Review

Es ist nicht neu, was uns Richard Berry, selbst Schauspieler, mit "22 Bullets" da präsentiert.
Ein wenig mythische Filmüberhöhung eines Gangsterbosses mit eigenem Kodex, der lose auf einer tatsächlichen Figur, die einen aufsehenerregenden Mordanschlag auf sich überlebte, basiert; viele Versatzstücke des Mafiafilms und des gängigen Rachethrillers, ein Dreikampf zwischen zwei Banden und der Polizei und die Betonung der Familie als Kitt, der alles im Leben zusammen hält, das sind die Zutaten, aus denen der Film gemacht ist. Nicht neu, nicht frisch und auch nicht wirklich begeisternd in Stil und Ausführung, aber, im Falle einer unterhaltungsorientierten Rezeption durchaus unterhaltsam.

Mit der ikonenhaften Erscheinung Jean Renos, der in sich das Gute und Böse wie nur wenige in Frankreich verkörpern kann, ohne Abscheu zu erregen, ist "L'Immortel" von der ersten Minute an relativ starfixiert dargeboten, bemüht sich aber um eine große Bandbreite von Sichtweisen, Motivationen und Nebenhandlungssträngen, verzettelt sich jedoch des öfteren auch in dieser weitschweifigen Anlage der Geschichte.

Ausgangspunkt ist der spektakuläre Mordanschlag auf Charly Mattei (Reno), der mit 22 Kugeln im Leib den Anschlag auf sein Leben übersteht, nachdem er schon längst aus dem aktiven Geschäft ausgestiegen ist und nur noch mit seiner deutlich jüngeren Familie ein ruhiges Leben führen will - wozu sein ehemaliger Job es nicht kommen läßt, wie er per Voiceover mitgeteilt sehr wohl weiß. In der Folge erfährt er, daß ausgerechnet sein Partner und langjähriger "Blutsbruder", dem er seine Geschäfte verkauft hat, für den Anschlag zuständig ist, weil beide von unterschiedlicher Geschäftsmoral sind. Während Mattei gern Frauen und Kinder aus den Geschäften rausläßt, niemandem in den Rücken schießt und Drogengeschäfte partout ablehnt - ein Storyelement, das Berry offenbar munter aus Coppolas "Paten" entliehen hat - ist Gegenspieler und Tu-noch-so-Freund Zacchia mit weniger Skrupeln gesegnet und führt eine Truppe von durchgeknallten Arschöchern an, denen überwiegend nichts heilig ist.

Das führt natürlich zu einem zunächst zögerlichen, dann aus den Not um die Familie geboren, forcierten Rachefeldzug an allen Verantwortlichen, allerdings auch dazu, daß sich die Uneinheitlichkeiten weiter steigern. Zacchias eiskaltes Gangsterarschloch ist zwar zeitweise ein echter geldgeiler Soziopath, schmückt sich jedoch gern mit der Familie, wird gleichzeitig jedoch als hypochondrischer und neurotischer Stotterer gezeichnet, seine "Leute" mäandern zwischen eiskalten Verbrechern, Psychopathen, soften Handlangern und albernen Deppen. Mattei selbst verfügt über eine sehr treue und ernste Anhängerschaft, die sich in der Folge jedoch nicht immer unbedingt sonderlich geschickt anstellen, wenn sie ihren eigenen Warnungen und Vorahnungen Folge leisten sollen. Als Garnitur fügt Berry, der sich eine kleine Rolle als dritter Jugendfreund ohne große weitere Funktion im Film gönnt, noch das Schicksal einer Polizistin hinzu, die zwischen den Instanzen gefangen wird, während sie Mattei und alle anderen verfolgt, weil sie (zurecht) unter ihnen den Mörder ihres Polizistenehemanns vermutet. Zwischen karrieregeilen Vorgesetzten und unwilligen bis raffinierten Verbrechern hinkt sie den Ereignissen zumeist eine Lauflänge hinterher oder dient als Katalysator für die Vorgänge, muß am Ende jedoch dem Charme Matteis freien Lauf lassen, womit die Rolle, noch dazu mit Kind und Alkoholproblem überfrachtet, irgendwo im Nichts strandet.

