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Der freie Wille einer Frau

Über die Jahre hinweg haben sich in Deutschland, insbesondere in Ballungszentren, wie Berlin, viele Migranten angesiedelt, insbesondere auch aus der Türkei und anderen muslimisch geprägten Ländern. Ja, es haben sich zum Teil regelrechte Parallelgesellschaften gebildet, in denen dann Wertevorstellungen aufrecht erhalten werden, die mit unserer offenen, toleranten Gesellschaft in Konflikt stehen. Die Diskussion darüber, über Ehrenmorde, die Unterdrückung der Frau und repressive Familienstrukturen hat nicht zuletzt durch spektakuläre Einzelfälle in den Medien ein breites, kritisches Echo gefunden.

Seit Fatih Akins spannenden Porträts des multikulturellen Milieus in Deutschland, scheint das Thema mit all seinen Facetten im Kino angekommen zu sein. „Die Fremde“ ist ein solcher Film, der in dramatischer Weise von einer jungen Türkin erzählt, die dafür kämpfen muss, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, das von ihrer Familie anerkannt wird. Es geht um Umay, die von ihrem gewalttätigen Mann aus Istanbul mit dem gemeinsamen Sohn weggeht, um bei ihrer Familie in Berlin ein neues Leben anfangen zu können. Diese jedoch – insbesondere der Vater und die zwei Brüder - akzeptiert ihre Entscheidung nicht und drängt Umay, zu ihrem Ehemann zurückzukehren, denn „ein paar Ohrfeigen“ seien schließlich kein Grund, den Mann zu verlassen. Umay lässt sich aber nicht zwingen und wird von ihrer Familie verstoßen, nicht zuletzt weil zusehends die Ehre der gesamten Familie in ihrem muslimischen Umfeld in Berlin zerbröckelt. Als Umay nicht locker lässt, wieder und wieder das Gespräch und die Aussöhnung fordert, kommt es schließlich zur Katastrophe.

Die Handlung spricht eine deutliche Sprache und macht den Eindruck, als wolle hier jemand sein Anliegen überdeutlich präsentieren, archaische Ehrvorstellungen und die Unterdrückung der Frau anzuprangern. Nichtsdestotrotz macht Feo Aladag's Film neben einigen vorhersehbar plakativen Handlungselementen und Dialogen vieles richtig und bleibt deshalb auch durchwegs spannend. Es liegt in der Natur der Sache, dass hier viel geweint, gelitten und geschrien wird, und Sibel Kekilli macht das mit der gleichen Intensität und Leidenschaft wie seinerzeit in „Gegen die Wand“. Vielleicht ist das alles dem ein oder anderen sogar etwas zu viel, denn man muss nicht selten an Lars von Triers hochemotionale Passionsspiele „Breaking the Waves“ und “Dancer in the Dark“ denken, in denen jeweils eine herzensgute Frau mit einer falschen Entscheidung ein kaum erträgliches Martyrium in Gang setzt. Bei allen Übertreibungen hatte von Trier es jedoch verstanden, komplexe Frauenrollen zu schaffen, die nicht so wirkten, als seien sie dem Drehbuch unterworfen und die den Zuschauer ständig vor moralische Zwickmühlen stellten. Diese Qualitäten besitzt auch „Die Fremde“, der seine Figuren nie an das Anliegen des Drehbuchs verrät. Umay verhält sich nicht nur „richtig“, sondern eben auch manchmal unbedacht und naiv, während ihre Familie nicht ohne ebenbürtige Aufrichtigkeit proträtiert wird.

Viel Zeit verbringt der Film daher in der familiären Berliner Wohnung und widmet sich dem moralischen bzw. gesellschaftlichen Druck, der auf den Eltern und Geschwistern lastet, als sie ihr eigen Fleisch und Blut verleugnen müssen. Es ist dabei ein interessanter Aspekt, wie sich die bildliche Darstellung dabei des Motivs vom miefigen deutschen Wohnzimmer bedient, das sich seit den späten Sechzigern als Symbol für den „Terrorzusammenhang“ deutscher Bürgerfamilien in der Nachkriegszeit etabliert hat. Diese Parallele ist beachtenswert, hat doch in Deutschland auch lange Zeit noch das patriarchalische „Zucht-und-Ordnung“-Prinzip in Haushalten geherrscht, bis seit den Sechzigern das Umdenken begann. Man darf und sollte also Verbindungen von Umays Befreiungskampf mit etwa dem der Michaela Klingler in „Requiem“, um nur ein jüngeres Beispiel zu nennen, sehen. „Die Fremde“ ist damit ein gelungenes Traktat über den Konflikt eines traditionellen Männlichkeitsrechts und Abstammungsprinzips mit der modernen Lebenswelt von persönlicher Freiheit und Individualprinzip. Feo Aladag findet dafür eine ausdrucksstarke Bildsprache, kontrastiert die pulsierenden Bilder vom Berliner Stadtleben mit erdigen, hitze-flirrenden Panoramen der türkischen Provinz und der bedrückenden Dunkelheit im deutsch-türkischen Wohnzimmer. Immer wenn eine Szene (und dazu der Soundtrack) allzu plakativ zu werden droht, nimmt sich der Film sogleich zurück und reduziert sich in seinen Mitteln auf das wesentliche. Dann hört man den Wind wehen, Baumblätter im Park rascheln, oder einfach den üblichen Stadttrubel, und die Kamera stellt die Gesichter frei, rückt ihre Blicke ins Zentrum. Hier vertraut Aladag darauf, dass die Bilder etwas vermitteln können, was bedeutungsschwangere Dialoge nur behaupten würden. Hier erzählt er ganz unmittelbar, intim und unverkitscht von Liebe, Nähe und starken Gefühlen, ohne redundantes Gerede. Hier hebt sich der Film ganz besonders von einem Betroffenheitsmelodram ab, das man aufgrund der Handlung üblicherweise erwarten würde.

Man darf sich trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass „Die Fremde“ ein kämpferischer, durchaus Stellung beziehender Film ist. Er ist dies jedoch eben nicht in eindimensionaler, vorverurteilender Weise, sondern er strebt es an, ein möglichst vielschichtiges Bild der Figuren und ihrer Beweggründe zu liefern, so weit es der dramaturgische Rahmen der Tragödie zulässt.

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