Review

Stephen King gilt als einer der schnellsten, wenn nicht als der schnellste Romanautor. Wo ein John Grisham es täglich auf eine Seite bringt, schafft ein King - wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht - das Zehnfache. Der Fundus des seit den Siebzigern aktiven Horrorschreiberlings ist dementsprechend gigantisch - alleine sein Kernprojekt, “Der Dunkle Turm”, umfasst sieben Werke, von denen jedes einzelne unzählige Anspielungen auf andere Werke seines Universums enthält.

“Der Sturm des Jahrhunderts” unterscheidet sich vom Rest seiner Gilde dadurch, dass es keine direkte Romanvorlage gibt; das Skript wurde direkt als Drehbuch veröffentlicht. Womit wir bei einem alten Problem angekommen sind: King hat sich mal wieder an einer für den Filmmarkt produzierten Vorlage ausgelassen. Dass das in der Regel schiefgeht, haben diverse Engagements des Horror-Altmeisters bewiesen. Als Regisseur hat er in seinem Debüt “Rhea M.” auf ganzer Linie versagt; sogar im unsäglichen “Trucks” hatte er seine Finger im Spiel. Auch das später wiederum von Regisseur Craig R. Baxley in Szene gesetzte “Haus der Verdammnis” beruht auf einer Kingschen Drehbuchvorlage. Wann immer er sich persönlich an eine der Verfilmungen seiner Romane herangetraut hat, ging es größtenteils schief. Lediglich “The Shining” (1997), der extra auf Kings Wünsche hin umgesetzt wurde, nachdem Kubricks geniale Adaption ihm überhaupt nicht gefiel, konnte angemessen unterhalten, wenn auch vieles einfach nur von der Grundidee zehrte sowie von dem soliden Hauptdarsteller.
Der Unterschied liegt halt nun darin, dass dem “Sturm des Jahrhunderts” kein Roman zugrunde liegt. Kann King sich im Filmgeschäft dadurch profilieren, dass der komplette Plot bereits im Entstehungsprozess auf eine Filmumsetzung ausgelegt war und dadurch die Transformation vom Buch zum Film wegfiel? Ja und nein.

Nein, weil das Drehbuch und damit die Mini-Serie nichts Neues mehr erzählt. Offenbar gehen King langsam die Ideen aus. Natürlich muss man bei ihm unterscheiden zwischen reiner Wiederholung und dem Ausbau des Universums. So gut wie alle seine Geschichten spielen sich in Maine ab; mal in Derry, mal in Castle Rock, aber stets in dem Bundesstaat, in dem er geboren wurde. Das jedoch als Einfallslosigkeit zu etikettieren, hieße, King und seine Arbeiten misszuverstehen. Orten und Charakteren begegnet man über die künstlichen Grenzen der Romane hinaus auch immer wieder in anderen Werken, wenn halt auch manchmal anders, als man sie in Erinnerung hatte (man vergleiche beispielsweise “Desperation” und “Regulator”). Der Fremde namens Linoge (Colm Feore), der sich in dem kleinen Küstenstädtchen einnistet, um etwas einzufordern, vermag zum Gesamtkonzept King aber nichts beizutragen, was nicht schon da gewesen wäre. In seiner Position als geheimnisvoller Fremder ist er Leland Gaunt aus “Needful Things” nachempfunden, als uraltes Wesen, das schon vor Jahrtausenden die Welt bevölkert hat, dem Monsterclown aus “ES”. Dabei handelt es sich aber wirklich mehr oder weniger um bloße Kopie, rein des Effektes Willen, den die geheimnisvolle Komponente des Unbekannten umweht.

