Das England des 13. Jahrhunderts ist geprägt von Leid, Elend und Armut. Die Krone bereichert sich am gemeinen Volk, während König Richard Löwenherz seine Armeen in weit entfernten Ländern in fanatische Kreuzzüge um Recht und Glauben führt. Nachdem Löwenherz in einer Schlacht gegen die Franzosen fällt, kehren der desillusionierte Bogenschütze Robin Longstride und seine Kameraden in die englische Heimat zurück - und sehen sich nach der Machtübernahme Prinz Johns mit weiteren Abgründen und hinterhältigen Machenschaften konfrontiert. Mit Steuererhöhungen wird das Volk weiterhin geknechtet, während der verräterische Sir Godfrey ein doppeltes Spiel treibt und der französischen Armee Einlass in England verschaffen will. Doch der Wille, für die Schwachen und Bedürftigen seines Land einzutreten, muss in Longstride erst noch wachsen...
Einer nach dem anderen bekommen die britischen Helden und Mythen von der Filmindustrie ihren aufrüttelnden Tritt in den Hintern verpasst, werden um Härte und Realismus erweitert. Daniel Craig prügelt sich als Spion im Geheimdienst Ihrer Majestät James Bond mit Hooligan-Charme durch das „Casino Royale" (2006), woraufhin einige Fans mindestens „Ein Quantum Trost" (2008) benötigten. Guy Ritchie entstaubte den Meisterdetektiv „Sherlock Holmes" und ließ Robert Downey jr. faustkämpfend gegen die Londoner Unterwelt antreten. Da würde es fast nicht verwundern, wenn auch „Mary Poppins" (1964) eines Tages mit Sozialpädagogikratgeber statt magischem Regenschirm ihre Tätigkeit in einem Problemkinderhaushalt aufnimmt, oder „Harry Potter" als Journalismusstudent im Kampf gegen Minister Voldemort den Zauberstab gegen eine liberale Kolumne bei der Times tauscht. Doch erst einmal ist „Robin Hood" an der Reihe. Jener Waldfarbenträger und Bogenschütze, der mit seinen tollkühnen Gesellen zum König der Vagabunden und Diebe und zum Helden in Strumpfhosen wurde. Eine Legende, über die in jedweder Form, von Abenteuer bis Slapstick, von Zeichentrick bis Erotiktrash, eigentlich alles erzählt zu sein scheint. Ridley Scott versucht nun jedoch mit seiner Neuinterpretation des Mythos „Robin Hood" zum Nullpunkt des Rächers aus dem Sherwood Forrest zu gelangen, jene Geschichte vor die Kamera zu bringen, die sich hinter der Sage verbirgt.
Auch wenn Russell Crowes Gesichtsbehehaarung und Frisur bis auf ein paar graue Strähnen mehr 1:1 seinem Aussehen im Oscar-Epos „Gladiator" (2000) entspricht und die erste Zusammenarbeit des Australiers mit Regisseur Ridley Scott im Vorfeld oft mit dessen „Robin Hood" in Verbindung gebracht wurde, so ist der eigentliche Film doch sehr viel näher an Scotts nicht minder großartigem „Kingdom of Heaven" (2005). Mag Crowes Robin Longstride zwar ein optischer Nachfahre des verratenen Feldherren Maximus Decimus Meridius sein, seine Geschichte ist eher eine indirekte Fortsetzung des Ritterspektakels mit Orlando Bloom, an dessen Ende jener von König Richard Löwenherz zur Teilnahme am 1189 beginnenden Dritten Kreuzzug zur Rückeroberung Jerusalems aufgefordert wird. „Robin Hood" beginnt 1199, das Heer Löwenherz‘ ist aus Palästina zurückgekehrt und kämpft und plündert sich durch Frankreich, um die aufgebrauchte Kriegskasse vor der Heimkehr nach England ein wenig aufzufüllen. Nach zehn Jahren voller Schlachten, grausamer Taten und schrecklicher Erlebnisse sind die Mannen zwar noch immer nicht kampfesmüde, doch bedingungslosen Glauben an den König und wahres Herzblut trägt niemand von ihnen mehr in die Scharmützel mit den Franzosen. Unter ihnen ist der Bogenschütze Robin Longstride, einer, der zwar sein Leben für einen blutjungen Mitstreiter riskiert, aber er ist kein Held, er ist einer unter vielen, unter gleichen.
