Die Welt ist ein ungeheuer komplexer Ort.
Obwohl man meint, daß im Zeitalter der totalen Vernetzung und Elektronisierung alles näher zusammenrückt, scheinen so etwas wie länderübergreifender Frieden oder das Lösen von globalen Problemen schwieriger denn je. Das Internet hat alle mit allen verbunden, aber das macht die Menschheit noch nicht frei, noch immer ist man gefangen in regionalen Ressentiments, in religiösen Vorstellungen, in nachbarschaftlichen Streits, in wirtschaftlichen Interessenkonflikten.
Überschaubar, wirklich überschaubar ist das scheinbar für niemanden - also haben die Franzosen Alberny und Mach mit "8th Wonderland" zu diesem geradezu irritierenden Zustand ihre eigene kleine Utopie gedreht, eine feine bittere Satire, die ihren Anker immer noch in der modernen Gesellschaft der Gegenwart hat und mit Elementen und Problemen des täglichen Lebens kämpft.
Nur bleibt sie dabei nicht Satire, sondern wird zum Drama, mutiert zum Thriller, wirft Blicke hinter Vorhänge und läßt uns Tränen lachen, während man schockiert feststellen muß, das man ja auf sich selbst zurückgeworfen wird.
Das Spiel mit einer komplexen globalen Idee wird von ihnen in "8th Wonderland" ausgepolstert, in die Breite und Höhe gezogen und theoretisiert, ausgehoben und durchleuchtet - nicht, um simple Lösungen zu finden, sondern um die Hürden für die allgemein politisch desinteressierte und medientechnisch verdemagogierte Gesellschaft noch einmal aufzubereiten.
An sich ist das ein lobenswerter Ansatz.
Wenn es einen herausdestillierbaren Plot in diesem Film gibt, dann den des Lebenswegs einer virtuellen Gemeinschaft, die des Filmtitels, die ein nichtexistentes Land auf unserem Planeten bildet, eine Gemeinde aus Tausend, wenn nicht Millionen von Menschen aller Herren Länder, die das gleiche Ziel haben, die bisherigen Grenzen aufzubrechen, die Menschen wach zu machen, Aufmerksamkeit zu erregen, vielleicht etwas zu bewirken. Die ersten kuriosen Situationen stärken den Bekanntheitsgrad und fördern das Engagement, bis sich die Sache in sich verselbstständigt.
Als Analogie präsentieren Alberny und Mach uns Dokuaufnahmen einer Schabenkolonie, die vor- (oder nach-)spielt, was man im Film und im täglichen Leben zu sehen bekommt.
Von der fast bitter-witzigen Kampagne gegen die Todesstrafe reicht die Entwicklung, ja Mutation der Gemeinde bis hin zur Infektion von Menschen mit tödlichen Viren zum Zwecke der Erpressung von politischen Größen und politischem Mord. Was als Idee anfängt, trägt das multimediale verschlüsselte Netz weiter, wächst und verändert sich in den Köpfen der Teilnehmenden, treibt groteske Blüten, gebiert Anarchie, fördert ein der modernen Politik ähnelndes System, durchlebt Mißbrauch (in Form von Merchandising) und wird schließlich gesprengt, um aus der Asche wiederzuerstehen.
Die Filmemacher beweisen ihre Vielseitigkeit, indem man den Film so als Parallele zur komletten Menschheit sieht, die in einem selbstgewählt geschlossenen System ebenfalls vielköpfig die globale Gesellschaft nachstellt - und für den Zuschauer in Gestalt von gut zwei Dutzend Teilnehmern noch einmal überschaubarer.
Gleichzeitig kann der Film als Weckruf funktionieren, als Mahnung an die aktuellen Probleme unter denen unser Planet leidet, als Aufforderung an die Staaten und die Politiker, als beißende Satire auf die Medien oder als Trauerspiel über die Absurdität der Moderne.
Man kann "8th Wonderland" alles vieles und fast alles auslegen und diese Unentschiedenheit, die Herangehensweise unter Ausnutzer vieler Emotionen unterschiedlichster Couleur, macht den Film reichhaltig.
Oder verleiht ihm zumindest die Illusion der Reichhaltigkeit, die offenbar die jüngeren Generationen anspricht und von der sich diese verstanden fühlen.
Das Auslassen gängiger Lösungen ist dabei kein Fehler, sondern Folgerichtigkeit und die Darreichungsform, die formale Ebene, fordert das Publikum zusätzlich heraus, präsentiert sich der Film doch als Abfolge von virtuellen Diskussionstreffen im Web, politischen Nachrichtensendungen, youtube-ähnlichen Videos und nur einer Handvoll echter (bzw. typischer) Spielszenen außerhalb des Netzes, das unsere Welt ausmacht und umspannt. Aus dem Chaos und der Vielfalt scheinen Alberny und Mach die Essenz, die besten Nachrichten in Kürze herauszufiltern, um den Prozess der Entwicklung, der Evolution und der Degeneration zu schildern und wie die Teilnehmer des virtuellen Landes werden die Zuschauer aufgefordert, sich ebenfalls an den Wegkreuzungen individuell zu entscheiden, welchen Fortgang ihr Schicksal genommen hatte.
