Fantasy-Erfolge, das waren nach dem Jahr 2000 vor allem jene Filme wie „Herr der Ringe“ und „Harry Potter“, die große Leinwandunterhaltung für die ganze Familie boten, bei allen Intrigen und Ränkespielen den phantastischen Schauwerten verhaftet blieben. Insofern war „Game of Thrones“ anno 2011 ein hoch budgetiertes Wagnis für HBO, trotz populär Vorlage aus der Feder von George R.R. Martin, auch wenn dies in der Rückschau anders erscheinen mag.
So ist die erste Szene zwar Fantasy mit Horroreinschlag, wenn ein paar Leutchen im verschneiten Norden des Kontinents Westeros auf die White Walker treffen, zombieartige Schneekreaturen, doch es sind vor allem Politik, Beziehungen zwischen Königshäusern und Intrigen, die das Geschehen bestimmen, vor allem in den frühen Staffeln. Bei der Vielzahl von Figuren und Handlungssträngen muss man als Zuschauer zwar ein waches Auge und einen wachen Verstand beweisen, im Zentrum stehen aber vor allem zwei Adelsgeschlechter. Zum einen die Starks, deren Anführer Ned (Sean Bean) als Verwalter der Nordlande auftritt, seinem alten Kumpel Robert Baratheon (Mark Addy) allerdings treu ergeben ist, der auf dem eisernen Thron sitzt und über Westeros herrscht. Auf der anderen Seite ist da das Haus Lannister: Cersei (Lena Headey) ist Roberts Königin, ihr Zwillingsbruder Jamie (Nikolaj Coster-Waldau) wichtiges Mitglied der Garde, während ihr Halbbruder, der kleinwüchsige Tyrion (Peter Dinklage), von der Familie eher versteckt wird und nicht gut gelitten ist. Als Robert bei einem Jagdunfall stirbt, geht das Ringen um die Macht über Westeros los, mit den Starks und den Lannisters als wichtigen Machtfaktoren.
Aber dieser große Umriss gibt den Inhalt von „Game of Thrones“ nur unzureichend wieder. Da ist noch Daenerys Targaryen (Emilia Clarke), eine der letzten Nachkommen eines früheren Herrschergeschlechts, die in fernen Landen ihre Rückkehr plant (Thronbesteigung inklusive), das sind die White Walker als Bedrohung für alle Lebenden und da sind zig Berater, kleinere Königshäuser und sonstige Parteien, die in dem Gewühl mitmischen. Mag man bei der Erstsichtung in der ersten Staffel noch von der Menge an Charakteren überrascht sein, so erscheint diese in der Rückschau bzw. beim zweiten Ansehen regelrecht klein skaliert, wenn nach und nach immer mehr Beteiligte hinzukommen. Es gibt Finanziers, die in Kriege eingreifen, es gibt religiöse Figuren wie Melisandre (Carice van Houten), die Hohepriesterin des Lords des Lichts, die sich auf die Seite einer Kriegspartei schlagen usw. – jede und jeder davon mit eigenen Zielen und Interessen, wobei die Allianzen brüchig sind und wechseln können.
Als wäre all das noch nicht genug, so kommen noch persönliche Fehden und Zuneigungen dazu: Brüder, die einander zürnen, heimlich verliebte Schwertkämpferinnen, homosexuelle Thronanwärter, die ihre wahren Neigungen geheim halten und damit erpressbar sind – Figuren wie Petyr ‘Littlefinger‘ Baelish (Aidan Gillen) oder Lord Varys (Conleth Hill), die Spione haben und Meister der höfischen Intrige sind, werden so auch zu Machtfaktoren. Der besondere Reiz von „Game of Thrones“ liegt nun darin, dass dieses Netz aus Interessen, Allianzen und Animositäten unglaublich dicht gewebt ist, dass das Private und das Politische dabei verschwimmen und dass die Serie trotz dieses Facettenreichtums nicht überladen wirkt. Unglaublich organisch entwickeln sich die Konfliktlinien von „Game of Thrones“, die teilweise parallel verlaufen oder sich überschneiden, sodass quasi jeder Akt nachvollziehbar ist, ohne sich vorhersehbar zu geben. Denn in der Fantasy-Welt von Westeros ist sich schlussendlich fast jeder selbst das nächste, sodass man nie sicher sein kann, ob eine Allianz von Dauer ist, ob Loyalität ernst gemeint ist oder ob einem der Verbündete bei der ersten Gelegenheit in den Rücken fällt.
