Immer wieder gern genommen: die Verrohung der Jugend.
Jede Generation, jedes Jahrzehnt braucht seine filmischen Landmarken, um über den Zustand der modernen Jugend zu philosophieren. Man kann sie verkitschen, man kann sie verklären, man kann versuchen, halbwegs realistische Abbilder zu schaffen. Man kann aber auch schocken, in den dunklen Ecken kehren, im Keller graben und ein bißchen Dreck zu Tage fördern. Der Anfang dieses Trends liegt so weit zurück, daß ähnlich gelagerte Filme wie "Rebel without a Cause" inzwischen fast schon albern wirken können, aber die Zeiten, wo die Teenager nur für alberne Komödien und formatierte Romanzen herhalten durften, ist schon lange vorbei, auch wenn wiederum diese Mode nicht totzukriegen ist.
Hatten die 80er also Bret Easton Ellis und "Below Zero", was die verdorbenen, schönen und reichen Kids anging, gabs in den 90ern dann Schock-Exponate wie "Kids" und das neue Millenium fing mit "Die Regeln des Spiels" die Abgründe neu ein.
Allein, inzwischen wissen wir ja ganzheitlich, daß an den Schulen nicht alles herzig und gut ist, das Klassenbewußtsein dort schon die Hölle ist und der Leistungsdruck im Zusammenspiel mit sich erprobendem Vergnügungswahn und akuter Langeweile die schlimmsten Blüten zeitigen kann.
Als Nick McDonells Roman "Twelve", eine Geschichte über reiche Kids in Manhattan zwischen Drogen, Gewalt und Parties 2002 herauskam, war er eine kleine Sensation, schließlich schrieb diese Skandalposse ein just 18jähriger, der es wohl aus erster Hand wissen mußte oder enorm gut fabulieren kann. Wenn so ein Werk jedoch erst acht Jahre später für die Leinwand umgesetzt wird, dann droht schon wieder die Überalterung, denn inzwischen wächst irgendwo eine neue Pestblüte, die man literarisch oder cineastisch ausbeuten kann.
Joel Schumachers Adaption von "Twelve" jetzt vorzuwerfen, er wäre ein schlechter Film, hieße also, an der Oberfläche zu verharren, vielmehr wirkt der Film wie ein überflüssiger Nachzieher, der von der Zeit längst schon wieder überholt worden ist.
Kiddie-Sex, Koks und Kingeltöne - aus solchen boulevardesken Sensationsthemen haben von den Tageszeitungen über Soap Operas bis zu aufwändig produzierten und zielgruppenorientierten Serien wie "Gossip Girl", inclusive der angeblichen Dokumentationen über das High School-Leben der US-Kids, reich wie arm, in den Musik-TV-Programmfüllern, schon alle ihr Schnäppchen geschlagen, bisweilen hat man sich eben schon dran gewöhnt, daß Daddy eine halbe Million für die "Sweet Sixteen Party" seiner verwöhnten Vollzeitgöre spendiert, man mit vierzehn Jahren sich durch den Jahrgang vögelt oder den Denver-Clan für die Teen-Generation aufleben läßt, alles schon mal dagewesen.
Doch "Twelve" scheint von all dem noch nicht so viel gehört zu haben, weil er eben ein Nachzügler ist. Jordan Melamed, der die Filmversion schrieb, nimmt sich noch einmal des prallen Lebens von McDonell an, verändert hier und da ein paar Charaktere, läßt aber die Grundzüge der Story beim alten, ergänzt sie jedoch noch durch ein knackiges Dutzend Nebenfiguren, die den Film mit seinen gerade mal 85 Minuten zusätzlich auspolstern. Und so fallen die vielen Handlungsstränge mit diesen vielen vielen Skandalen und Skandälchen alle übereinander her, als ginge es um einen dramaturgischen Weltrekord.
