Review

Gesamtbesprechung

In den 90ern etablierte sich der Name Stephen King neben Kinoklassikern wie Misery und Die Verurteilten vor allem im Fernsehen als sichere Marke, konnte man den Romanen und Geschichten des polarisierenden Autors mit längerer Laufspielzeit in Form von TV-Mehrteilern doch wesentlich gerechter werden. In der modernen Retropektive scheiden sich bei diesen Miniserien die Geister: Einerseits, natürlich, lässt sich mehr erzählen in drei bis sechs Stunden, sauber portioniert und präsentiert; andererseits ist man durch ein schmaleres Budget und der einhergehenden Einbuße in Qualität und Optik damit gestraft, dass diese meist überlangen Mehrteiler nicht sonderlich gut altern. 


Nachdem mit der Erstverfilmung von Es 1990 ein bis heute kultiger TV-Streifen vorgelegt wurde, zerrissen sich die Fernsehproduzenten geradezu um weitere Quotenschlager aus der Feder des Königs. Tommyknockers (1993), The Stand (1994) und The Langoliers (1995) wurden auf den heimischen Bildschirm gebannt - werkgetreu, aber mittlerweile eher nostalgisch-trashig, bisweilen herrlich blöd. Auch die von King autorisierte Shining-Neuverfilmung von 1997 blieb handzahme Gruselkost. Ende des Jahrzehnts folgte dann Der Sturm des Jahrhunderts, ein vierstündiges Epos, das immer noch zu Kings Lieblingsverfilmungen zählt - als einzige Fernsehverfilmung. Was ist dran?

Zunächst sei gesagt: der "Sturm" basiert auf keinem klassischen Roman des Autors; viel mehr schrieb King ein eigenständiges Drehbuch, das auch als solches in Buchform veröffentlicht wurde. Dabei versammelt der neuerliche Mehrteiler alles, was man aus dem bekannten King-Baukasten kennt: Eine von der Außenwelt abgeschottete Gemeinde; eine unbekannte Macht fern jeder normalen Vorstellung; zwischenmenschliche Intrigen und natürlich der dämonenartige Bösewicht. Erstaunlich ist, dass das alles zwar zu jeder Zeit bekannt wirkt, aber trotzdem über weitere Strecken unterhält. King weiß um diese Elemente, die mittlerweile auch seine Markenzeichen geworden sind, und ordnet sie einmal mehr neu an - dabei werden nur wenige Neuerungen in den Topf geworfen. Gerade genug, um das Interesse nicht abkühlen zu lassen.

Der Plot ist trotz der Überlänge ziemlich schnell erklärt: Während des titelgebenen Sturm des Jahrhunderts erscheint ein Fremder auf der Insel Little Tall, der als Einstand seines Inselaufenthalts eine alte Dame bestialisch ermordet, um sich von der Polizei in Form des Deputys Mike Andersons verhaften zu lassen und so Gesprächspunkt Nr. 1 der dezimierten kleinen Inselgemeinde zu werden. Fortan geschehen allerlei Merkwürdigkeiten und Morde bzw. Selbstmorde, die immer mit der Nachricht einhergehen, dass man dem Unbekannten - der sich als Andre Linoge vorstellt - geben soll, was er will, und er würde wieder gehen. Die Situation eskaliert, als klar wird, was Linoge wirklich will - ein Kind, das er zu seinem Nachfolger erziehen kann.

Nun ist es Ironie und Fragezeichen in einem, dass King zwar die Möglichkeit hatte, eine große, episch angelegte Geschichte in Form eines mehrstündigen TV-Events zu verwirklichen, und genau dann aber eine recht simple Geschichte vorlegt, die auch in einem Kinofilm von zwei Stunden hätte erzählt werden können. Dabei ist es vor allem die Darstellung der Gemeinde, die den Fokus der Geschichte für sich beansprucht: alles dreht sich um hinterlistige kleine Intrigen, größere Dramen und nebensächliche Gemeinheiten, die den einleitenden Satz des Films - "Inselbewohner halten zusammen" - auf zynische Art und Weise hinterfragt. Der eigentliche Sturm und Bösewicht Linoge erscheinen lediglich wie die Stichwortgeber einer Bande von Schauspielern, die sich jeden Tag sehen und doch nicht wirklich kennen.