Genau diese Dog-Eat-Dog-Attitüde wurde zum Markenzeichen von „Game of Thrones“, vor allem in Verbindung mit der Gnadenlosigkeit des Ganzen: Bereits gegen Ende der ersten Staffel geht eine Figur drauf, die in fast jeder konventionellen Serie vermutlich Hauptprotagonist, strahlender Held und schlussendlicher Sieger gewesen wäre. So erwischt es auch hier Sympathieträger, prominent besetzte Figuren und zentrale Charaktere, oft im Bruch mit konventionellen dramaturgischen Regeln, was zu einigen Oha-Effekten führt, besonders prominent in den Folgen „The Rains of Castamere“ und „The Mountain Viper“. Aber auch dieses Stilmittel setzt „Game of Thrones“ wohldosiert ein, nicht zu inflationär, auch wenn die Linien in den späteren Staffeln klarer gezeichnet sind und die meisten Fan-Favoriten, die bis dahin durchgehalten haben, dann auch am Leben bleiben.
Ein weiterer Pluspunkt liegt darin, dass die Figuren reizvoll und nachvollziehbar bleiben. Sicher wird Tyrion schnell zum heimlichen Helden der Serie mit seiner lockeren Art, den flotten Sprüchen („I am the god of tits and wine“) und seinem Underdog-Charme, aber diese Anziehung geht auch von wesentlich weniger positiven Figuren aus: Cersei etwa erweist sich bald als Mischung aus Femme Fatale und Eiskönigin, ist aber auch gleichzeitig eine Löwenmutter, deren Grausamkeiten und Gewalttaten oft für ihre Familie und vor allem ihre Kinder verübt werden. Auch wandeln sich die Figuren; man kann beispielsweise Sansa Stark (Sophie Turner), Neds ältester Tochter, dabei zusehen, wie sie von der verzogenen Göre immer mehr zur verantwortungsvollen Frau heranreift. Manche Sympathieträger werden zu Schurkenfiguren, manche Hassfiguren zu neuen Helden und manch einer macht gleich mehrere Häutungen durch. Doch auch all das bleibt nachvollziehbar, nicht nur um des Effekts willen in die Serie geschrieben.
Nun sind und waren Politthemen im Genregewand schon immer eine Spezialität von HBO, man denke an Crime-Serien wie „The Wire“ oder „Boardwalk Empire“, die auch immer als (historische) Gesellschaftsportraits fungierten. „Game of Thrones“ hat durch seinen Fantasycharakter dann eher allegorische Qualitäten mit Blick auf aktuelles Geschehen (und ist da vielseitig interpretierbar), aber ein reizvoller Aspekt der Serie ist eben die Verpflanzung komplexer politischer Zusammenhänge in ein solches Szenario. So sind Drachen, Zauberkräfte und ähnliche Scherze hier eben immer nur mehr als sie selbst, sie sind politisches Kapital. Und man kann sich trösten, dass auch in dieser Welt Politik nicht so viel anders funktioniert als in der unsrigen: Selbst im Angesicht untoter Invasoren, welche die gesamte Menschheit bedrohen, sind manchen Beteiligten Ränkespiele und eigene Vorteile immer noch wichtiger.
Abgesehen von den pointiert geschriebenen Liebeleien, den privaten wie politischen Auseinandersetzungen, ist „Game of Thrones“ aber auch bildgewaltige Genreunterhaltung, die einige prächtige Schlachten und Kampfszenen auf die Leinwand bringt, für welche die Macher auch gern erfahrene Genreregisseur wie Neil Marshall anheuerten. Die Schlacht von Blackwater Bay, die Battle of the Bastards, Kämpfe mit Drachen und Untoten, Duelle zwischen orientalischen angehauchten Fightern und monströsen Muskelbergen – all das gibt es immer wieder zu bewundern, fantastisch choreographiert und inszeniert, mit einem derben Härtegrad, der die gnadenlose Welt von Westeros widerspiegelt. Denn was Gewalt, derbe Sprache und Sex angeht, da ist „Game of Thrones“ ein klares HBO-Produkt, das herausstellt, dass man eben nicht im braven, frei empfangbaren Network-TV der USA ist. Auch wenn die frühen Staffeln es mit Sex und Nacktheit manchmal etwas übertreiben, einfach nur auf den vermeintlichen Tabubruch aus sind.
„Game of Thrones“ hat dabei auch keine Angst vor dem ganz großen Pathos, welches viele Fantasyserien und -filme ausmacht. Trotz mancher Abweichungen von Formeln gibt es auch immer wieder diese Momente, die Fanerwartungen erfüllen: Die genüssliche Genugtuung, wenn Schurken von Hunden zerfleischt werden oder an einem Giftbecher verrecken, die heroische Zusammenarbeit früherer verfeindeter, ultracooler Charaktere, die Liebesschwüre, den tränenreichen Abschied. Aber „Game of Thrones“ erzählt auch das mit Wucht und Verve, beharrt nicht auf einer Verweigerungshaltung in Sachen Dramaturgie, auch wenn manche Fans es der Serie übelnehmen – etwa als sich der Tod einer bestimmten Figur als nicht endgültig erweist. Dabei erklärt die Serie sehr genau, unter welchen Umständen man Tote zurückbringen kann und exerziert es an einigen Nebenfiguren zuvor sogar durch, weshalb „Game of Thrones“ da mit offenen Karten spielt.
