Wieder mal wird deutlich, dass Scorsese ein virtuoser Regisseur ist. Im paranoiden und angsteinflößenden Mikrokosmos einer Nervenheilanstalt spiegelt er die Stimmung einer paranoiden und angsteinflößenden Zeit von Kriegs-Nachwehen, McCarthyismus und atomarer Bedrohung wieder. Eine meisterlich inszenierte Geisterbahn-Fahrt durch das Amerika der 50er Jahre, ohne die Titel-gebende Insel dabei jemals zu verlassen. Trotz der effekthascherisch eingesetzten Wetter-Phänomene wird hier eine unglaubliche atmosphärische Dichte erzeugt, die einen völlig in Beschlag nimmt.
Durch das Bewegen des Protagonisten durch undurchdringbare raue Natur sowie durch verschachtelte Gänge, Räume und Treppen wird Shutter Island als undurchschaubarer, in seiner Gänze nicht zu erfassender Ort stilisiert. Diese Inszenierung verstärkt atmosphärisch die Rätsel und Mysterien der Handlungsebene. Shutter Island ist ein beängstigender, psychotischer, fast schon irrealer Ort. Die Beleuchtung, die Art der Kamerabewegungen, die Musik, die Struktur der Sets erzeugen gekonnt eine unheimliche, mysteriöse Stimmung, die den Zuschauer hypnotisiert und immer tiefer in den schieren, undurchsichtigen Wahnsinn hinein zieht.
Noch famoser sind die "Erinnerungs"- und Halluzinations-Sequenzen des Protagonisten. Denn diese wirken durch ihre überstilisierte Ästhetik noch unwirklicher als Shutter Island selbst, was unheimlich ist.
Und wenn Scorsese eine freundlich wirkende "Erinnerungs"-Sequenz an die Ehefrau (freundlich, weil: grünes Kleid zu grün gemusterter Tapete und warmem Licht) dadurch auflöst, dass erst die Landschaft vor dem Fenster wechselt, dann die Frau zu bluten beginnt und schließlich zu Staub zerfällt, ist das ganz großes Kino.
Und was Dachau betrifft, muss man erst mal die Chuzpe haben, das traumhaft zu bebildern mit malerischem Schnee, der in blauem Licht auf ausgehungerte Menschen fällt, oder mit synchron in Zeitlupe durch die Luft schwebenden Nazi-Akten im Büro. Gerade diese unpassende Ästhetik und das ruhige Timing lassen jene Sequenzen noch unheimlicher wirken.
Scorsese beweist in "Shutter Island", dass er weiß wie man einen krassen Horror-Trip inszeniert.
Aber angesichts des letzten Drittels des Films ist das alles fast egal. Da erzählt "Shutter Island" sich regelrecht dumm und dämlich, und erzählt und erzählt und erzählt. Als ob diese Geschichte über Trauma, persönlichen Verlust und schizophren verdrängte Schuldgefühle irgend eine Sau interessieren würde.
Aber um die dialoglastige Auflösung der Geschichte an sich (die übrigens nicht ganz so eindeutig ist wie es scheint) geht es nicht mal. Denn schon viel früher hat man das Gefühl, das Setting und die unheimlich psychotische Atmosphäre des Films wären ausgereizt: Bereits nach zwei Dritteln der Laufzeit hat man als Zuschauer das Gefühl, sich lange genug auf Shutter Island aufgehalten zu haben und fängt an, auf die Uhr zu schauen.
Geschichten müssen zu Ende erzählt werden, heißt es. Aber warum? Meinetwegen hätte "Shutter Island" nach 90 Minuten im völligen Mysterium enden können. Ohne jegliche Auflösung und Erklärung, den Zuschauer im Ungewissen lassend über den Zustand des Protagonisten sowie über die Vorgänge auf der Insel. Bloß die Erkenntnis, dass es für den Mann kein Entkommen aus Shutter Island geben kann und dass mit ihm etwas nicht zu stimmen scheint. Wäre ein elektrisierender Film, ein psychedelischer Horror-Trip geworden, bei dem es um das bloße Sehen und Erleben ginge. Und über allem Gesehenen hinge ein großes Fragezeichen.
Aber leider kommt "Shutter Island" irgendwann auf die langweilige Idee, das Geschehen in epischer Breite aufzulösen und penibel für den Zuschauer zu erklären. Wozu?