Obgleich die Miniserie einen allgemein bedächtigen Rythmus verfolgt, versteht es King, der Handlung in den richtigen Momenten einen Schubser in das Ungewisse zu geben. Großartig dabei die eingefangene Atmosphäre - zwar sieht man den Sturm in nur wenigen Momenten auf dem Bildschirm, doch die Aufnahmen der verschneiten Straßen, die einsame Stimmung als solche und das Gefühl eingesperrter Bedrängnis sind meist kongenial umgesetzt. Dabei wird die Schraube der gegenseitigen Unzulänglichkeiten im Angesicht eines unlösbaren Problemes immer fester gezogen - aus den kleinen Sticheleien zwischen den Inselbewohnern werden immer mehr Hasstriaden und Handgreiflichkeiten. Dass da trotzdem die ein oder andere Länge mitspielt, ist verständlich, aber erwähnenswert. In Regisseur Graig R. Bexley hatte King zeitweise seinen zweiten Hausfilmemacher gefunden, nachdem der Autor mit dem selbsternannten "Master of Horror" Mick Garris bereits ein unheiliges Band geknüpft hatte. Natürlich war Garris unter anderem für das grundsolide The Stand verantwortlich - aber eben auch für unangenehme Trash-Granaten wie Schlafwandler und Riding The Bullet. Baxley seinerseits blieb im King'schen Fernsehbereich und verwirklichte später unter anderem das durchschnittliche Haus der Verdammnis, das nie wirklich über das Niveau einer überlangen Folge Gänsehaut hinwegkam.

Auch Der Sturm des Jahrhunderts hat mit inszenatorischen Schwächen bzw. Besonderheiten zu kämpfen. Ein Problem des Regisseurs ist dabei seine bevorzugte Führung der Kamera, die den Schauspielern bei Nahaufnahmen am liebsten bis tief in die Nase fahren würde. Die Figuren müssen meist direkt in die Kamera sprechen, was nach fünfundneunzig ganz ähnlichen Takes irgendwann an den Nerven zerrt - damit durchbricht die Miniserie semibewusst die vierte Wand und lässt den Zuschauer aktiv teilhaben an den unangenehmen Entwicklungen der Geschichte. Wenn man denn will, ohne mit den Augen zu rollen.

Ein Pluspunkt, der von diesen Begebenheiten ablenkt, ist der nahezu komplette Cast. Hauptdarsteller Timothy Daly kann den Mehrteiler ohne Zweifel als Höhepunkt seines Portfolios angeben; sein Mike Anderson ist zwar die typische King Identifikationsfigur, die sich vergleichsweise lasterfrei in einer Meute von großen wie kleinen Sündern wiederfindet, aber gerade diesen Otto Normalverbraucher spielt Daly mit gleichsam lockerer wie intensiver Spielfreude.

Auf der anderen Seite ist da Colm Feore als finsterer Magier Linoge, der über die gesamte Laufzeit hinweg als zynischer, entlarvender Geheimniskrämer unterwegs ist und etwaige Steifheiten des Drehbuchs auf schadenfreudige Art vergessen macht. Allerdings ist eben dieser Linoge auch für einige Löcher im Skript verantwortlich, die man sich etwas schönreden muss. Warum wartet Linoge mit seiner ultimativen Forderung bis zum Ende der letzten Folge und veranstaltet bis dahin ein munteres Fremdmorden, das immer wieder mit derselben Botschaft einhergehen muss? Er lässt sich einsperren, verwundert mit seltsamen Aktionen sein unfreiwilliges Publikum, nur um letztlich auszubrechen und hinter seiner Gefangennahme ein großes Fragezeichen zu setzen. Wenn man nach gut zwei Dutzend "Gebt mir, was ich will, und ich werde gehen"-Anmerkungen - wahlweise mal mit Blut geschrieben oder auf dem Röhren-Monitor innerhalb eines elektronischen Kreuzworträtsels platziert - immer noch genau wie die Inselbewohner raten muss, was der gute Mann eigentlich will, stellt sich schnell eine entnervte Übersättigung ein. Ja, warum sagt er es nicht einfach? Will er seine Opfer so sehr verängstigen, weil sie sich dann eher seinem Willen beugen? Linoge kann innerhalb weniger Sekunden ein helles Licht erstrahlen und Dinge im Zimmer umherfliegen lassen, verleitet Bürger dazu, Morde und Selbstmorde zu begehen - sollte eine kurze, offensichtliche Vorführung dieser "Gaben" nicht reichen, um ein ängstliches Bewusstsein in den Inselbewohnern zu erwecken? Wozu ein groß angelegtes Theater, verteilt über zwei einzelne, stürmische Tage?