Der andere große Elefant im Raum, wenn es um „Game of Thrones“ geht, ist natürlich die letzte Staffel, für welche die Showrunner David Benioff und D.B. Weiss regelrecht angefeindet wurden. Inwieweit sie dabei von der Buchvorlage abwichen, ist unklar, denn George R.R. Martins Romanreihe ist derzeit noch unvollendet, er soll seine Pläne allerdings mit Benioff und Weiss besprochen haben. Das Problem der letzten Staffel liegt sicherlich darin, dass sie etwas gehetzt wirkt: Gerade einmal sechs Folgen, wenngleich einige davon in Spielfilmlänge. So geschehen einige Entwicklungen zu schnell, gerade die entscheidende Wandlung einer bestimmten Hauptfigur. Jedoch kommt diese nicht aus der Luft gegriffen: Schon zuvor hatten sich entsprechende Züge an dieser Person gezeigt, die man als Zuschauer nur deshalb übersah, da sie dem sonstigen Gesamtbild der Figur entgegenstanden. Einige andere Dinge werden gemessen an ihrer eigentlichen Bedeutung viel zu schnell abgehandelt: *SPOILER* Vor allem die Bedrohung durch den Nachtkönig und die Armee der White Walker. Nachdem diese über Staffeln als potentieller Untergang der Menschheit eingeführt werden, reicht dann doch die Entscheidungsschlacht bei Winterfell, um für klar Schiff zu sorgen, das ist dann doch etwas wenig. Zumal ausgerechnet diese Schlacht dann eher durchwachsen inszeniert ist – manchmal übersichtlich, oft ohne das richtige Gespür für Raum und die Positionen der Figuren darin. Eine Enttäuschung, gerade im Vergleich zu den vorigen Schlachten-Highlights. Stark dagegen der Angriff auf King’s Landing, der erst actionreich anfängt, angesichts des Dracheninfernos dann aber eher eine Art „Der Soldat James Ryan“-Vibe entwickelt. *SPOILER ENDE*
Was an „Game of Thrones“ dagegen durchgängig hervorragend ist, ist das Ensemble, dessen Mitglieder man kaum alle einzeln erwähnen kann. Großes Highlight ist natürlich Peter Dinklage in der famos geschriebenen Rolle von Tyrion Lannister, aber es gibt mit Lena Headey, Nicolaj Coster-Waldau, Maisie Williams und Sophie Turner noch weitere herausragende Darsteller mit viel Screentime, gegen die auch Emilia Clarke und Kit Harrington nicht ankommen, auch wenn jene dann als besonders gut aussehende Anführertypen auftreten dürfen. Aber auch in den kleineren Rollen ist viel Gold zu finden: Rory McCann als Söldner Sandor ‘The Hound‘ Clegane, Liam Cunningham als Ex-Schmuggler, Adian Gillen als Puffbesitzer und Intrigant, Conleth Hill als Meister der Spione, Gwendoline Christie als Ritterin, Charles Dance als Lannister-Patriarch Tywin, Kristofer Hivju als wilder Tormund Giantsbane, Tom Wlaschiha als gesichtsloser Assassine, Pedro Pascal als Lebemann-Prinz und Altstar Dianna Rigg als resolute Königin, um nur einige zu nennen. Auch Jack Gleeson als Joffrey Baratheon und Iwan Rheon als Ramsay Bolton ragen in zwei der prominentesten Schurkenrollen heraus: Ihre Figuren wurden derart gehasst, dass Gleeson die Schauspielerei danach drangab, was sicherlich ein Zeichen für die Qualität der Rollen und des Schauspiels ist, denn um solche Antipathien hervorzurufen, muss ein Schurke wirklich herausragend sein.
„Game of Thrones“ ist großes Kino für den Fernsehschirm: Eine emotionale Achterbahnfahrt mit dem richtigen Maß an Pathos und großen Gefühlen, ein Politthriller in ungewohntem Setting, ein bildgewaltiges Fantasyspektakel mit gut dosierten Schauwerten, alles getragen von einem hervorragenden Cast und einer Dramaturgie, die auch gern mal unerwartete Wege geht. Im Abgang vielleicht etwas überhastet, aber nicht misslungen – ein Highlight der zeitgenössischen Qualitätsserien.