Spoileralarm!
"Ist es besser als Monster zu leben oder als guter Mann zu sterben?"
Mit diesem Satz endet Martin Scorsese's Verfilmung des Romans "Shutter Island" und lässt die überaus packenden, vorherigen 125 Minuten in einem gänzlich anderen Licht erscheinen. Damit endet auch eine Odyssee, die den Zuschauer durch ein Labyrinth aus Halbwahrheiten, mysteriösen Ereignissen und teilweise grauenvollen Bildern geführt hat.
„Jeder Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht." - Woyzeck
Der Marshall Teddy Daniels (Leonardo DiCaprio) wird im Jahr 1954 nach Shutter Island bestellt, um einen merkwürdigen Vermisstenfall auzuklären: auf dem Gelände der Nervenheilanstalt ist die Patientin Rachel Solando spurlos aus ihrem Zimmer verschwunden. Auf der Suche nach ihr lernt er nicht nur die Bedeutung der Worte "Der Mensch ist des Menschen Wolf" kennen, sondern muss auch in seinen Abgrund hinabsehen.
Viel mehr möchte ich gar nicht vorwegnehmen, wenn auch jeder diese Expedition auf seine eigene Weise wahrnehmen wird. Trotzdem wird man einen Moment an die Hand genommen, da der Film bereits nach einigen Minuten die Richtung klarmacht - wie der Zuschauer diesen Weg geht und versteht, ist dann ihm überlassen. Genau das ist die größte Stärke von "Shutter Island": Die intelligente und sinnvolle Führung von Martin Scorsese, der hier etwas auffährt, was ich ihm kaum zugetraut hätte. Er entlässt den Zuschauer in einen dunkle Ungewissheit und man genießt es auch noch. Sicherlich bedient Scorsese sich einiger genreüblicher Klischees, doch ist immer noch genug Feuer dabei, genug eigene Ideen und originelle noch dazu. Der Vorlage scheint hier das größte Lob zu gebühren und wenn man den Kennern glauben schenkt, hielt man sich auch ordentlich an den Roman. Ich jedenfalls habe als Nichtleser jeden Moment gespürt, dass dieser Marshall genauso gut aus einem typischen Groschenroman stammen könnte, was diese Rolle umso schäbiger und interessanter macht. Leonardo DiCaprio's Spiel ist wirklich überzeugend und auch wenn man sich nie mit ihm identifizieren mag, so hat man doch größte Sympathien für die erschaffene Figur, da man mit Teddy zusammen ein Stück durch eine seelische Hölle, einen unaufhaltbaren Albtraum spaziert. Der restliche Cast macht seine Sache ebenso hervorragend: besonders hervorzuheben sind unter anderem Jackie Earle Haley's Kurzauftritt, der nach Rorschach nun den nächsten Wahnsinnigen verkörpert und natürlich müssen sowohl Ben Kingsley, als auch Max von Sydow erwähnt werden. Ironischerweise hatten beide in den letzten Jahren kein all' zu gutes Händchen für ihre Rollenauswahl, leisteten sich grobe Schnitzer und verschenkten sich an Filme, die ihr Kaliber nicht handhaben konnten. Hier harmonieren beide nicht nur prächtig, sondern bereichern die Figuren und den Film ungemein - auch weil beide so gut gecastet wurden.
Doch es ist nicht alles gelungen im Gruselparadies: der Schnitt von Shutter Island ist eine zwiespältige Angelegenheit. Teilweise wirken böse Anschlussfehler wie Stilmittel, um den Zuschauer an seiner Wahrnehmung zweifeln zu lassen, andererseits wirken dann einige Momente so plakativ, als wäre geschlampt worden. Den Soundtrack möchte ich auch nicht in den Himmel loben, da hier von Sekunde Eins an mit bombastischen, brachialen Tönen klargemacht wird: dies ist Suspense! Das geht dann ab und zu auch ins Auge, weil man manche Gruselmomente meilenweit vorher erahnen kann. In einem Film wie "Cape Fear" haben derartige Töne noch fabelhaft gepasst, weil dort mit offenen Karten gespielt wurde - in einem psychologischen, verschachtelten Thriller wirkt es bisweilen etwas deplatziert. Wenn man sich damit abfindet, erlebt man einen intensiven, starbesetzten Psychothriller, der auch optisch gefällt und zum interpretieren einlädt, es ja geradezu fordert. Der Zuschauer allein beantwortet am Ende Teddy's Frage und die nach seinem geistigen Zustand. Aber genau in dem Moment, würgt Scorsese dem Zuschauer mit der letzten Kameraeinstellung auf den Leuchtturm einen rein. Wer ein eindeutiges Ende erhofft, wird alleine gelassen und das ist in diesem Fall auch die spannendste Lösung gewesen.
Scorsese beweist nach langer Zeit, dass er es sehr wohl noch versteht, mit Schockmomenten und psychisch-kaputten Seelen umzugehen. Die unwirkliche Atmosphäre und die Albtraumsequenzen sind ihm ebenfalls mehr als gelungen. Seine Darsteller sind obendrein perfekt gecastet und greifen sinnvoll ineinander. Das die Vorlage anscheinend gut umgesetzt wurde, ist dann noch das Sahnehäubchen. Durch die etwas übereifrige Musik und die Anschlussfehler ein Stück entfernt, ein wirkliches Meisterwerk zu sein. Trotzdem bekommt man zwei spannende Stunden, die nicht nur schnell vergehen, sondern lange unter der Haut und im Kopf bleiben. Scorsese dürfte einer der wenigen Hollywoodregisseure sein, der sowas noch schafft und dafür liebe ich seine Filme.