“Size does not matter”
„Here comes the biggest Bond of all!“ Vollmundig wurde der vierte Bondfilm Feuerball auf den englischen Werbeplakaten als das bis dato größte und spektakulärste 007-Abenteuer angepriesen. Ob allerdings mit gesteigerter Quantität auch eine (beim obigen Slogan implizierte) höhere Qualität einhergehen würde, blieb abzuwarten.
Nach dem phänomenalen Erfolg von Goldfinger (1964) war eine weltweite „Bonditis“ ausgebrochen. Der britische Geheimagent war zum Kulturphänomen geworden und wurde zum heißesten und v.a. lukrativstem britischen Exportartikel. 1965 gab es bereits über 600 lizenzierte Bondartikel. Hauptzielgruppe waren natürlich Männer. So gab es u.a. unzählige Modeartikel mit dem Bond-Logo, darunter eine komplette Herrenserie (diverse Toilettenartikel), Hemden, Krawatten, Pullover, Regenmäntel, Hüte, Manschettenknöpfe und Schuhe. Die etwas jüngeren Herren der Schöpfung konnten sich mit Actionfiguren, Bausätzen, Spielzeugwaffen und insbesondere Spielzeugautos in allen erdenklichen Größen und Varianten eindecken. Aber auch die holde Weiblichkeit musste keineswegs auf Bondprodukte verzichten. Naturgemäß standen dabei Mode und Accesoires im Mittelpunkt der Kampagnen. So konnten sich die Frauen mit 007-Bhs, Spitzenhöschen und Negligés einkleiden und an Bond-Juwelen, Schmuck sowie Kosmetikartikeln erfreuen. Wem das noch nicht reichte, der benutze Bond-Zahnpasta und aß Bond-Brot.
Die Weltpresse stürzte sich wie ein Schwarm ausgehungerter Geier auf den neuen Hype. Die bekanntesten Magazine und Tageszeitungen rissen sich um Exklusivberichte und Titelstories. Die Dreharbeiten auf den Bahamas wurden von einer Heerschar von Fotografen und Journalisten belagert, jeder auf der Suche nach dem ultimativen Schnappschuss oder der heißesten Insiderinformation.
In diese Phase der globalen Bondhysterie fielen also die Vorbereitungen für den vierten 007-Film Feuerball. Die Produzenten standen dabei vor der schier unlösbaren Aufgabe, der inzwischen bis ins unermessliche gewachsenen Erwartungshaltung einer riesigen Fangemeinde gerecht zu werden. Zudem musste mit Goldfinger ein Film getoppt werden, der nahezu keine Schwachstellen aufwies und obendrein der Auslöser für das beschriebene Phänomen gewesen war.
Zur Story:
Die Verbrecherorganisation PHANTOM plant den Diebstahl zweier Atombomben, um die britische Regierung zu erpressen. Mit Hilfe eines eingeschleusten Doppelgängers lassen sie einen VULKAN-Bomber ins Meer stürzen und die Bomben in einer waghalsigen Unterwasseraktion bergen. Bei seinen Nachforschungen gelangt James Bond (Sean Connery) über die Schwester des ermordeten Piloten, Domino (Claudine Auger), an den zwielichtigen Geschäftsmann Emilio Largo (Adolfo Celi). Dieser leitet das PHANTOM-Projekt von den Bahamas aus. Zusammen mit Domino und dem CIA-Agenten Felix Leiter enttarnt Bond Largo und entdeckt die versteckten Bomben. Der finale Kampf findet unter Wasser statt. Dabei liefern sich Largos Männer und eine amerikanische Taucher-Spezialeinheit eine erbarmungslose Schlacht.