Aber auch Ja, denn im Gegensatz zum “Haus der Verdammnis” ist King mit dem “Sturm des Jahrhunderts” eine absolut ausgewogene Dramaturgie gelungen, die man in der Form von ihm als Drehbuchautoren eigentlich nicht erwartet hätte. Für eine Mini-Serie von immerhin vier Stunden Dauer bleibt der Spannungsgrad konstant oben. Es gibt keine nennenswerten Einbrüche, keine markanten Stimmungswechsel oder sonstige Störfaktoren, welche die Geschichte um das “Rose Red”-Anwesen immer wieder durchgeschüttelt haben und vor denen nicht einmal die TV-Verfilmungen von “ES” und “The Shining” sicher waren. Was dies zur Folge hat, darüber kann man sich streiten. Für den einen mag “Der Sturm des Jahrhunderts” nämlich nichts als ein Filmstoff für maximal 90 Minuten sein, der künstlich auf über vier Stunden aufgebläht wurde. Tatsächlich kann man die komplette Handlung in nur wenigen Sätzen nacherzählen, und es bedarf nicht viel Erinnerungsvermögen, um dies zu tun. Andererseits kann man es auch so sehen: Da der Film quasi vollkommen ohne wirkliche Längen auskommt, fehlt so ein wenig das Hauptargument dafür, die Serie auf einen Film zu kürzen, was an sich zweifellos ohne nennenswerte Story-Einbußen möglich wäre. Auf der Haben-Seite steht aber eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Atmosphäre, die um so stärker zur Geltung kommt, je mehr Platz man ihr zur Entfaltung zugesteht. Warum also kürzen?

Auf der Atmosphäre sollte auch wie üblich das Hauptaugenmerk liegen. Komplett in Blautönen gehalten, zeigt sich ein kuscheliges Kleinstadtszenario, das sich zu Beginn trotz der unbequemen äußeren Umstände noch in vollster Sicherheit wähnt. Der Titel suggeriert uns eine Katastrophe, auf die der Film zusteuert, welcher nun von der Ruhe vor dem Sturm seine atmosphärische Kraft nimmt. Regisseur Craig Baxley mag für sich eher ein Handwerker als ein Künstler sein, aber hier kommt ihm eindeutig Kings Händchen für gemächlichen Spannungsaufbau zugute. Baxley kann noch so viel Mist verzapfen, an die Drehbuchvorgaben muss er sich trotzdem halten. Und die besagen: Führe diesen Charakter ein, dann jenen, schneide auf die Gemeinschaft, beschäftige dich einen Moment mit ihr, wechsle zu den Kindern, dann ins Gefängnis, lass dir Zeit. Wenn also schon ein Kingsches Drehbuch, dann wirklich für eine Serie, denn die Effektivität der Stories entfaltet sich hier wie im Roman über die Zeitnahme. Und Baxley macht seine Sache sogar ganz ansehnlich, denn viele Einstellungen stimmen einfach. Das betrifft vor allem die In-Szene-Setzung der Hauptfigur.

Colm Feore (“Riddick”) schafft es diesmal, all seine Vorzüge zu betonen und so die Aufmerksamkeit voll und ganz auf sich zu ziehen. Zumindest ich persönlich habe ihn zwar schon in etlichen Filmen registriert, nie jedoch hat es sich mir aufgedrängt, über seine Leistung nachzudenken. Das mag zumindest für einen Nebendarsteller nicht die schlechteste Sache sein; andererseits ist aber doch nichts schlimmer, als unsichtbar zu bleiben. Das hätte gerade für diese Figur gegolten, denn das Geheimnisvolle muss ganz einfach faszinieren, um wirken zu können. Feore übertraf nun alle meine Erwartungen, die ich an ihn als Schauspieler gestellt hatte: Er spielt zunächst zurückhaltend, beinahe freundlich, sanft, bis sich nicht mit einem Schlag, sondern über einen längeren Zeitraum seine diabolische Ausstrahlung herauskristallisiert, die im Rahmen von Feores Filmographie erst einmal ihresgleichen suchen muss. Tatsächlich ist er Max von Sydows Leistung in “Needful Things” so gut wie ebenbürtig und übertrifft damit die von Jamey Sheridan, der in “The Stand” den Randall Flagg mimt, mühelos. Das King-Serien-typische Overacting kündigt sich zwar manchmal an, trifft in seinem Fall jedoch nie ein.
Feore wird nun oft und gerne mit Aufsicht gefilmt, um seine bedrohliche Erhabenheit aufzuzeigen. Er wird auch gerne mit seiner markanten Knochenstruktur in den Schatten versetzt, damit sich sein Profil nur erahnen lässt. Geschmackssache sind die angewandten Monster-Gimmicks, also die leuchtenden Augen und die Reißzähne, die hin und wieder recht zusammenhangslos eingesetzt werden, um relativ billige Schocks zu erzeugen; tatsächlich drängen sie sich aber weniger künstlich auf als so manch anderer Monster-Effekt aus früheren King-Serien, und manchmal funktionieren die Schocks sogar oder sind zumindest interessant anzusehen.

