Patrick Deval war ein Mitglied der sogenannten Zanzibar-Gruppe, die in den späten 60ern, finanziell unterstützt von einer reichen Kunstpatronin, mit noch radikaleren Mitteln die Filmwelt und auch die gesellschaftliche Welt umwälzen wollte, als es zehn Jahre zuvor die Nouvelle Vague versuchte. Von vier Filmen, die der junge Mann drehte, gelten heute zwei als verschollen, darunter sein Erstlingswerk ZOE BONNE, 1966 entstanden, und sein letzter Film, ACÉPHALE BIS von 1968, in dem sogar Claude Chabrol eine Rolle übernahm. Erhalten geblieben sind HERÁCLITE L’OBSCUR und ACÈPHALE.
HERÁCLITE L’OBSCUR ist, wie zu erwarten, ein äußerst ungewöhnlicher Film. In seinen etwa zweiundzwanzig Minuten passiert eigentlich nicht viel. Heraklit, der berühmte vorsokratische Philosoph, unternimmt eine Wanderung nach Ephesos. Dort angekommen zeigt er sich angewidert von den rauschenden Festen, die die Stadtbewohner zu Ehren des Dionysos feiern, und flieht in die Einsamkeit des Waldes, wo er ein Einsiedlerleben führt. Erst schwer krank zieht es ihn in die Stadt zurück, wo er auf Hilfe hofft.
HERÁCLITE L’OBSCUR, gedreht in Tunesien und in Farbe, hat mich in vielerlei Hinsicht an die Filme Pasolinis aus seiner „mythischen“ Phase erinnert. Deval bedient sich eines antiken Mythos und benutzt ihn, um Aussagen über die Gegenwart zu treffen, um philosophische Fragen zu stellen oder zu beantworten, und mit geringen Mitteln eine fremde und doch vertraute Welt entstehen zu lassen. Dass für den Film kein großes Budget zur Verfügung stand, sieht man ihm freilich an, gestört hat es mich nicht, da die halbverfallenen Tempelruinen den perfekten Hintergrund für die reduzierte Handlung des Films liefern, und Deval auch so einige optisch überzeugende Landschaftsaufnahmen gelingen.
Die meiste Zeit kommentiert eine Stimme aus dem Off die gezeigten Ereignisse, erzählt von Heraklits Innenleben oder verliert sich auch mal in philosophischen und poetischen Monologen. Ob diese speziell auf das Werk Heraklits referieren oder gar Zitate des Philosophen enthalten, entzieht sich meiner Kenntnis. Offensichtlich ist jedoch, dass sich Deval einiger Legenden bediente, die sich um die Person des Heraklit ranken, um sie in seiner eigenen Art und Weise umzugestalten, was vor allem beim Schluss deutlich wird. Der Mythos sagt, dass Heraklit in seinem Eremitendasein, wo er sich nur von Pflanzen ernäherte, an Wassersucht erkrankte, und von den Ärzten in Ephesos nicht geheilt werden konnte, da er seine Angewohnheit, in Rätseln zu sprechen, nicht mal dann ablegen konnte, als es um sein Leben ging. Die Ärzte verstanden einfach nicht, was er von ihnen wollte, und so soll er versucht haben, sich selbst zu heilen, indem er sich in einen Misthaufen eingrub, in dem er dann kläglich verendete. Deval lässt seinen Heraklit sich von Kopf bis Fuß mit besagtem Mist einschmieren und ihn in der finalen und eindrucksvollsten Szenen über einen leeren Platz laufen, während die Kamera ihn permanent umkreist. Heraklit ist, so scheint es, zu einer Statue geworden, sein Gesicht nicht mehr zu erkennen, sein Körper wie aus Lehm modelliert.
HERÁCLITE L’OBSCUR ist natürlich ein Film, der nicht jedem gefallen wird. Die meiste Zeit sieht man Heraklit durch die beeindruckende, karge Landschaft spazieren. Eine Orgie, in der ein Betrunkener unter anderem ein Schaf, dem gerade die Kehle durchgeschnitten wurde, liebkost, durchbricht die Monotonie nur kurz. Andererseits habe ich HERÁCLITE L’OBSCUR, wohl auch wegen seiner Laufzeit, als wesentlich leichtere Kost als Devals Nachfolgewerk ACÉPHALE empfunden, der ein einziges Rätsel darstellt.