Frei nach dem Motto „Nicht kleckern, sondern klotzen“ entschloss sich das Produzentenduo Albert R. Broccoli und Harry Saltzman den Einsatz an allen Fronten ordentlich zu erhöhen. Geld spielte inzwischen keine Rolle mehr, also wurde das Budget mit 5,5 Millionen Dollar im Vergleich zum Vorgänger kurzerhand erneut fast verdoppelt. Feuerball kostete damit beinahe sechs mal so viel wie Dr. No. Ein Großteil floss in gigantische Sets und diverse technische Spielereien, vor allem aber in die hoch komplizierten und überaus aufwendigen Unterwasseraufnahmen.
Sämtliche Erfolgsgaranten der Vorgängerfilme waren wieder mit an Bord. Neben Hauptdarsteller Sean Connery und Regisseur Terence Young (er inszenierte die ersten beiden Filme), gehörten auch Komponist John Barry, Set Designer Ken Adam, Drehbuchautor Richard Maibaum sowie Cutter Peter Hunt bereits zum vierten Mal zum bewährten Team.
Allen Anstrengungen zum Trotz ist das Ergebnis allerdings eher ernüchternd: Doppelter Aufwand, halber Ertrag. Erstmals gelang es nicht, den Vorgänger zu toppen. Für mich leitete Feuerball den vorübergehenden Niedergang der Bondserie ein - wenn auch auf hohem Niveau. Obgleich der Film ein finanzieller Megaerfolg war (bis heute ist er inflationsbereinigt der erfolgreiches Bondfilm aller Zeiten), zeigten sich erste künstlerische Risse und Abnutzungserscheinungen. Letztlich erstickt Feuerball beinahe an seiner eigenen Gigantomanie. Im Unterschied zu Goldfinger wirkt er schwerfällig, behäbig und langatmig.
Ein zentrales Problem ist sicher, dass der Figur des James Bond zu wenig Raum gegeben wird. „Alice“ Bond stolpert wie ein Fremdkörper durch ein „Wunderland“ der Technik, Schauwerte und Sensationen. War der Geheimagent in den ersten Filmen noch Motor, Herz und Hirn der Handlung, so scheint er im Feuerball-Karussell der Gigantomanie den Überblick verloren zu haben. Er hat insgesamt recht wenig zu tun und reagiert mehr, als dass er agiert. Seine Handlungen treiben das Geschehen nicht voran, vielmehr wird er durch das fortlaufende Geschehen mitgezogen.
Bereits in der viel zu lang geratenen Sequenz im englischen Erholungsheim Shrublands wird dieses Problem deutlich. Zwar deckt Bond die zwielichtigen Machenschaften des PHANTOM-Mitarbeiters Graf Lippe auf und findet die Leiche des ermordeten Vulcan-Piloten. Die wiederholten Flirteinlagen mit einer Angestellten wirken allerdings eher bremsend und stören letztlich den Erzählfluss, zumal Bond im Verlauf des Films noch genügend Gelegenheit bekommt, seine Wirkung auf das weibliche Geschlecht unter Beweis zu stellen.
Darüber hinaus kommen Bonds Ermittlungen ungewohnt unspannend und undramatisch daher. Es gibt keinen actiongeladenen Faustkampf und auch der obligatorische Anschlag auf Bonds Leben - Lippe stellt Bonds Streckbank auf Höchstgeschwindigkeit - wirkt unspektakulär und fade.
Bonds Nachforschungen auf den Bahamas lassen ebenfalls die Rasanz und den Einfallsreichtum der Vorgängerfilme vermissen, obgleich es mit den nächtlichen Spionageausflügen zu Largos Jacht und Villa ein paar gelungene Actioneinlagen zu bestaunen gibt.
Hinzu kommt, dass man Connery seine beginnende Bondmüdigkeit deutlich ansieht. Der eher introvertierte Schauspieler reagierte allergisch auf den weltweiten Bondrummel. Das öffentliche Interesse an seiner Person und seinem Privatleben begann ihn zu zermürben. Bei den Dreharbeiten auf den Bahamas wurde er permanent von Fotografen und Reporterteams umlagert. Die Rolle, die ihm weltweiten Ruhm und Anerkennung gebracht hatte, wurde ihm lästig. So ist auch in Feuerball kaum mehr etwas von der virilen Frische und Leichtigkeit aus Goldfinger zu spüren. Der Schotte wirkt müde, abgespannt und gelangweilt.
