Review

Ach, was muß man doch von skandalösen, Filmen hören oder lesen, hätte Wilhelm Busch vermutlich getextet, wenn ihm wie dem interessierten Fachpublikum die Berichterstattung zu Michael Winterbottoms neuestem Film "The Killer inside me" um die Ohren schwirren würde.
Von Tabubrüchen ist da die Rede, von enormer Frauenfeindlichkeit, von unmenschlicher Härte und brachialer Gewalt, wenn es um die (zweite) Verfilmung von Jim Thomson durchaus berühmten Thriller aus den 50er Jahren geht, in dem man sehr introspektiv lesen konnte, wie es einem soziopathischen Hilfssheriff mit brutalen Mordtendenzen so geht, wenn er Frauen zu Brei schlägt.
Winterbottom, immer ein Freund unerwarteter und kontroverser Filmerlebnisse jenseits ausgetretener Spuren ist jedoch überraschend konventionell, was diese Romanverfilmung angeht, sie ist sehr roh und frisch und orientiert sich sehr stark am Buchplot, so daß die Handlung denn auch komplett in der südtexanischen Kleinstadthitze der Nachkriegszeit des vergangenen Jahrhunderts spielt. Auch wirkt die Handlung sehr linear und ohne Mätzchen erzählt, eben die Geschichte eines scheinbar sauberen, relativ wortkargen jungen Mannes, der hin und wieder gewisse gewalttätige Ausbrüche hat, während er bemüht ist, die ermittelnden Behörden von seiner Spur abzubringen.

Und doch bleibt Verblüffung, Rätselraten, ja sogar etwas Verwirrung nach einer kompletten Ansicht, denn das Skandalpotential hält sich doch enorm in Grenzen. In Zeit, wo man brachiale Gewalt detailgetreu und anatomisch zutreffend schon ausgiebig in jedem zweiten Horrorfilm begutachten darf - und Frauen dabei nicht selten enorm schlecht bei wegkommen - bietet "Killer inside me" überraschend zurückhaltende Kost an. Tatsächlich gibt es zwei Sequenzen, in denen Casey Affleck gegen die Frauen in seinem Leben mit der blanken Faust vorgeht, aber die raunenswerte Szene nach einem Drittel Filmlänge hat das Gerede vermutlich nur kassiert, weil es ausgerechnet Jessica Alba, also ein Musterbeispiel für filmisches Schönheitsideal ist, die hier das Gesicht eingeschlagen bekommt. Das ist nicht schön, das ist auch hart, aber letztendlich wenig "detailverliebt", die Kamera ruht mehr auf den behandschuhten Fäusten, der Gegenschuß bezeugt meistens nur das Ergebnis - und das ist (und das kann auch ganz schön sein, selbst in einem gewalttätigen Film) längst nicht so detailverliebt was die optische Zurichtung anbetrifft. Wenn das Ganze dann gegen Ende ein zweites Mal geschieht, ist es noch kürzer und noch wesentlich unspektakulärer und hat kaum das Potential, länger als einen Tag "Talk of the Town" zu sein.

Wie überhaupt der ganze Film manchmal ein seltsamer Affront an Inkonsequenz zu sein scheint. Da war es enorm hart, diese Gewaltszenen zu drehen und gewiß auch in Sachen Ansehen riskant, dazu noch detailreiche Bettszenen der härteren Gangart zu drehen, wie man liest - und im fertigen Film ist die Kameraeinstellung peinlich genau bemüht, von Mrs.Alba auch ja nicht das kleinstes Fitzelchen einer nackten Brust zu zeigen - die SM-Bezüge reduzieren sich dazu auf eine simple Sequenz, in der sie einen Gürtel um den Hals geschlungen hat. Sicherlich, als Gegenentwurf zur (angeblich) höflichen Biederkeit aller Beteiligten ein krasser Gegensatz, doch lockt man damit eigentlich niemanden mehr hinter dem Ofen hervor.

Der größte Fehler des sonst zeitgenössisch mehr als kompetent fotographierten und in ansprechendem Lokalkolorit inszenierten Films, ist jedoch das Fehlen jeglicher Motivation seines Protagonisten. Wo der Roman natürlich seiner Figur aus der Ich-Perspektive gut in den Kopf schauen kann, muß sich der Film dazu über das Voice Over von Lou Ford definieren, aber das erklingt nur in seltenen Fällen und dann kaum mal mit Informationen, die auch wirklich nötig wären. Hier und da sorgen ein schneller Rückblick auf die Kindheit (der versohlte Hintern eines Kindermädchens, das Schuldeingeständnis seines Adoptivbruders zu einer Gewalttat an einem anderen Kind) für Gesprächsstoff, aber wirklich interessiert an der Psyche und den Absichten seines Protagonisten scheint Winterbottom nicht zu sein. Wenn es jedoch darum ging, das Rätselhafte so eines Vorgehens zu visualisieren, dafür braucht es eigentlich keine zwei Filmstunden.

Und die sind, trotz eines ordentlich ausgesuchten Casts, bisweilen mehr als zäh und haben nicht den Druck und Zug, der einen Thriller generell am Laufen halten kann. Die Ermittlungsstände und sonstigen Vorgänge bleiben zumeist nebulös, der Zuschauer muß sich mit den Wendungen wie Lou selbst überraschen lassen und genauso unscharf bleiben auch die meisten Nebendarsteller. Weder darf Simon Baker mehr als einen hartnäckigen Ermittler spielen, noch hat das freudige Erscheinen von Altdarsteller Ned Beatty wirklich etwas zu bieten. Elias Koteas' Rolle bietet wenig mehr als Zeitspiel und die Kontakte zu den anderen Figuren, wie dem halbsenilen Sheriff Bob, bleiben ebenfalls nebulös, genauso wie ein Kurzauftritt von Bill Pullman als schräger Rechtsanwalt.
Sicherlich, Affleck ist der passende Darsteller für die höflich-eisgraue Fassade des Brandstifterbiedermanns, aber sein heiseres, unmoduliertes Texarkana-Gemurmel macht ihn auch nicht zwingend zu einem interessanten Charakter.

So kommt nie strukturierte Spannung auf, weder in Sachen Plot, noch in Sachen zwingender Bezug zur Hauptfigur, deren schwebende Existenz in einer Ermittlung, in der er selbst bald Verdächtiger ist, eigentlich eine offene Einladung für ein zwiespältiges Zuschauer-Figuren-Verhältnis wäre, bei dem man mit dem Mörder fiebert, obwohl man ihn eigentlich stoppen möchte. Zu gemäßigt, zu texanisch bedächtig ist der Aufbau und Ablauf und wenn dann das große Finale samt einem gewissen Twist naht, dann hat man es sich fast schon gedacht, bis der "Showdown" dann sogar Verärgerung über die Konstruktion desselben auslösen kann.
Zurück bleibt eine atmosphärisch stimmige Inszenierung mit vielen Ansätzen, doch in diesen bleibt dann alles auch schon wieder stecken, wenn die Story vorbei ist, bleiben mehr Fragezeichen als auch nur das geringste sättigende Gefühl. Es ist kein schlechter Film geworden, aber er wirkt unentschieden, so als hätte sich ein Künstler zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden müssen und die künstlerische, aber wenig zugängliche gewählt. Warum das so ist, muß man wohl den Regisseur selbst fragen. (5/10)

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