Problematisch ist der Rest des Casts. Zwar halten sich sowohl Overacting als auch Klischees auch bei ihnen im Rahmen, doch weder die Schauspieler noch der Plot sind in der Lage, den einzelnen Charakteren ausreichend Tiefe zu verleihen. Die kleine Gemeinschaft bleibt bis zum Ende nichts als eine gesichtslose Komplettmasse, und das ist schon etwas verblüffend in Anbetracht der Zeit, die Baxley blieb, um die Geschichte zu erzählen. Zwar sieht man immer mal ein paar Gesichter, die man kennt (Jeffrey DeMunn, “Akte X - Der Film”; Spencer Breslin, “The Kid”), aber im Gesamtbild bleibt die Meute viel zu gesichtslos. Einer der Hauptdarsteller, Timothy Daly, fällt gar erst in seiner flammenden Rede im dritten Teil auf, und das hat er nicht etwa seiner Ausstrahlung zu verdanken, sondern der emotionalen Grundfrage, die an dieser Stelle diskutiert wird.
Diese Grundfrage steht im Zusammenhang mit der geheimnisvollen Forderung des Unbekannten, die an dieser Stelle nicht verraten wird, weil sie erst gegen Ende ihre Auflösung erfährt und die Geheimniskrämerei um sie die Spannung fördert. Vorausgeschickt werden kann aber, dass die Forderung des Unbekannten etwas unlogisch erscheint, weil es eine Sache ist, bei der man nicht versteht, wieso er sie sich nicht einfach nimmt. Die Macht dazu hat er zuvor mehrfach unter Beweis gestellt, und eine Erklärung, weshalb er die Erlaubnis der Gemeinschaft braucht, wird auch nicht gegeben. Da ist man von King Besseres gewohnt als einen solchen Logikklops.

Die Effekte sind allesamt recht gut gelungen, wenn auch durch den Schneewirbel geschickt verschleiert. Eigentlich kann man nämlich sehen, dass es sich bei dem vom Wasser mitgerissenen Leuchtturm um ein Modell handelt. Ansonsten sind die Effekte aber ordentlich, sparsam und effektiv eingesetzt. Es mag kein wortwörtlicher “Sturm des Jahrhunderts” sein, der da tobt, aber es geht schon ganz gut ab. Besonders wirksam ist der Film daher an einem kalten Winterabend, wenn man es sich vor dem Kamin gemütlich macht und in die Lieblingsdecke kuschelt.

Im Ganzen handelt es sich daher beim “Sturm des Jahrhunderts” um eine Miniserie, die von ihren Bildern lebt und nicht von ihrem Inhalt. Die Story ist eher belanglos, auch wenn sie am Ende auf eine moralische Grundfrage hinausläuft. Effektehaschend wird vielmehr versucht, die reine Atmosphäre in den Vordergrund zu stellen, die Ruhe vor dem Sturm begreiflich zu machen und das Grauen aufzubereiten, das sich langsam in diesem kleinen Ort ausbreitet. Nur allzu gut vorstellbar ist es, dass Kings Drehbuch den gleichen Eindruck vermittelt hat - auch wenn die Charaktere in einem vollständigen Roman wohl deutlich besser ausgearbeitet gewesen wären.
6,5/10

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