Selbst die dramatische Pointe der ganzen Geschichte, dass Linoge ein Kind braucht, um die Nachfolge seines Seins zu gewährleisten, zieht sich so weit hinaus, dass die Überraschung zum Großteil dahin ist und nach drei Stunden Kennenlernen der Bewohner mehr als offensichtlich ist, wem das Kind entzogen wird. Zwischendurch streut King auch seinen eigenwilligen, manchmal schmerzlich unpassenden Humor ein - gröbstes Beispiel der kollektive Alptraum der Einwohner, in denen ein bis zur Unkenntlichkeit geschminkter Colm Feore als Nachrichtenreporter den Worst Case vorwegnehmen darf, um die armen Bürger darauf aufmerksam zu machen, was passiert, wenn man dem sarkastischen Fremden nicht gibt, was er will. Ein mit gut zehn Minuten zu verschmerzendes und doch sehr fremd wirkendes Intermezzo.

Auch das mehrfach wiederholte Kinderlied um den kleinen Teetopf wird zum musikalischen Sinnbild für Linoges Einfluss auf die Bewohner und ist wieder so eine Sache, die mehr verwundert denn in irgendeiner Form schockiert. Zusammen mit dem Gehstock des düsteren Mannes, der im Gewand unterdurchschnittlicher Fernseheffekte mehrere Male zum Leben erweckt wird und wie eine Schlange durch den Film streift, gesellen sich diese King-typischen Absonderlichkeiten in die Handlung ein, die - wenn man sie stattdessen in einem Buch lesen würde - sicher für einen wohligen Schauer sorgen könnten... in verfilmter Form aber leider unfreiwillig komisch erscheinen und der ernsten Stimmung des Films nur schaden.

Während man sich das aber alles noch gefallen lassen könnte, zerrt das Drehbuch mit seiner vielleicht unsinnigsten Entscheidungen an zweifelslos jedem Nervenkostüm: die Bewohner sprechen sich zum Großteil mit Vor- und Zunamen an. Bekannte, Kumpels, beste Freunde, alle begegnen sich trotz der angsteinflössenden, hektischen Situation mit einer krankhaften Höflichkeit. "Wie geht es dir, Mike Anderson?" Die Insel ist bereits um gut die Hälfte dezimiert, da sich einige Bewohner vor dem Sturm auf das Festland geflüchtet haben; niemand in der Handlung hat denselben Vor- oder Nachnamen, was eine komplette Aussprache irgendwie verständlich gemacht hätte. Selbst wenn Leute in einem separaten Gespräch erwähnt oder in der eisigen Windlandschaft gerufen werden, da sie spurlos verschwunden sind, geschiet dies stets mit dem vollen Namen. Der ganze Film wäre wahrscheinlich dreißig Minuten kürzer, hätte man auf dieses Stilmittel (?) verzichtet.

Und trotzdem ist es erstaunlich genug, dass sich diese gezogene Geschichte trotz aller Drehbuchlängen äußerst unterhaltsam präsentiert und die kompletten vier Stunden recht schnell ihr Finale finden. Den ganzen Drehbuchlöchern und manchmal hölzernen Dialogen, den vielfältigen wie schlicht unnötigen Special-Effects zum Trotz: Der Sturm des Jahrhunderts ist ein Kingfilm, dem man am ehsten dasselbe Gefühl wie der Lektüre eines Kingromans zuschreiben kann: irgendwie gemütlich, in den richtigen Momenten spannend und unheimlich, ausführlich, was die Hintergrundgeschichten der Protagonisten angeht - die Figuren können einem praktisch nicht mehr egal sein, nachdem man ihre finstersten Geheimnisse kennengelernt hat, wobei auf eine ganz klassische Schwarz/Weiß-Malerei verzichtet wird.

Der Sturm des Jahrhunderts ist vielleicht nicht das beste Musterbeispiel, wenn man jemandem Kings verfilmte Werke näherlegen möchte - dazu gehören unweigerlich immer noch Stand by Me und Misery, Dead Zone und Friedhof der Kuscheltiere - aber wer King bereits seit Jahren kennt und schätzt, wer regelmäßig seine Bücher liest und sich wohl fühlt in dieser Welt voller realer Ängste und irrealer Gestalten, für den ist Der Sturm des Jahrhunderts der bequeme Sessel im düsteren, vom Kaminfeuer beleuchteten Zimmer, mit einem Glas Wein auf dem Tisch, warmen Socken an den Füßen und der nicht ganz sicheren Gewissheit, ob der Schatten in der einen Ecke des Raums schon immer da war.
7/10

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