„Wenn Sie wollen, zieh‘ ich auch die Socken aus…“
Kriminalhauptkommissarin Hanne Wiegands (Karin Anselm) dritter Fall innerhalb der öffentlich-rechtlichen „Tatort“-Reihe ist weniger ein klassischer Fernsehkrimi als vielmehr ein Psycho-Thriller mit starken Anleihen beim Genrefilm. Geschrieben wurde er von Norbert Ehry, die Inszenierung übernahm Routinier Wolfgang Becker („Die Vorstadtkrokodile“) – es wurde seine erste Zusammenarbeit mit Wiegand und zugleich leider sein letzter „Tatort“. Die Erstausstrahlung erfolgte am 23. Mai 1983.
„‘ne kleine Nutte hab‘ ich mir geangelt!“
Fotomodell Natasha (Ute Christensen, „Tod eines Schülers“) lernt Taxifahrer Stefan (Hans Georg Panczak, „Tatort: Die Kugel im Leib“) lernen, als sie sich vom ihm zum Mainzer Freibad fahren lässt. Da sie ihren Bikini im Taxi vergessen hat, folgt er ihr ins Freibad, wo sie sich für später verabreden und in seiner Wohnung schließlich gemeinsam im Bett landen. Hals über Kopf verliebt Stefan sich in die attraktive junge Frau, die jedoch eher an One-Night-Stands interessiert ist. Als sie am nächsten Morgen von seiner Gefühlsduselei genervt gehen will, schließt er sie ein und erschlägt sie. Ihre Freundin und Mitbewohnerin Peggy (Hannelore Elsner, „Die Teufelsschlucht der wilden Wölfe“) hört den Mord am Telefon mit, wird von der Polizei aber zunächst nicht ernstgenommen. Doch der Mörder kennt Peggys Identität und beginnt, ihr nachzustellen, sodass auch sie sich in Gefahr wähnt. Daraufhin wird die Polizei aktiv, während Peggy Trost bei einer neuen Bekanntschaft findet: Taxifahrer Stefan…
„Meine Güte! Wenn Sie verknallt sind: Warten Sie einen Monat, bis Sie sich hinlegen?!“
Oben-ohne-Szenen im Schwimmbad, Nacktszenen in Stefans Wohnung: „Peggy hat Angst“ bzw. konkreter: Ute Christensen als Natasha gibt sich sehr freizügig, vermutlich als etwas klischeehafte Methode, um den Kontrast zu Stefan herzustellen, der erst als zeichnender Romantiker alter Schule, dann als weltfremder, Baudelaire zitierender („Hoheitsvoll ging eine Frau an mir vorüber…“), Elektro-Goth hörender und Bongo-spielender, in zwischenmenschlichen Fragen soziopathisch veranlagter Sonderling charakterisiert und sich schlussendlich als entflohener Psychiatriepatient entpuppen wird. Und eben als Mörder – die bittere Pointe eines fulminanten Auftakts. Ein wenig Erotik, ein psychopathologischer Täter und eine in Gefahr schwebende Zeugin, die von der Polizei mit Missachtung gestraft wird und selbst in Gefahr schwebt: Diese Prämisse erinnert an italienische Gialli, wenngleich der Täter dem Publikum hier von vornherein bekannt ist und es somit über einen beträchtlichen Wissensvorsprung gegenüber der Polizei verfügt, die in Person Hanne Wiegands natürlich dennoch ins Spiel kommt.
„So machen Sie’s nur im ,Tatort‘…“
Wiegand bildet einen seriösen, züchtigen und reichlich trockenen Gegenpol zur Welt der Mannequins Natascha und Peggy und sieht sich in Nataschas Zimmer um. Später wird sie wieder empathisch menscheln und Peggy bei sich übernachten lassen. Sie befragt Nataschas ehemaligen Fotografen, der Schwimmbad-Macho (Ulli Kinalzik, „Jürgen Roland’s St. Pauli-Report“), der im Freibad aufdringlich wurde, tritt als Zeuge in Erscheinung, Stefans Vermieterin (Hannelore Schroth, „Unter den Brücken“) meldet sich und ist scharf auf eine Belohnung – klassischer dialoglastiger Ermittlungsarbeit mit Weigands Assistenten Korn (Rolf Jülich) und Wilke (Artus Maria Matthiessen) gilt es beizuwohnen, was mit dem parallel verlaufenden Thriller-Anteil belohnt wird. Stefan drückt im Café, in dem Peggy jobbt, die Elektro-Nummer „Why Can the Bodies Fly“ des Duos Warning, um ihr Angst einzujagen. Durch den wiederholten Einsatz dieses Songs im Soundtrack avancierte er nach der Ausstrahlung zum Hit. Stefan belästigt sie mit aus Baudelaire-Zitaten bestehenden Briefen und schafft es durch eine unglückliche Verkettung gar, von Peggys Chef angestellt zu werden. Schließlich bändelt Stefan mit Peggy an und treibt die Spannung damit weiter in die Höhe.
„Liebe und Wahnsinn – das ist dasselbe!“
Das ist ziemlich gut inszeniert, dramaturgisch ein gelungener Spagat aus „Tatort“-Krimiarbeit und Suspense und inhaltlich ein gewagter Mix, der jedoch ein wenig Federn lässt, als er zunehmend zum Täter-Psychogramm wird und dabei psychologisch recht oberflächlich bleibt. Dafür besitzt das halboffene Ende das Potenzial, länger nachzuwirken und im Kopf der Rezipierenden fortgesetzt zu werden. Und die sich mehr schlecht als recht unter der Romantik des Täters verbergende, tiefsitzende Misogynie ist beängstigend. Da mutet es fast wie eine vertane Chance an, sie rein pathologisch zu begründen – und ein wenig fragwürdig oder arg optimistisch, sie in seinem späteren Verhalten Peggy gegenüber entschieden abzuschwächen (wenngleich dabei bereits Fragen nach Resozialisierung mitschwingen).