Review

Wer auf die verschrobenen Figuren von Tim Burton steht, konnte sich eigentlich nur auf die Verfilmung von „Alice im Wunderland“, bzw. „Alice hinter den Spiegeln“ freuen.
Doch für seine Verhältnisse gerät das bunte Treiben überraschend unspektakulär, - seiner Interpretation und Neudichtung fehlt die Leichtigkeit, trotz toll animierter Feinheiten.

So ist denn die Geschichte auch primär als Fantasy-Epos angelegt, in dem die Heldin Alice als Außenstehende im Wunderland eher wider Willen zwischen Gut und Böse vermitteln und über ihren Schatten springen muss. Wohlgemerkt: Als Neunzehnjährige, die sich während eines Gartenfestes in pikfeiner Gesellschaft unwohl fühlt und einen Heiratsantrag vom Ekel-Lord entgegennimmt. Als sie das Kaninchen mit der Weste entdeckt, folgt sie ihm, landet im Kaninchenloch und findet sich schließlich in einer Welt wieder, die sich wie ein Traum anfühlt. Doch an ein vorzeitiges Erwachen ist im Zuge vieler Aufgaben nicht zu denken…

Wenn man auch nur wenige der bislang über dreißig Verfilmungen von Lewis Carrolls Stoff gesichtet hat, fällt sogleich die Reife, Ernsthaftigkeit und Stringenz der Erzählung ins Auge.
Erwartet man ein kleines Mädchen und vor allem paradoxe Situationen mit absurden Kreaturen inklusive Humpty Dumpty, muss man sich in diesem Fall auf eine eher schlicht gehaltene Geschichte einstellen, welche zwar eine Reihe der Literaturfiguren einbindet, ihnen jedoch nur selten Raum für Gags oder Dialogpointen einräumt.
Bringt die Raupe Absolem noch eine gewisse Tiefe ins Spiel und lässt der Hofstaat der roten Königin einige Situationskomik entstehen, mangelt es den wesentlichen Figuren an Originalität und Vielseitigkeit.
Es ist primär die Story über eine mutige und für die Zeit progressiv denkende Frau, über weibliche Selbstverwirklichung und eine Heldin mit Herz, welche es immerhin schafft, binnen kurzer Zeit alle notwendigen Sympathiepunkte einzufahren.

Stärker als die eigentliche Geschichte wiegt ohnehin die Verpackung und die ist, bis auf wenige Punkte durchaus eindrucksvoll und vor allem detailverliebt ausgefallen.
Allein die Mimik der Frösche, die wie die Fischlakaien am Hofe der bösen Königin dienen oder diverse Schweine oder Affen als Möbel herhalten müssen, ist ein echter Augenschmaus.
Dazu kommt die Grinsekatze, die sich jederzeit entmaterialisieren kann oder auch Johnny Depp, der als Hutmacher mit roten Haaren und (zumeist) riesigen grünen Kontaktlinsen eine starke Show zwischen überdrehtem Hampelmann und enthusiastischer Tunte hinlegt.
Auch landschaftlich kommt Burtons typische Note zum Tragen, besonders bei den düster angelegten Kulissen, wenn tote Bäume nicht von ungefähr sein typisches Gothic-Flair verbreiten.

So kann denn Tim Burtons Neuinterpretation recht solide unterhalten, aber nicht wirklich begeistern, was in erster Linie an der schlichten Struktur der Geschichte liegt und zum anderen daran, dass dem Treiben, trotz einiger niedlicher Einfälle, das deutliche Kalkül ein wenig anhaftet.
Zweifelsohne toll gespielt, sorgfältig ausgestattet und musikalisch passabel unterlegt, fehlt dem Ganzen das Herzblut und die Inbrunst, die einigen anderen Streifen des Regisseurs wesentlich mehr Emotionen abverlangten.
Im Kern trivial, am Rande charmant und in Ansätzen verträumt, aber leider nie so verschroben, wie man das von Burton eigentlich erwartet hätte.
Knapp
6 von 10

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