Trotzdem ist Feuerball bei weitem kein Totaldesaster. Den oben beschriebenen Schwächen stehen eine Reihe starker Momente und Einfälle gegenüber, die den Film letztlich doch noch zu einem unterhaltsamen und teilweise auch vergnüglichen Abenteuer machen.
Ein echtes Highlight ist bereits die Pre-Title-Sequenz. Wie in Liebesgrüße aus Moskau spielt Regisseur Young mit den Erwartungen der Zuschauer und suggeriert den Tod Bonds. Die erste Einstellung zeigt einen Sarg mit den Initialen JB. Erst jetzt blendet die Kamera auf den die Szenerie beobachtenden Geheimagenten. Im Anschluss verfolgt 007 die trauernde Witwe, die sich als verkleideter, gegnerischer Agent entpuppt. In einem toll choreographierten Kampf tötet Bond seinen Widersacher und entflieht dessen Kumpanen mit einem Raketenrucksack. Nach der sicheren Landung verstaut er diesen in seinem Aston Martin DB5 und wehrt die übrigen Verfolger mit dem Geheimwaffenarsenal des Kultautos ab. Im fließenden Übergang erscheinen die Anfangskredits für die erstmals Maurice Binder verantwortlich zeichnet. Der geniale Titeldesigner greift das Unterwasserthema des Films auf und erschafft damit sein erstes Vorspannkunstwerk. Zu dem von Tom Jones stimmgewaltig intonierten Titelsong erscheinen Silhouetten schwimmender und tauchender Schönheiten. Harpunenschüsse und aufsteigende Wasserblasen produzieren die Schriften.
Auch Art Director Ken Adam designte erneut ein paar fantastische, extravagant futuristische Sets, darunter den Konferenzraum von PHANTOM oder den Besprechungssaal des Secret Service. Komponist John Barry komponierte wieder seine typischen bläserdurchsetzten Bombastklänge, die vor allem in den Actionszenen sofort die vertraute Bondatmosphäre aufkommen lassen.
Überhaupt die Actionszenen. Wenn auch in der ersten Hälfte etwas zu spärlich vertreten, gehören sie zum wiederholten Mal zu den absoluten Stärken des Films und setzten Maßstäbe. Neben der fulminanten Pre-Title-Sequence wissen hier vor allem die bereits erwähnten Angriffe auf Largo zu gefallen. Hier gibt es Wasserbomben, Haiattacken, Schusswechsel und einige Kämpfe Mann gegen Mann zu bestaunen.
Die Unterwasseraufnahmen sind schlichtweg brillant. Sowohl die Bergung der Atombomben aus dem versenkten VULCAN-Bomber als auch die finale Unterwasserschlacht bieten Eyecandy pur und können locker mit aktuellen Produktionen konkurrieren. Sicherlich kann man der Schlussaction vorwerfen, dass sie etwas zu lang und unübersichtlich geraten ist. Aber wann hat man schon einmal eine solche Menge an Tauchern in einer ballettartig choreographierten Kampfsequenz gesehen?
Auch das erneute Drehen an Originalschauplätzen ist ein großes Plus des Films. Nassau und die Bahamas wurden vortrefflich in Szene gesetzt und verschaffen dem Film ein mondän-exotisches Flair, das zum Markenzeichen der Bondfilme werden sollte.
