Tim Burton arbeitet jetzt für Disney, hat immer noch Johnny Depp im Gepäck und zeichnet als Regisseur der bereits zweiten „Alice im Wunderland“-Verfilmung Disneys verantwortlich. In einer Mischung aus Real- und Animationsfilm, die einem schon nach kurzer Eingewöhnungsphase recht selbstverständlich erscheint, wird der klassischen Geschichte um Alice eine waschechte Fortsetzung zur Seite gestellt, in der Alice bereits ein Teenager ist und sich an ihren ersten Besuch im Wunderland so gut wie gar nicht mehr erinnern kann. Insofern verbieten sich auch direkte Vergleiche mit vorausgegangenen Verfilmungen bzw. der literarischen Vorlage. Ich kann aber beurteilen, dass es gelungen ist, einen zu keiner Sekunde langatmigen, höchst unterhaltsamen Film „für die ganze Familie“ (fünf Euro ins Phrasenschwein) zu erschaffen, der vollgepackt ist mit liebevollen Animationen, skurrilen Charakteren, ganz viel Humor und unzähligen Details, die zum Mehrfachsehen einladen. Glücklicherweise weggelassen wurde der sonst übliche Disney-Kitsch wie Gesangseinlagen und ausschweifende, zu Tränen rührende Passagen. Die verrückten Bewohner des „Wunderlands“ wachsen einem ebenso ans Herz wie Alice, überzeugend gespielt von Mia Wasikowska, und der „verrückte Hutmacher“, dargestellt vom im Overacting aufgehenden Johnny Depp. Auch Helena Bonham Carter in der Rolle als Rote Königin ist in ihrer Verfremdung und mit zum Schießen komischer Mimik ein echter Hingucker. Als etwas unpassend empfinde ich hingegen das Auftreten der Weißen Königin, die mit übertrieben geschminktem Gesicht aussieht wie irgendeine Gruftie-Sängerin. Für diese weitergesponnene Geschichte wurde in erster Linie auf die bekannten Gestalten zurückgegriffen, die gut, wenn auch oft zu kurz, in Szene gesetzt wurden. Schwächen offenbart das Drehbuch meines Erachtens dann, wenn es um wirklich eigene, neue Ideen geht. Denn dass Alice nun mit Schwert gegen einen Drachen kämpfen soll, will nur schwer zu meinen Vorstellungen vom Wunderland bzw. zu meinen Erinnerungen an die Vorlage passen und hat eher etwas von Fantasy-Klischee. Generell finden sich wenige überzeugende, tatsächlich eigene neue Einfälle. In erster Linie ist es Alice’ Kampf mit sich selbst, als sie zu Beginn ihre vorgezeichnete Rolle in der Prophezeiung erfährt (das das Finale schon vorwegnimmt, was aber kurioserweise nicht störend ins Gewicht fällt) und fortan versucht, im Wunderland einen anderen Weg einzuschlagen. Das ist wohl als Parabel auf ihre Situation im Oberland, also der uns bekannten Realität, gedacht, in der sie verheiratet werden soll und die Pläne für ihr Leben bereits von Anderen geschmiedet wurden. Zurück aus dem „Unterland“ (Wunderland) im Oberland, manifestiert sich sodann die Kernaussage des Films, seinen eigenen Weg gehen zu können und zu sollen. Das wurde allerdings, vermutlich, um die Familienfreundlichkeit nicht zu gefährden, so dermaßen holterdipolter, unglaubwürdig und konfliktfrei erzählt, dass es zu den am wenigsten erinnerungswürdigen Szenen des Films zählen dürfte. Sei’s drum, denn wenn ein Film, dessen Ende für den Zuschauer quasi von vornherein feststeht, es schafft, mich von der ersten bis zur letzten Minute an den Bildschirm zu fesseln, kann er so viel verkehrt nicht gemacht haben. Ich empfinde Burtons Film als eine Art Tribut an den klassischen „Alice im Wunderland“-Stoff, der Lust macht, sich wieder an das Original zu erinnern bzw. danach Ausschau zu halten und sich mit der ursprünglichen Geschichte und ihrer Intention auseinanderzusetzen; ja, wieder ins „Wunderland“ einzutauchen.