Da haben wir den Aussteiger und jetzigen Drogendealer, der nach dem Krebstod der Mutter als Geist durch die Reihen wandelt, wir haben die Clique des erlesenen Schicksen aus reichem Haus und noch reicherem Ansehen, die strebsamen Partymacher, die Nerds, die Schönlinge und Models, die natürlichen Girls, einen Drogendoppelmord, die Polizei und noch dazu die schlaue Schickse, die kurzfristig enorm auf Drogen kommt, als sie mit dem neuen, titelgebenden Stoff in Berührung gerät. Wobei ich den ins Bootcamp verstoßenen Sohn mit Koksvergangenheit, dem der Psychopath in jeder Szene aus den Augen läuft, schon fast vergessen habe...
Das Skript schmeißt anderthalb Dutzend Figuren wild durcheinander, mühsam zusammen gehalten von einem auktorialen Erzähler (im Original wie in der Synchro von Kiefer Sutherland ein- bzw. nachgesprochen), der dem Ganzen einen literarisch-weltmännischen Anstrich geben soll. Bemüht ins Zentrum gerückt wird Hauptfigur "White Mike", der Haschdealer, dessen Schicksal dem wilden Treiben einen emotionalen Anstrich geben soll, der aber in diesem Fall (anders als im Buch) nicht das Voiceover spricht und so sich selbst erklären muß oder anhand von prätentiösen Rückblenden uns allen erklärt wird. Zu Herzen geht er aber genauso wenig wie sonst irgendeiner der Charaktere, die entweder rumzicken, Klatsch verbreiten, sich selbst bewundern oder Drogen schmeißen bzw. rauchen, wenn sie nicht gerade im Hinterzimmer vögeln.
Das ist zwar alles schön und leer, aber es ist auch nichts wahnsinnig Neues und wenn ich schon mit so einer gehäuften Ansammlung bemühter Skandale etwas reißen will, sollte ich mein Publikum für die Zwiespältigkeit der Figuren emotionalisieren können. Das funktioniert aber leider meistens überhaupt nicht, zu kurz sind die Intermezzi; zu unklar zumeist, ob wir es mit einer Randfigur, einem Nebencharakter oder einer für die Handlung wirklich wichtigen Person zu tun haben.
Wenn schlußendlich alles vorbei ist - und der Film läßt von Anfang an keinen Zweifel daran, daß die Angelegenheit in einer Katastrophe enden wird - kristallisiert sich dann doch noch Essentielles heraus, aber wenn ein simpler Kameraschwenk so einfährt, wer denn nun gestorben ist und wer überlebt hat (und wer gänzlich fallen gelassen wurde, weil er plötzlich nicht mehr auftaucht), merkt man als Zuschauer erst, wie unentschieden und beliebig diese Begütertenklischees hier angerichtet wurden, so daß maximal das Ergebnis zählt, aber kaum noch, wie es dazu gekommen ist.
Zweifelsohne: sie sind kompentent angerichtet. Schumacher hat viel Grütze produziert, aber hier ist seine Regie recht solide, allein das Thema ist es nicht, es wärmt lediglich beliebt-bekannte Plotelemente vieler Soaps und Serien auf, die anstelle einer oder mehrerer Staffeln hier in einen Spielfilm gestopft wurden. Das geht zu Lasten einer übrigens recht gut aufgestellten Schauspielertruppe eben mal nicht so bekannter Darsteller, die motiviert die Klischees runterspielt (bekannt sind eigentlich neben Sutherland nur die wohl wieder aktivere Ellen Barkin mit einem Cameo und "50 Cent"-Rapper Curtis Jackson, der seinen Drogendealer überraschend solide verkauft), ohne sie jedoch über den Durchschnitt erheben zu können.
"Twelve" fand in den Staaten im Nischenbereich kein Publikum, dürfte als Regalware aber noch den einen oder anderen Teenager oder beeinflußbaren Twen für ein paar Stunden unterhalten bis begeistern, Nachdenklichkeit oder Betroffenheit ist aber angesichts der ach so schlimmen oberflächlichen Schicksale reicher Kinder eher eine Ressourcenverschwendung.
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