Dem entsprechend bleibt Scott zu Anfang nie lange bei seiner Titelfigur, wechselt auf die Insel, wo Löwenherz‘ Bruder John auf den Tod seines Blutsverwandten und damit auf den Thron drängt. Währenddessen schmieden in Johns Rücken bereits der heimtückische Sir Godfrey und der französiche König Philip Pläne zur Ermordung von Löwenherz, um unter Johns kommender Herrschaft ein geschwächtes und uneines Land vorzufinden. Doch der Pfeil eines Kochs greift dem schurkischen Hinterhalt Godfreys vor, Löwenherz fällt auf dem Schlachtfeld. In etwas unstetem Szenenwechsel leitet Scott nun auf den eigentlichen Kniff in der Geschichte Robin Longstrides hin. Da niemandem mehr verpflichtet kennt er nur noch den schnellstmöglichen Weg in die Heimat, trifft dabei aber auf Godfrey und einen sterbenden Vertrauten des Königs, den Ritter und Gutsherren Robert Loxley. Loxley bittet Longstride um die Übergabe seines Schwertes in die Hände seines Vaters Walter Loxley und Longstride und seine Gefährten beschließen, die Identität jener Ritter anzunehmen, die Godfreys Hinterhalt zum Opfer fielen, um sich so ihre Überfahrt nach England zu sichern. Dort angekommen reist Longstride nach Nottingham, übergibt dem alten und blinden Walter das Schwert, wird aber von ihm gebeten, sich zum Schutz der Ländereien weiterhin als sein Sohn und Gemahl Lady Marions auszugeben. Longstride willigt ein, auch weil ihn ein Schriftzug am Griff des Schwertes auf etwas in seiner eigenen Vergangenheit aufmerksam gemacht hat: Rise and rise again, until lambs become lions.
Bis hierhin ist in „Robin Hood" bereits einiges Wasser die Themse hinuntergeflossen, wobei Scott deutlich mehr Zeit darauf verwendet, die politische Lage und Intrigenspinnerei zu erläutern, als das man hier der Werdung einer Legende beiwohnen würde. Russell Crowe und die Figur des Longstride bleiben sehr viel unnahbarer, als dies in „Gladiator" und in Person des Schmieds Balian in „Kingdom of Heaven" der Fall war. Ihn treibt kein Glaube an das Licht, keine Sehnsucht nach der Rückkehr in die Heimat und zur Familie und auch nicht die Hoffnung auf Erlösung, vielmehr wirkt Longstride verbittert und überdrüssig, nicht wie jemand am Beginn seiner Reise, sondern wie ein niemand, der lange bereits über das Ende hinaus getreten ist. Zunächst ohne Skrupel, dann ohne Zögern nimmt er die Identität, das Leben eines anderen an, um die Abkehr vom eigenen zu vollziehen, das als Waisenkind und nach dem Verrichten blutiger Greueltaten nie begonnen zu haben scheint. Somit mag es in der Absicht Scotts und Crowes liegen, dass das Spiel des Ausnahmemimen unentwegt bedrückt, manchmal gar leblos wirkt, womit der Film sich vom schelmischen Rächer der Enterbten weitestmöglich entfernt und den Mythos, die Legende zu etwas hinab subtrahiert, dem man beinahe schon das Adjektiv „unbedeutend" anhängen könnte.
Allein damit hat „Robin Hood" mit den leichtfüßigen und draufgängerischen Portraitierungen des Charakters durch Errol Flynn oder Kevin Costner nichts mehr gemein, doch so durchaus durchdacht und nachdrücklich vollzogen dieser Schritt auch sein mag, so wohnt ihm doch das größte Manko des Films inne. Bis Robin auf den Ländereien der Loxleys erscheint hat man kaum an seinem Weg teilgenommen, zu ihm als Protagonist kaum Bindung aufgebaut und wer einen Charakter mit so wenig ausstattet, wie Scott und Drehbuchautor Brian Helgeland dies tun, hat es folglich mit der Weiterentwicklung schwer. Standen Flynns und Costners Hood voll in ihrer Blüte ist Crowe ein verdorrter, von der Zeit dahingeraffter Baum, an dem man kaum noch etwas festmachen und ausschmücken kann. Trotz seines angedeuteten Ehrgefühls und Gerechtigkeitssinns und einer Rückblende, die den jungen Longstride mit seinem Vater zeigt, der auf die Gleichstellung aller Bevölkerungsschichten drängte und dafür hingerichtet wurde, gelingt dem Film keine emotionale Greifbarmachung dessen, was diesen Mann antreibt, was ihn die Lüge seiner Identität nicht nur leben, sondern sie auch weiterführen lässt, indem er im Namen Loxleys plötzlich mit Schwert und Spruch für die Freiheit Englands eintritt. Die völlige Umdeutung der Legende wird letztlich eine gefühlsentkräftete Bilderschau, die mit dem radikalen Entzug der Klischees und romantischen Verklärungen auch ihr Herz herausgerissen bekommt.
