Jean ist der Kapitän eines Frachtschiffes auf den Flüssen Frankreichs; seine Mannschaft besteht aus Vater Jules (ein zäher alter Matrose), einem Schiffsjungen und jede Menge Katzen. Er heiratet die hübsche Juliette, die dem Kleinstadtmief ihres Geburtsortes entkommen will und sich insbesondere danach sehnt, Paris kennen zu lernen. Jean ist weitaus weniger romantisch drauf und zudem sehr eifersüchtig: als Juliette sich von Vater Jules dessen mit Erinnerungsstücken voll gestopfte Koje zeigen oder sich bei einem Essen in einem Restaurant von einem Strassenhändler anquatschen lässt, wird er jeweils rasend.
Als Juliette dann aus Trotz alleine an Land und in den Ausgang geht, fährt Jean ohne sie weiter. Während seine Frau in der grossen Stadt allein zurechtkommen muss (und dabei beispielsweise von einem Taschendieb überfallen wird), fällt er vor lauter Sehnsucht nach ihr in Katatonie. Vater Jules kann das schliesslich nicht mehr mit ansehen und geht auf die Suche nach Juliette…
L’ATALANTE, der einzige Langspielfilm des bald nach Drehende an Tuberkulose verstorbenen Jean Vigo, ist ein schönes Beispiel für den poetischen Realismus, der im französischen Kino der 30er zu finden ist: Zum einen werden die einfachen, manchmal schwierigen Lebensverhältnisse der Arbeiter (hier natürlich die Mannschaft der L’Atalante) gezeigt (inklusive genau gestalteter Ausstattung oder Drehen an Originalschauplätzen; es soll halt möglichst realistisch sein), andererseits gibt es Ausbrüche ins Poetische, so wie hier, wenn das Schiff in dichtem Nebel verschwindet und von der Aussenwelt völlig abgeschnitten zu sein scheint (dabei ist das Flussufer doch nur ein paar Meter entfernt), oder Jean ins Wasser springt und dort eine Vision seiner Frau hat (früher im Film wird die Legende etabliert, dass man, wenn man unter Wasser seine Augen öffnet, seine wahre Liebe sehen könne). Auch die Szene, in der Vater Jules die Rillen einer Schallplatte mit den Fingern nachfährt und ihr dabei Musik entlockt, wirkt auf den ersten Blick surrealistisch (bis sich dann herausstellt, dass der Schiffsjunge ihn veralbert hat).
Getragen wird der Film von hervorragenden Schauspielern, wobei besonders der Schweizer Michel Simon (LA CHIENNE, QUAI DES BRUMES, ES GESCHAH AM HELLICHTEN TAG) als spleeniger, lauter, von harter Arbeit und Tattoos gezeichneter Seemann, aber auch Gilles Margaritis (der keine grosse Filmkarriere hatte) als singender und äusserst charmanter Strassenhändler fast noch mehr Eindruck machen als die beiden durchaus überzeugenden Hauptdarsteller: Da hätten wir zum einen die bezaubernde Dita Parlo (MELODIE DES HERZENS, LA GRANDE ILLUSION) als Juliette, zum anderen Jean Dasté (L’ENFANT SAUVAGE, LA CHAMBRE VERTE) als Jean.
Sehr rührend ist der melancholische Score von Maurice Jaubert; das gilt vor allem für das Seemannslied, das in unterschiedlicher Form als musikalisches Leitmotiv immer wieder auftaucht.
Fazit: Die im Grunde sehr simple Geschichte von L’ATALANTE und die eine oder andere Länge werden aufgewertet durch die realistischen Details, die poetische Inszenierung und die hervorragenden Schauspieler. Ein sehr schöner Film.