Von ehrenhaften Engländern und fiesen Franzosen
Nun haben sich also Ridley Scott und Russell Crowe, das Gespann, das mit "Gladiator" die Rückkehr der historisch unterfütterten Heldenepen eingeläutet hatte, an den Mythos von "Robin Hood" gewagt. Naheliegend ist das irgendwie schon, wo doch die Legende über einen ehrenhaften Gesetzlosen, der sich für Freiheit, Gleichheit und family values einsetzt, durchaus ihre Parallelen zum Gladiator-Stoff hat. Naheliegend ist es auch, dass ein moderner Robin Hood nicht mehr in Strumpfhosen herumhüpfen darf, sondern, ganz im Zeichen der zeitgenössischen Rauhigkeit, ein grimmiger Krieger in Kettenhemd sein muss - die Paraderolle für Russell Crowe. Also befreien Scott und sein Drehbuchautor Brian Helgeland den Mythos von dem unschuldigen Kitsch, der schon seit Jahrzehnten in den Köpfen festsitzt. Sie verwandeln ein harmloses Heldenmärchen in eine harte Sage und geben damit der Figur Robin Hood eine mythologische Wucht, die sicherlich nicht jedermanns Geschmack sein wird. Der Duktus des Films ist, wie es sich für einen postmodernen Historien-Actioner geziemt, kompromisslos und grobschlächtig, voller Dreck, Schweiß, Kampf und Tyrannei.
Die zahlreichen Schlachten bedienen sich ebenso der hyperrealistischen Bildsprache eines modernen Kriegsfilms - ein Stakkato von Reißschwenks und Schnitten und ein Tongewitter von Stahl auf Stahl und Schrei auf Schrei. Für viele reicht das schon als Grund, sich das ganze im Kino anzusehen. Immerhin bietet Scotts markiger visueller Stil mit starkem Hang zum Naturalismus eine wohltuende Abwechslung zu den aufgeblasenen, identitätslosen CGI-Spektakeln der Marke Cameron und Bruckheimer, was den Film auch für Liebhaber des klassischen Traumfabrik-Kinos unterhaltend macht. Es scheint ja nur noch wenige Actionfilm-Handwerker eines solchen Kalibers zu geben, deren Filme nicht vor lauter Digitalisierung wie ein Hochglanz-Computerspiel aussehen. Ähnlich wie etwa Spielberg ist Scott noch in der Lage, mit ganz altmodischen 2D-Filmbildern Masse und Bewegung in einer Wahrhaftigkeit zu vermitteln, die dem CGI-Kino nur selten gelingt, die aber die Essenz eines Actionfilms darstellt. Ähnlich wie bei Spielberg haben also Scotts Filme noch ihre Berechtigung, so sehr man ihnen auch (mitunter zu Recht) inhaltliches Pathos vorwirft. Und so ist es mehr als verständlich, dass der Altmeister hier fröhlich die prägnante Anfangssequenz von "James Ryan" zitiert, indem er eine Armee von Franzosen die englische Küste mit Landungsbooten stürmen lässt. Ein wahrhaft gelungener Gag!
Der Plot ist natürlich gespickt mit aktuellpolitischen Bezügen und bezieht daraus auch einen nicht unwesentlichen Teil seines Pathos. Robin Hood darf hier kräftig den Patrioten heraushängen lassen, muss sein Land gegen eine aggressive Streitmacht von Franzosen verteidigen, und er wird sogar mit der Magna Carta in Verbindung gebracht. Das alles riecht natürlich stark nach unkreativem Drehbuch-Kitsch der Marke "one man can make a difference", wie ihn die Autoren in der Branche momentan hegen und pflegen. Streitbar ist, ob der wirkliche Mythos von Robin Hood jemals eine solches Pathos besessen hat, wie es der Film uns glauben machen will. Zwar wird die reale Existenz Hoods von Historikern eher angezweifelt, doch die früheren, "echteren" Überlieferungen der Robin-Hood-Ballade haben mit dem romantischen Bild des ehrenhaften Retters der Entrechteten wenig zu tun. Sie beschrieben ihn eher als skrupellosen Räuber, dessen Reiz wohl darin begründet lag, dass er sich bei der nicht minder skrupellosen upper class bereicherte. Leider geht Helgelands Drehbuch nicht so weit zurück, um das romantische Märchen zu entzaubern. Er bleibt bewusst im zur Zeit modischen Werte-Idealismus stecken und macht Robin Hood zu einer archetypischen Figur, die vehement für ihre Überzeugungen einsteht. Das ist, bei aller stilistischer Bodenhaftigkeit dieses Films, ein allzu klares Zugeständnis an den Eskapismus unserer Zeit, wo der politische Idealismus verlorengegangen zu sein scheint. Das ist umso befremdlicher, als der Film ansonsten den Anspruch hat, ein durchaus authentisch wirkendes Panorama des Mittelalters um 1200 zu zeichnen. Die politischen Verstrickungen werden im Film breit ausgetragen und nehmen mehr Raum ein, als man es von einem Robin-Hood-Abenteuer erwarten würde. Die Lebenswirklichkeit der Menschen - von Bauer über Landadel bis zum König - wird vergleichsweise ungekünstelt präsentiert. Und die Kriegskunst ist ganz hervorragend in Szene gesetzt.
Vor allem in der ersten Hälfte vermittelt der Film einen spürbaren und authentisch wirkenden Eindruck von Krieg und Kampf im Mittelalter. Scott scheint regelrecht fasziniert davon zu sein. Ganz zu Beginn ist man zum Beispiel Zeuge einer Burgbelagerung. In wenige packende Minuten, die zugleich als Exposition Robin Hoods dienen, verdichtet Scott die Eindrücke von dem zähen Ringen der Angreifer gegen die Verteidigungsanlagen. Die Schlachten sind, obgleich hektisch geschnitten, immer gut choreografiert, die Taktik der Parteien ist klar ersichtlich und schlachtentscheidend. Nah- und Fernkampfmanöver stehen in sinnvollem Wechsel und plötzliche Aktionen, wie das alleinige Vorpreschen des Königs ("Protect the king!"), geben den Sequenzen zusätzliche Dramatik. Gleichzeitig erliegt der Film nicht dem künstlichen Bombast von megalomanischen Massenschlachten, wo prozedurale Armeen digital vervielfacht und animiert werden müssen.
Stilistisch lässt sich dem Film also wenig vorwerfen. Er ist packend inszeniert (wenn auch nicht sonderlich originell) und visuell bestechend. Auch zeichnet er ein recht authentisch wirkendes Bild seiner Epoche (vielleicht spielt es hier eine Rolle, dass Scott selbst Europäer - Brite - ist). Inhaltlich liegt dafür aber einiges im Argen, denn die auffällig schematische Konstruktion und archetypische Charakterzeichnung des Drehbuchs und der aufgesetzte Pathos stoßen vor allem gegen Ende des Films auf. Verschmerzen kann man vielleicht noch, dass im späteren Verlauf die Figur des Robin Hood immer heldenhafter agiert. Schließlich ist das Konzept des Films ja die Heldwerdung und Legendenbildung Robin Hoods, die quasi die Handlung strukturiert. So viel Freiheit in der Handlungsgestaltung darf man sich schon nehmen. Wirklich störend ist allerdings die aufgesetzte (und historisch fragwürdige) politische Dimension der Story mit all dem Patriotismus und banalem Werte-Idealismus. Das ist zwar noch nicht so abstoßend wie etwa in "Braveheart", aber doch im schlechtesten Sinne konservativ und amerikanisch.