Immerhin, und bei einem Film dieser Gattung ist das keinesfalls ein zu vernachlässigendes Kriterium, sind aber die Bilder dafür erwartungsgemäß und durchgehend grandios. Ridley Scott öffnet ein weiteres Mal ein breites Tor in eine andere/vergangene Welt/Zeit und wie man es von einem der akribischsten Perfektionisten der Filmbranche gewöhnt ist sitzt hier jedes Detail, jede Einstellung. Scott lässt Kameramann John Mathieson über weite, erdfarbene Landschaften und brutale Schlachtengemälde schweifen, Kostüme, Ausstattung und Sets, praktische wie computergenerierte, erschaffen ein raues, unwirtliches 13. Jahrhundert, in dem ein zu Hause kein Ort der Geborgenheit und Bequemlichkeit ist, sondern einzig dem Zweck dient. Marc Streitenfelds Store, oft größer als das damit unterlegte Geschehen, geleitet durch diese Welt, die eine schroffe äußere Schönheit besitzt, die dem Film nicht innewohnt. Dennoch halten einen die Bilder in der Handlung, die somit nicht gänzlich belanglos einfach vorbeizieht. Besonders der Mittelteil, bezeichnenderweise dem reinen historischen Abenteuerfilm am nächsten, ist fein anzusehen, da hier der ansonsten sehr ernste Ton von „Robin Hood" vorrübergehend einem leichteren, fast vergnüglichen Umgang weicht und man den Figuren wenigstens etwas näher kommt.
Je mehr nun allerdings das Ränkespiel des Sir Godfrey und die politische Basis des Films zur Nebensache wird, fällt es „Robin Hood" schwer, eben diesen Unterbau überzeugend weiter zu erzählen. Godfrey plündert im Namen König Johns gemeinsam mit den Franzosen die Gemeinden, die sich daraufhin gegen ihren Herrscher stellen, aber auch untereinander in Streit geraten. Die Machenschaften Godfreys und die drohende Invasion Frankreichs werden aber höchst beiläufig durchschaut und dem zürnenden John angetragen, woraufhin dieser bei einer Zusammenkunft mit den ausgebeuteten Baronen der flammenden Rede Longstrides/Loxleys lauscht und schließlich doch vereint in die Schlacht an der englischen Südküste gezogen wird. Hier kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass „Robin Hood" trotz stattlicher Länge um einige Handlungsstränge erleichtert wurde, was bei Scott nicht verwunderlich wäre, da der Regisseur zu annähernd jedem seiner größeren Werke irgendwann mit einem Director's Cut auftrumpfte. Die vorliegende Fassung von Robin Hood muss dies jedoch zunächst einmal ausbaden, da ihr mancherorts Tiefe und bei der finalen Schlacht, und das ist eher Scott-untypisch, auch Ausmaß fehlen.
Ein wenig, wenn auch auf hohem Niveau, enttäuschend fällt er schon aus, dieser neue „Robin Hood", weniger gemessen an den Erwartungen, sondern vielmehr daran, dass der Film einem durch seine beeindruckende Gestaltung und formidable Besetzung mehr vorgaukelt, als er am Ende einzulösen bereit ist. Denn während man durchaus gerne über zwei Stunden bei ihm verweilt, entlässt er einen mit seiner Schlusseinblendung doch irgendwie unbefriedigt. Der groß angekündigte Mann hinter der Legende bleibt verschlossen, wenn er auch von Russell Crowe allein durch dessen physische Präsenz passend verkörpert wird. Mit Cate Blanchett als wehrhafter Lady Marion, dem glatzköpfigen Mark Strong als Sir Godfrey und einem Oscar Isaac, dessen Prinz/König John die eigentlich spannendste Fgur ist, bietet „Robin Hood" überzeugendes Nebenpersonal auf. Robins Gesellen Little John, Will Scarlet und Allan A'Dayle, gespielt von Kevin Durand, Scott Grimes und Alan Doyle, erinnern trink-, sang- und tanzfest an Merry und Pippin aus der „Der Herr der Ringe"-Trilogie, bekommen aber nicht viel Profil und später auch nichts mehr zu tun. Sehr positiv tun sich William Hurt als übergangener Schatzkanzler und Max von Sydow als uriger Walter Loxley hervor, die beide auf ihre Art für eine gewisse Würde sorgen. Dank des Casts und Scotts untrüglicher Bildkomposition und Detailversessenheit ist sein „Robin Hood" am Ende ein „nur" guter Historien-/Abenteuerfilm, in dem weit mehr gesteckt hätte, würde er mehr Emotion zulassen. Das sollte doch eigentlich auch ohne einen Schmachtsoundtrack von Bryan Adams erreicht werden können...