/10)

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