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Das Werk zeugt durchgängig von viel Phantasie und Kreativität seitens der Filmemacher. Nicht nur jagt in der Bebilderung des Wunderlands und seiner Bewohner ein visueller Einfall den nächsten, auch sind reale und computeranimierte Elemente meist nahtlos zusammengefügt. Allerdings: Der visuelle Stil wirkt leicht uneben. Manche Bildkompositionen sind typisch Burton und besitzen eine morbid-ästhetische Ausstrahlung und klare Struktur. Andere Bilder hingegen sind nicht nur infantil knallbunt und steril, sondern auch noch mit zu vielen Elementen regelrecht überladen, so dass 1.) man nicht weiß wo man hingucken soll und 2.) kaum Raum für eigene Phantasie gelassen wird. Das Resultat ist ein Film, der in seiner Atmosphäre stark schwankt. Manche Szenen können eine Stimmung in den Zuschauerraum übertragen, andere können es nicht. Das ändert aber nichts an der oben geäußerten Feststellung, dass “Alice” von viel Ideenreichtum und Kreativität zeugt und dass es in diesem Film viel zu sehen und zu bewundern gibt. Nur fühlt man sich halt nicht immer ins Geschehen involviert, weil der Film keine durchgängig starke Atmosphäre erzeugen kann.

3D bereichert das Werk überhaupt nicht. Vermutlich dürfte es in 2D genau so gut oder sogar noch besser sein. Was komisch ist: Nach fünf oder sechs einwandfrei scharfen 3D-Trailern im Vorprogramm fällt beim Hauptfilm eine Bildschärfe ins Auge, die nicht nur schwankend, sondern auch inkonstant ist: Manchmal sind Vordergründe unscharf, manchmal Hintergründe. Während bei Szenen, die zum Großteil aus dem Computer zu stammen scheinen, alle Bildelemente scharf sind. Diese Inkonsistenz lässt das 3D bei "Alice im Wunderland" noch unrealistischer wirken als 3D eh schon ist (eine maue optische Täuschung, die das tatsächliche räumliche Sehen des menschlichen Auges nur unzureichend simulieren kann und schlimmstenfalls für Koppschmerzen sorgt).


Auf inhaltlicher Ebene wird mit einer inzwischen erwachsen gewordenen Alice eine Mischung von Bestandteilen aus “Wonderland” und “Through the Looking Glass” zum Besten gegeben, die nicht sonderlich bereichernd ist und nach dem Kinobesuch nicht zur Auseinandersetzung mit dem Film einlädt. Zudem: Zu viel Raum wird der feministischen Botschaft pro Selbstbestimmung und contra gesellschaftlichen Zwängen eingeräumt, eingedenk des Umstands, dass diese sehr plump kommuniziert wird (besonders störend ist die Londoner Rahmenhandlung, die wirkt wie “The Duchess” und “Pride & Prejudice” für ganz, ganz Arme). Im Gegenzug wäre das im Laufe des Films angedeutete psychologische Element (Alices Wahrnehmung von Traum und Realität) ausbaufähig gewesen zu einem elektrisierenden Horror-Trip durch die menschliche Perzeption, wird aber letztendlich bloß für eine völlig harmlose und kindgerecht lahme Selbstfindungs- und Selbstwahrmenungs-Geschichte einer jungen Frau benutzt. Andererseits hält Burton sich mit 100 Minuten erfreulich kurz und bildet einen angenehmen Kontrast zu den meisten Blockbustern, die gerne mal 2,5 bis 3 Stunden dauern -- egal ob diese Länge gerechtfertigt ist oder nicht.

Das eigentliche Highlight dieses in allen Belangen unausgegorenen Films ist natürlich Anne Hathaway. Menschen, die nicht genau hingesehen haben, sehen da peinliches Overacting. Doch diese Figur ist toll gespielt zwischen traumtänzerischer, lieblich gutmütig wirkender Exzentrik einerseits und perfider Hinterfotzigkeit andererseits. Man merkt halt: Hinter der zahmen, wenn auch flippigen Fassade der weißen Königin lauert eine böse Bitch mit unterdrückten Aggressionen und sehr viel purem Hass. Und natürlich ist es eine Wonne, Anne Hathaway dabei zuzusehen wie sie das ausbalanciert und offensichtlich viel Spaß an Theatralik, überbordender Mimik und raumgreifender Gestik hat. 

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