Derweil entwickelt sich Berrys Film zu einem flotten, in der Grundstimmung nicht immer stilsicheren Rachethriller, der zwischen grimmigen Gewaltausbrüchen und Rumalberei hin- und herschwankt, immerhin geht er dabei zügig voran.
Die Entscheidung, das Bild der Familie (noch eine Anleihe beim gängigen Mafiafilm) in den Vordergrund zu rücken, führt zu einigen sehr intensiven Bildern und Szenarios, aber noch lange keinen definitiven Punkt, zu dem sich alles entwickeln kann.
Wenn sein Handlanger Karim mit seiner Familie am Eßtisch feiert, um kurz darauf brutalst abgeschlachtet zu werden und dann die trauernde Gegenposition auf seiner Beerdigung darzubieten, dann wirkt das geschickt, doch wenn das Thema auch bei fast jedem Charakter angerissen wird, zieht Berry mit seinem Autorenteam die Sache nicht weit genug durch. Die vielen Vernetzungen (u.a. ist Renos erste Frau mit seinem Anwalt verheiratet und hat Krebs, die daraus resultierende Tochter ist etwas renitent, mit einer ehemaligen Prostituierten hat er jetzt einen wesentlich jüngeren Sohn) sind zwar eng angelegt, aber wenig mehr als Motivatoren für die Handlungen der ganzen Figuren.

Dazu erweist es sich für den Realismus als unpraktikabel, mit zunehmender Laufzeit Reno immer unglaublichere Talente aufzuerlegen, der selbst mit einer zerstörten Hand wie ein Wilder Motorrad fährt, brutale Stunts überlebt und sich durch endlosen Stacheldraht kämpft, um seinen Sohn vor dem Tode zu bewahren.
So mischt Berry alles, was seiner Meinung nach wohl in einen prallen Gangsterthriller hinein gehört: brutale Kerle, sinistre Typen, schlimme Finger, schräge Vögel, viel Familie, Herzschmerz, Weichzeichner, Opernarien, Polizeiarbeit, Karrierestreben, Suff und jede Menge nackte Gewalt - was das Publikum über weite Strecken mittels des atmosphärischen Schauplatzes Marseille und seiner Schauwerte bei der Stange hält, sofern es überhaupt den Mut hat, sich einem französischen Gangsterfilm zu widmen.

Reno ist dabei Herz und Zentrum, überstrahlt aber mit der Figurenanlage fast jeden möglichen Realismus und verwandelt die ernsthafte Konstellation zwischen entgegengesetzen Einstellungen in ein so breit wie möglich angelegtes Ballerspiel mit emotionalen Spitzen, was aber den Genrefreaks vermutlich zu französisch sein wird.
Immerhin rettet das finale Zusammentreffen der beiden Gegner, das zwar in Gewalt, aber nicht in einem Shootout endet, den Sinn hinter der Handlung einigermaßen durchs Ziel, wenn der Böse die Motive des Guten nämlich als das entlarvt, was sie wohl nur für den Film sein können, eine naive Illusion. Und auch wenn die Illusion hier scheinbar funktioniert, bleibt in der Schlußeinstellung ein besorgter Blick zurück, ob da nicht doch noch jemand lauert, der sich erst sicher fühlt, wenn der alte Löwe tot ist.
Wenn Berry, der zwar talentiert, aber weniger strukturiert arbeitet, diesen Ansatz stärker verfolgt hätte, wäre ein ernsterer, düsterer und vermutlich nihilistischer Film dabei herausgekommen, der geschlossener gewirkt hätte, aber unzugänglicher gewesen wäre.
So muß man als Kritiker das Mischmasch fast zwangsläufig ablehnen oder sich ganz dem Unterhaltungsfaktor hingeben. Und der ist immerhin passabel genug. (6/10)

Details
Ähnliche Filme