Trotz seiner alles erschlagenden Gigantomanie, verfügt Feuerball über ein paar großartige Dialogsequenzen und Spielszenen. So versprühen beide Begegnungen zwischen Bond und seinem Gegenspieler Largo echtes Bondfeeling und bieten beste Unterhaltung. Bonds Versuche, Largo beim Kartenspiel zu provozieren (er verwendet wiederholt den begriff „PHANTOM“) sowie ihr Zusammentreffen in Largos Inseldomizil Palmyra bieten spritzig süffisante Rededuelle, voll mit ironischen Zweideutigkeiten und Seitenhieben. Beide wissen genau, wer der jeweils andere ist und was er im Schilde führt, und beide wissen, dass der andere es weiß. Der italienische Charakterdarsteller Adolfo Celi macht seine Sache großartig und wirkt in seinen wenigen Szenen gleichermaßen bedrohlich wie weltmännisch. Celis Pech ist lediglich, dass er an seinem unmittelbaren Vorgänger Gert Fröbe gemessen wurde, der allerdings auch sämtliche Nachfolger Celis in den Schatten stellen sollte.
Auch zwei Oneliner Bonds gehören zu den besten der gesamten Serie. Zu den verdutzen Gästen eines Tanzlokals, denen er die von ihren eigenen Leuten erschossene Killerin Fiona Volpe an den Tisch setzt, sagt er lapidar: „Darf ich meine Freundin hierher setzten? Sie wird Sie nicht belästigen, sie ist nämlich tot.“
Auf Dominos schnippische Bemerkung ob seiner ausgeprägter Beobachtungsgabe (er hat sie unvorsichtigerweise beim Namen genannt und sich mit der dünnen Ausrede „Er steht auf ihrem Fußkettchen“ gerettet) „Sie haben erstaunlich scharfe Augen, Mr. Bond“ erwidert Bond trocken: „Warten Sie, bis Sie meine Zähne spüren.“
Fazit:
Feuerball ist ein etwas zu lang geratenes Megaspektakel, das letztlich an dem Anspruch scheitert, seinen genialen Vorgänger Goldfinger in den Schatten zu stellen. Bei dem Versuch, mit doppeltem Einsatz an Schauwerten, technischen Spielereien und Actionszenen den ultimativen Bondfilm zu schaffen, geht Feuerball auf halber Strecke die Puste aus. Die Gigantomanie des Films drängt die Figur des Geheimagenten in den Hintergrund, was dem Film am Ende nicht gut tut. Bond und mit ihm ein seiner Rolle sichtbar überdrüssig werdender Sean Connery wirken innerhalb des ausufernden Spektakels etwas verloren und orientierungslos.
Der enorme finanzielle Erfolg des Films überdeckte die Schwachstellen und beeinflusste die Produzenten maßgeblich in ihrer Fehlentscheidung, auch für den nächsten Film am scheinbar bewährten Konzept festzuhalten. Feuerball leitete damit den vorübergehenden Niedergang der Bondserie ein - wenn auch auf sehr hohem Niveau. Technik, Optik und Aufwand gewannen immer mehr die Oberhand gegenüber Story und Figuren. Dies führte zwangsläufig zu einem weiteren Qualitätsverlust. Letztlich waren aber auch die schwächeren Filme der Reihe immer noch überaus unterhaltsame Actionspektakel, die innerhalb ihres Genres konkurrenzlos bleiben sollten.
Trotz aller Kritik ist Feuerball ein Film, den ich immer wieder gerne sehe. Auf der Habenseite kann er mit grandiosen Unterwasseraufnahmen, einem mondän-exotischen Flair und phantastisch choreographierter Action aufwarten. Es gibt ein paar wunderbare Wortgefechte und knackig trockene Oneliner. Die Pre-Title-Sequenz ist eine der besten der ganzen Bondserie. Ken Adams futuristisch-extravagantes Setdesign und John Barrys atmosphärisch-stimmige Filmmusik setzten erneut Maßstäbe.
Letztlich gleicht der Film einem gigantischen Delikatessen-Buffet, bei dem man sich zwangsläufig nur überfressen kann. Zurück bleibt - dank exquisiter Zutaten - ein noch angenehmes Völlegefühl.
(als Bondfan kritische aber auch großzügige 7,5/ 10 Punkten)