Das ist geschickt, das ist modern, das ist politisches Mitdenk- und Mitmachkino, das könnte hip werden, denn G8 ist schon lange nicht mehr in.
Aber Anspruch, heere Idee der Umsetzung, visuelle Moderne und die Realität an sich kommen sich auch öfters mal in die Quere.
Formal wirkt der Film mitreißend, überwältigend - man könnte sagen umfassend, aber er erschlägt auch, schiebt und türmt Thema auf Thema, begräbt Ansätze unter sich und brennt immer neue Streichhölzer ab, wo man gerne einen Scheinwerfer draufgehalten hätte.
Die Geschichte als Film zu präsentieren und zu konsumieren, ist eine echte Herausforderung, ob sie filmisch gelungen ist, jedoch mehr als diskutabel, denn so schön der virtuelle Raum hier für uns im Kino aufbereitet wird, so spröde wirkt es jedoch, gut die Hälfte der 90 Minuten an theoretischen Diskussionen über Sinn, Zweck, Moral oder Vorgehensweisen beizuwohnen, wir man es schon aus Internetforen kennt.
Wähnt man diese Vorgehensweise als Mittel, uns einen Spiegel vorzuhalten, verliert man aber die anderen Themen aus dem Blick, die hier ernsthaft angerissen werden, von der Starre der katholischen Kirche bis zum weltweiten Gesundheitsplan.
Albernys Film erfordert harte Mitarbeit und ein gewisses politisches Interesse (samt Vorwissen), sonst gerät es zum Kuriositätenkabinett und zur augenkrebsfördernden Zirkusparade mit Schalk und Multikulti-Komplettabdeckung in gut einem Dutzend verschiedener Sprachen, die kaum von den Untertiteln gebändigt werden können.
Und wenn ein Film so global sein soll, daß alle daran teilhaben, dann sollte die Notwendigkeit, einen Film zu "lesen" nicht bedeuten, ihn komplett lesen zu müssen, was ganz nebenbei extrem von der Rezeption der Bilderflut ablenkt - das Ergebnis ist ein fast permanenter Zustand der Überreizung, der man sich freiwillig vermutlich nur in kleinen Kreisen aussetzt.
Dazu kommen nicht wenige Fragezeichen: von der Einzeldolmetscherin, die ganz allein ein Gespräch zwischen Vertretern zweier Staaten übersetzen darf (sehr unwahrscheinlich), über die rätselhaft organisierte HIV-Infektion in kürzester Zeit in diversen verschiedenen Ländern bis zur hilfreichen Simplifizierung der Entscheidungsprozesse anhand von gut 20 Gesichtern, die aber in der angeblich globalen Gemeinde des Landes nur einen verschwindend geringen Teil ausmachen würden - wie all das, was man im Film sieht, wirklich so straight organisiert werden soll, ist bei dem sonst vertretenen Realismus mehr als kurios.
Aber Perfektion ist angesichts der Komplexität der Themen, der Komprimierung der modernen Welt auf und in 90 Filmminuten natürlich nicht möglich.
Was aber anfangen mit so einem inhaltlichen Monstrum, einer visuellen Enzyklopädie der Welt auf so beengten Raum?
Es bleibt dem Zuschauer, und da zieht der Realismusanspruch mal wieder, selbst überlassen. Etwa, sich einige gute Bissen herauszufischen, sich bestärkt zu fühlen oder sich zu mehr Engagement herausgefordert zu sehen, wo sonst Resignation und Verdrossenheit den Äther beherrscht. Oder zu versuchen, die ganze Show zu durchblicken, sie zu verstehen, in der ganzen prachtvollen Perversion. Oder endgültig zu kapitulieren vor diesem magenzerfetzenden Klumpen, der zum Glück eins nicht ist: moralinsauer oder betroffen.
Letztendlich muß sich jeder für sich entscheiden, wenn er den Film nun durchlebt, durchgelitten oder genossen hat: mich persönlich hat die Fülle eher erschlagen, die Details deswegen zu unscharf, die Spitzen und Stiche zu wenig durchdacht, der Rest von Plot nur Mittel zum Zweck und Film als das zu transportierende Medium kaum geeignet, um etwas wie eine virtuelle Staatengemeinschaft in ihrer Vielfalt und ihren Entscheidungsprozessen und Entwicklungen wirklich gut nachzuzeichnen. Überschaubare Dinge oder Ausschnitte der Existenz detailliert zu beleuchten erscheint mir sinnvoller als eine multimediale, weltumspannende Attacke auf das Leben, das Universum und den ganzen Rest.
Aber der Kern der Sache, die Absicht, die Welt in der Welt, die wir in unserer Welt im Kino sehen, das ist an sich jedes Lob wert. Für den Versuch! (7/10)